Der Dalai Lama in Deutschland:Schwebend über den Niederungen der Tagespolitik

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Vom Streit seiner Gastgeber will er nichts wissen, seine Antworten zu Tibet sind kontrolliert: Ein Gespräch mit dem Dalai Lama.

Stefan Kornelius

Herr Lenz macht einen bescheidenen Eindruck. Da sitzt er neben dem Dalai Lama auf einem Sofa in einer der wunderbaren Ecksuiten im Berliner Hotel Adlon mit Blick über das Brandenburger Tor. Der Dalai Lama redet, über Gott und die Welt, wenn man so will, und immer wieder sucht seine Hand den Arm oder die linke Hand des Herrn Lenz, der doch eigentlich nur der Dolmetscher für Tibetisch sein möchte, sollte das Gespräch auf Englisch einmal stocken.

Pflegt eine geniale und zugleich unkonkrete Gesprächsstrategie: der Dalai Lama (Foto: Foto: AP)

Der Dolmetscher aber ist auch ein Mensch aus Fleisch und Blut, dessen Arm der sehr haptisch veranlagte Dalai Lama immer wieder greift wie zur Vergewisserung seines eigenen Menschseins. Denn dies ist vor allem ein Gespräch über Politik, nicht über Religion oder die Menschlichkeit. Hier sitzt der Dalai Lama als Politiker, der er zwar nicht sein möchte ("ich bin halb pensioniert"), faktisch aber in all seiner Erscheinung ist.

Eine interessante Erfahrung ist das: Das geistliche Oberhaupt der Tibeter hat seine operativen politischen Funktionen zwar reduziert, eine Regierung macht nun das Geschäft, und zwei sehr versierte Gesandte führen die Existenzgespräche mit China. Aber dennoch ist der Mann die Kristallisationsfigur, ein Symbol. Wenn er also einen Fingerzeig gäbe, sich einließe auf eine Diskussion über konkrete Wünsche und Ziele, wenn er politischer spräche . . .

Der Dalai Lama pflegt eine Gesprächsstrategie, die genial einfach und unkonkret ist. Über die Politik seiner Gastgeber, den Streit anderer, möchte er nicht reden. "Ich weiß von nichts", sagt er. Da hält er sich raus. Nicht er verlangt nach Gesprächen mit deutschen Politikern, die Politiker sind es, die unentwegt streiten, wer nun mit ihm reden sollte.

In seiner eigenen Sache, in der Sache Tibets, ist der Dalai Lama erheblich gesprächiger. Aber nach seinen Regeln. Und so wiederholt er Anekdote um Anekdote, weicht aus in die Geschichte, erzählt vom Beginn der Besatzung und dem Aufbau der Exilregierung. Wird eine Frage heikel, flüchtet er in die Selbstironie. "Warum gibt es in Deutschland so viel Unruhe, wenn Sie kommen?" Antwort: "Weil ich ein Unruhestifter bin, das sagen ja auch die Chinesen", sagt er und lässt sein meckerndes Lachen los.

Die Antworten sind kontrolliert, fürs harte Geschäft sind andere zuständig, der Dalai Lama möchte sich offensichtlich nicht beschädigen in den Niederungen der Tagespolitik mit China. Wenigstens dies: "Es ist ja nicht so, dass diese Dinge (der Aufstand vom 14. März in Lhasa) überraschend geschehen sind."

Drei Generationen von Tibetern würden ihr Leben aus der Perspektive der Unterdrückten sehen. Nun aber sei ein kritischer Moment gekommen. Es gebe neue Signale. Der Dalai Lama zählt auf, wie sich der chinesische Präsident Hu das erste Mal überhaupt zu den Sondierungsgesprächen zwischen Tibetern und China öffentlich geäußert habe. Zweitens hätten die Medien frei über die Gespräche aus der vorvergangenen Woche berichtet. Ein Sprecher des Außenministeriums habe das Treffen neutral kommentiert.

Auf dem Sofa bei Kaffee und Kuchen

Das sind neue Zeichen. Einer, der sie ebenfalls zu deuten weiß, ist Kelsang Gyaltsen, Sondergesandter der tibetischen Exilregierung und einer der beiden Unterhändler mit der chinesischen Delegation. "Wenn man die Situation bedenkt, fand das alles in einem freundlichen Klima statt", sagt er. Kelsang Gyaltsen erzählt, man habe siebeneinhalb Stunden verhandelt, unterbrochen von einem Mittagessen.

Die Stimmung sei entspannt gewesen, man kenne sich bereits aus früheren Verhandlungen. Am Morgen habe man die Sichten auf die aktuellen Ereignisse in Tibet ausgetauscht, am Nachmittag - auf dem Sofa bei Kaffee und Kuchen - habe es einen freien Gedankenaustausch gegeben, bei dem so etwas wie eine Liste gemeinsamer Ideen und Interessen entstanden sei. Darüber werde nun im Juni verhandelt.

Verhandelt wird über den Begriff "echte Autonomie". Der Dalai Lama zitiert das Weißbuch der chinesischen Regierung zu den Minderheitenrechten und merkt an, die Tibeter verlangten nicht mehr, als darin angegeben sei: volle politische Autonomie, kulturelle und religiöse Freiheiten, schulische Selbstbestimmung, das Recht auf Beteiligung an den Ressourcen. Allein, der Teufel steckt im Detail.

Eine Forderung, die weiter geht

So wie die Tibeter auf ein nicht umgesetztes Regierungshandbuch verweisen, deuten die Chinesen auf die Charta der Exiltibeter, die der Regierung einen klaren Auftrag gibt: Staatlichkeit. Und Peking wird sich selbst fürchten vor dieser ungefüllten Hülse "politische Autonomie", weil es in China wenig Erfahrung gibt mit der Freiheit jenseits des Zentralstaates, und weil die Furcht wabert vor einem Auseinanderbrechen des Landes wie einst bei der Sowjetunion.

Im zweiten Teil orientiert sich der Dalai Lama an Katalonien und Südtirol.

Der Dalai Lama widerspricht: Es gehe nicht um Staatlichkeit, sein Volk sei bereit, sich in einem China unterzuordnen und verlange als Gegenleistung religiöse und kulturelle Freiheiten. Der Gesandte Kelsang Gyaltsen hat freilich zuvor deutlich gemacht, dass die Forderung weiter geht: China beute Tibet aus, es gehe um die Teilhabe der Einheimischen am Wohlstand, und vor allem gehe es um ganz Tibet, nicht nur die autonome Provinz.

Dies ist einer der Knackpunkte in den Verhandlungen. Die Tibeter verlangen Autonomie für das gesamte tibetische Volk. Zwei Millionen in der chinesischen Provinz Tibet, noch einmal vier Millionen in den Nachbarprovinzen. "Wie kann ich diese Menschen ausschließen", sagt der Dalai Lama, "ich bin der Sprecher des gesamten tibetischen Volkes."

"Ich bin das Opfer"

In den Gesprächen mit China, so sagt Kelsang Gyaltsen, habe man sich verständigt, die unterschiedlichen Geschichtsversionen der beiden Völker auszuklammern. Die Tibeter würden den Staats-Anspruch aus der Charta streichen, wenn sie im Gegensatz echte Autonomie bekämen. Der Dalai Lama sagt, Vorbild sei Katalonien oder Südtirol. Eine Systemveränderung aber strebe er nicht an. Und dann kommt er auf sein Leitmotiv zurück: Vertrauen. Es ist der Mangel an Vertrauen, der politischen Fortschritt so schwer mache.

Neuerdings spricht der Dalai Lama mit chinesischen Journalisten, wann immer sich die Gelegenheit ergibt. Er fördert chinesisch-tibetische Freundschaftsgruppen im Ausland. In Europa dringt die Bewegung auf ein neues Instrument in der EU: einen Sonderbeauftragten des Rates, dahin geht die Lobby-Arbeit. "Deutschland ist ein wichtiges Mitglied der EU", sagt der Dalai Lama in eindeutiger Anspielung. Der Gesandte wurde zuvor konkreter. Den außenpolitischen Berater der Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen, kennt er aus gemeinsamen Brüsseler Zeiten.

Ob Deutschland als Vermittler auftreten könne? Der Dalai Lama lacht wieder einmal scheppernd: "Die chinesische Regierung will das nicht. Außerdem haben wir bereits direkten Kontakt. Wir brauchen das nicht." Und ob es jetzt, vor den Olympischen Spielen, wo der Druck auf die Akteure steige, noch erste behutsame Fortschritte, Vereinbarungen gar geben könne? Da fällt der Dalai Lama zurück in sein politisches Schema. "Das liegt an den Chinesen. Ich bin das Opfer."

© SZ vom 20.5.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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