Tod von Benno Ohnesorg:"Zynischer ging's nicht"

Benno Ohnesorg

Friederike Hausmann am 02.06.1967 mit dem sterbenden Studenten Benno Ohnesorg.

(Foto: dpa)

Uwe Soukup hat die dramatischen Vorgänge vom 2. Juni 1967 aufgearbeitet. Sein Fazit: Die Polizei ließ die Situation bewusst eskalieren - und die Springer-Presse schob die Gewalt den Studenten zu.

Oliver Das Gupta

SZ.de: Herr Soukup, wie kamen Sie dazu, ein Buch über Benno Ohnesorg zu schreiben?

Uwe Soukup: Vor fünf Jahren bat mich die Süddeutsche Zeitung, über Benno Ohnesorg, Sebastian Haffner, den 2. Juni 1967 und die Springer-Presse zu schreiben. Als ich mich in einem Archiv mit alten Zeitungen wieder fand, fragte ich mich: Warum gibt es über so ein wichtiges Ereignis eigentlich kein Buch? Dann war die Entscheidung gefallen.

SZ.de: Ihre Recherche zog sich über Jahre hin. Warum dauerte es so lange?

Soukup: Als freier Journalist ist man auch mit anderen Sachen beschäftigt. Aber vor allem wurde es immer spannender, je länger ich suchte. Ich hätte noch jahrelang weitergraben können. Es ist so, dass man in so einer Sache nie ganz rausbekommt, was passiert ist. Allerdings kommt man der Wahrheit näher, wenn man tief gräbt.

SZ.de: Nach der Lektüre ihres Buches könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Gewalt an jenem 2. Juni staatlich geplant war.

Soukup: Es gibt so viele Details, die man sich nicht anders erklären kann. Man kann das nicht alles auf verärgerte oder unfähige Polizisten, auf Pannen und Zufälle zurückführen.

SZ.de: Zum Beispiel?

Soukup: Die Tatsache, dass man die Jubelperser genannten Leute des persischen Geheimdienstes Savak gewähren ließ. Man stelle sich vor: Die Leute eines ausländischen Geheimdienstes prügeln auf deutsche Studenten in Deutschland ein - und werden daran nicht gehindert und auch später nicht belangt.

Die Savak-Männer wurden so vor der Rathaustreppe postiert, dass sie zuerst dem Schah zu jubeln konnten. Und sich dann sich umdrehen und auf die friedlichen Demonstranten einprügeln dürften - mit Latten, Knüppeln und Totschlägern. Die Polizei stand daneben, tatenlos, sah minutenlang zu. Irgendwann ging sie dann mit Pferden dazwischen - und attackierte, wenn überhaupt, Demonstranten.

In meinem Buch ist ein bislang unveröffentlichtes Foto, auf dem man sieht, dass die Jubelperser sogar noch zuschlugen, während sich die Polizei schon den Demonstranten zugewendet hatte.

SZ.de: Können Sie auch ein Beispiel nennen für die Eskalation am späteren Abend des 2. Juni?

Soukup: Kurz vor dem abendlichen Einsatz wurde den Polizisten per Lautsprecherdurchsage mitgeteilt, dass ein Polizist getötet worden war durch einen Demonstranten. Das stimmte nicht, aber hat die Beamten irrsinnig aufgebracht. Selbst wenn die Meldung wahr gewesen wäre, hätte es diese Durchsage nicht geben dürfen - wenn man denn keine Eskalation will.

SZ.de: Wer schrieb das "Drehbuch" zu diesem Abend? Der Regierende Bürgermeister, der SPD-Politiker Heinrich Albertz, räumte später schwere Fehler ein.

Soukup: Bürgermeister Albertz schrieb so ein "Drehbuch" keinesfalls. Albertz hatte seiner Sekretärin den Auftrag gegeben, den Beschluss einer Unterredung mit Bundespräsident Lübke, Bundesinnenminister Benda und Innensenator Büsch der Polizeiaufsicht mitzuteilen: Tenor: Die Demonstranten sollten nicht zu nahe an die Oper herankommen. Doch die Polizeiaufsicht ignorierte es, nach dem Motto: Es geht nicht, dass uns eine Sekretärin anruft, das ist der Sache unwürdig.

SZ.de: Folge war, dass die Protestierenden eng beisammen standen vor der Oper, in einem Schlauch...

Soukup: ...die Voraussetzung für die weitere Zuspitzung am Abend. Die Leute standen dicht, aber es war friedlich und freundlich, man sieht es auch auf den Fotos: die Stimmung war heiter. Dann wurden einige Demonstranten verhaftet. Wenn sie rauchten, warfen sie die Zigaretten aus dem eng gepferchten Schlauch, denn sie wären ja jemandem auf die Füße gefallen. Die Polizisten warfen die Kippen zurück. Das gleiche passierte mit Rauchkörpern der Polizei. Man warf sie zurück, raus aus der dichtgedrängten Masse, und wurde dann deshalb verhaftet. Die Leute wurden von fünf, sechs Beamten auf die Straße gezogen und verprügelt, Jacken und Hemden wurden zerrissen. So spitzte sich die Lage weiter zu.

SZ.de: Nach 20 Uhr, der Schah sah sich inzwischen Mozarts Zauberflöte an, begann die Polizei, den Platz zu räumen mit der so genannten "Leberwursttaktik". Wie ging das vor sich?

Soukup: Der Ausdruck stammt vom damaligen Polizeipräsidenten Duensing. Er sagte, man ginge vor wie bei einer Leberwurst: Man steche in die Mitte der Wurst, damit sie an den Enden auseinanderplatzt. Das geht mit Menschen nicht.

Polizisten stiegen über die Absperrungen in die Mitte ein, stützten sich teilweise noch auf den Demonstranten ab, die sich nicht vorstellen konnten, was dann passierte: Die Beamten prügelten los und lösten in der Mitte eine Panik aus. Aber: Die Demonstranten am Ende des Schlauches wussten ja nicht, dass sie weg sollten. Die Menschen in der Mitte wurden irrsinnig komprimiert, die lagen übereinander, andere liefen darüber. Sie schrieen die Polizisten an: "Wo sollen wir denn hin?" Es ist ein Wunder, dass es nicht in dieser Situation schon Tote gab.

Das Geschehen verlagerte sich dann in eine Seitenstraße, die Krumme Straße. Sie war damals nach hinten abgegrenzt durch einen Bauzaun, wo Polizisten mit Eisenstangen und Hunden postiert waren. Fliehende wurden zurückgetrieben in den Schlauch, wo sie nicht weg konnten. Zynischer ging's nicht.

"Springer-Blätter druckten vorwiegend die Aussagen des Todesschützen Kurras, die ganz offensichtlich nicht stimmten"

SZ.de: Und Benno Ohnesorg stand nur dabei?

Tod von Benno Ohnesorg: Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, legt 1966 seinen Amtseid ab

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(Foto: Foto: dpa)

Soukup: Unbeteiligt war er nicht. Es war seine zweite Demo. Er hatte auch ein Transparent dabei, auf dem stand: "Autonomie für die Teheraner Universität".

SZ.de: In ihrem Buch schreiben sie zur Rolle der Springer-Zeitungen nach dem 2. Juni: Springers Journalisten "tobten, logen, fälschten, was das Zeug hielt." Können Sie das belegen?

Soukup: Es gibt zum Beispiel ein Foto von einer blutüberströmten jungen Frau, das von der Bild-Zeitung abgedruckt wurde mit den Worten: Von Demonstranten mit Steinen getroffen. Es gibt eine dezidierte Aussage von dieser Frau, wie sie zu diesen Verletzungen kam: Sie konnte ihren Kopf nicht schützen, sie lag auf dem Boden, auf ihren Armen lagen andere. Und so bekam sie die volle Härte der Polizeiknüppel ab. Bild münzte sie um - in ein Studentenopfer.

Später druckten die Springer-Blätter vorwiegend die Aussagen des Todesschützen Kurras, die ganz offensichtlich nicht stimmten.

SZ.de: Gibt es heute, 40 Jahre später, einen anderen Umgang bei Springer in Bezug auf die Geschehnisse damals?

Soukup: Schon damals wussten die Springer-Journalisten, dass die Polizei an jenem 2. Juni einen absoluten Blödsinn macht. Und vor wenigen Tagen brüsteten sich die Springer-Blätter Berliner Morgenpost und Die Welt, dass ihr damaliger Reporter Michael Müller vor Ort sofort die Situation richtig erkannt und am Telefon gesagt habe: Warum räumen die? Es gibt doch überhaupt keinen Grund. Diese Willkür haben auch die Springer-Reporter so empfunden.

SZ.de: Aber nicht beschrieben.

Soukup: So ist es. In der Morgenpost und in der Welt wird nun behauptet, es sei damals ein polizeikritischer Kommentar geschrieben, aber nicht veröffentlicht worden. Weil er in der Redaktion verloren gegangen war. Allerdings hat die B.Z. ein Foto veröffentlicht, auf dem drei Polizisten auf einen am Boden liegenden Demonstranten einschlagen und dazu getextet: So nicht. Aber wenn sie so etwas gedruckt haben, dann vermittelte das den Eindruck, dass einzelne Polizisten die Kontrolle über sich verloren hatten und letztendlich trotzdem die Studenten schuld daran waren, dass es soweit kommen konnte.

SZ.de: Haben Sie für ihre Recherche auch mit Karl-Heinz Kurras gesprochen, dem Polizisten, der Ohnesorg umbrachte?

Soukup: Nein, man kommt auch gar nicht an ihn ran. Ich hatte noch Glück, überhaupt eine Absage zu bekommen über jemanden, der ihn gut kennt. Kurras entzieht sich jedem Gespräch.

SZ.de: In einer Rezension heißt es, sie hätten mit ihrem Buch die Unschuld der Studenten-Bewegung wiederhergestellt. Sehen Sie das auch so?

Soukup: Als der Reporter das sagte, musste ich lächeln, weil mir plötzlich eine Motivation zugesprochen wurde, die mir nicht bewusst war. Aber ein bisschen ist es wohl so. Ich bedaure zutiefst, was am 2. Juni 1967 passierte und das meiste von dem, was dadurch angestoßen wurde.

SZ.de: Bleibt das Rätsel, warum die Einschusswunde am Ohnesorgs Kopf verschleiert werden sollte. Haben Sie eine These?

Soukup: Während der Operation wurde Ohnesorg ein Stück aus der Schädeldecke herausgesägt, nämlich genau das, wo das Einschussloch zu sehen war. Dann wurde die Kopfhaut wieder zusammengenäht. Man gewann also Zeit, bis die eigentliche Obduktion durchgeführt wurde. Es blieb länger unausgesprochen, dass der Mann erschossen wurde. Was wäre aber passiert, wenn die Todursache früher bekannt geworden wäre? Bürgermeister Albertz hätte seine überaus idiotische Erklärung, dass er zur Polizei steht und sich diese zurückgehalten hätte bis an die Grenze der Zumutbarkeit, niemals herausgegeben.

Also: Vielleicht wollte man durch die Verschleierung einfach nur Druck vom Kessel nehmen. Vielleicht gab es aber auch die Absicht, dem Senat zu diskreditieren. Der rechte Flügel der SPD wollte Albertz ja schon länger stürzen, den "blöden Pastor", den ihnen Willy Brandt hinterlassen hatte.

Uwe Soukup ist freier Journalist und Buch-Autor. Der gebürtige Berliner lebt in seiner Heimatstadt.

Uwe Soukup: Wie starb Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967. Verlag 1900. Berlin 2007, 272 Seiten, 19,90 €

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