Süddeutsche Zeitung

Der Atomschwenk der FDP:Das Volkspartei-Rezept

Die Atompolitik der FDP-Führung zeugt von panischem Populismus. Wer Kehrtwenden und Ausstiege auf den Tisch knallt wie Trumpfkarten beim Skat, hat schon verloren. Ohne Anstrengungen ist der glaubwürdige innere Wandel nicht zu haben. Volksparteien reden dem Volk nicht nach dem Maul, sondern nehmen die Bürger mit bei ihren Entscheidungen.

Heribert Prantl

Über die Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene wird seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Auf einmal sind sie da, aber ganz anders als erwartet. Die plebiszitären Elemente heißen nun nicht Volksbegehren und Volksentscheid, sondern Guido Westerwelle und Christian Lindner.

Deren Politik ist das Unterfangen, aus der FDP ein Exekutiv-Organ von Infratest Dimap und sonstiger Institute für Demoskopie zu machen. Auf diese Weise versuchen die Spitzenpolitiker der FDP, sich selbst und die Partei zu retten. Ihre Politik besteht darin, den Stimmungen nachzulaufen, mit Stimmungen Schritt zu halten, diese einzuholen. Sie verlieren dabei die Verlässlichkeit, sie verlieren sich selbst.

Die Regierung nimmt sich selbst nicht mehr ernst

Die Atompolitik des FDP-Führungspersonals in den vergangenen Wochen und Monaten ist ein Kapitel Politik, wie es dies in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat: Es handelt von einem panischen Populismus, der vom Klientel-Populismus zum General-Populismus changiert.

Die FDP-Politiker verkehren einen fatalen Satz aus den wilden Jahren der Bundesrepublik: Vor fast dreißig Jahren, auf der Großkundgebung der Friedensbewegung in Bonn, verkündete Jo Leinen, damals Vorsitzender des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz: "Wenn uns die Politiker nicht ernst nehmen, dann werden wir dieses Land unregierbar machen."

Es ist glücklicherweise anders gekommen. Aber nun wird womöglich das Land auf ganz andere Weise unregierbar, zumindest aber die Bundesregierung regierungsunfähig - weil sich Regierungspolitiker selber nicht mehr ernst nehmen: Sie knallen Kehrtwenden und Ausstiege auf den Tisch, als handele es sich um Trumpfkarten beim Skat. Wer aus der Politik ein solches Spiel macht, hat schon verloren.

Es ist wohl wahr, dass sich die FDP ändern muss. Es ist wahr, dass sie ökologischer werden muss. Das gilt auch für die Union, weil es nicht genügt, wenn sie in die Parteiprogramme etwas von ökosozialer Marktwirtschaft schreibt. Aber ohne Anstrengung, nur via Presseerklärung, wie das die FDP versucht, ist der glaubwürdige innere Wandel nicht zu haben.

Stimmungen aufgreifen, nicht abgreifen

Politik ist etwas anderes als die Herstellung von Ostereiern. Da kann man über Nacht die Produktion von Gelb auf Grün umstellen, wenn sich herausstellt, dass sich die grünen Eier besser verkaufen. Erfolgreiche Politik ist aber nicht Ergebnis einer neuen Produktlinie, sondern des glaubwürdigen Ringens um Positionen. Sie ist eine besondere Mischung aus Pragmatismus, Populismus, Prinzipientreue und - das ist neu! - Partizipation der Bürger.

Erfolgreiche Politik greift nicht, wie es die FDP tut, Stimmungen ab, sondern Stimmungen auf. Die FDP war nie eine Volkspartei; aber weil sie sich derzeit so geriert, als wäre sie eine, können die Parteien, die Volksparteien sind oder sein wollen, von ihr lernen: Wer dem Volk nur nach dem Mund redet, wird dadurch nicht zur Volkspartei.

Winfried Kretschmann, der designierte grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, propagiert eine neue Politik der Partizipation; das, unter anderem, ist seine Lehre aus Stuttgart 21. Partizipation heißt: Die Bürger werden in die Entscheidungsprozesse einbezogen und nicht nur auf die nächsten Wahlen vertröstet.

Partizipative Politik bedeutet, sich mit dem Demos, dem Volk, fortlaufend Arbeit zu machen. Partizipative Politik ist es nicht, wenn man mit den Mitteln der Demoskopie schnell mal nach dem Wähler hascht. Die neue Beteiligungspolitik versteht das Volk nicht nur als eine Addition von Wählern, sondern als die Vereinigung von Bürgern, die es zu achten, anzuhören, und, wie man heute gern sagt, bei den Entscheidungen "mitzunehmen" gilt. Dabei spielen die politischen Parteien, die das organisieren können, eine wichtige Rolle. Die Parteien, denen das gut gelingt, sind die neuen Volksparteien. Sie werden nicht mehr so groß sein wie die alten Volksparteien, aber ihnen gehört die Zukunft.

Die neuen Volksparteien

Die Zeit der klassisch-großen Volksparteien ist vorbei, weil es die Gesellschaft, aus der CDU, CSU und SPD kamen, nicht mehr gibt. Sie war geprägt von Gewerkschaften, Kirchen und den gemeinsamen Erfahrungen in der Arbeitswelt. Solche Erfahrungen gibt es immer weniger. Selbst die relativ Armen haben nicht viel gemeinsam: den wegrationalisierten Facharbeiter, den arbeitslosen Akademiker und die alleinerziehende Mutter, die den Sprung ins Berufsleben nicht mehr schafft, verbindet nicht viel, nur Hartz IV.

Die Klammern gemeinsamer Erfahrungen sind kleiner geworden. Die stabilste Verbindung ist derzeit diejenige, die vom ökologischen Bewusstsein hergestellt wird. Die Grünen werden von einem Zeitgeist getragen, den sie selber mit hergestellt haben. Sie ernten die Frucht der frühen Jahre. Noch ernten sie exklusiv; das wird nicht so bleiben.

Die neuen Volksparteien werden nicht mehr so groß sein wie einst; sie werden vielleicht nach wie vor CDU, CSU, SPD und Grüne heißen, vielleicht auch Linke, vielleicht sogar FDP. Sie werden erfolgreich sein, wenn es ihnen gelingt, die Permanenz, die Kontinuität und Beständigkeit einer politischen Partei zu verbinden mit der Präsenz, dem Potential und dem Elan von Bürgerinitiativen. Das ist das neue Rezept für Volksparteien.

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Quelle:
SZ vom 31.03.2011/olkl
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