Demoskopie:Eine Frage der Frage

Allen für sie ungünstigen Umfragen zum Trotz hat Hillary Clinton die Vorwahl in New Hampshire gewonnen. Warum die US-Meinungsforscher mit ihren Prophezeiungen eines Obama-Sieges wieder einmal krass danebenlagen.

Stefan Kornelius

Während die US-Umfrageinstitute das Vorwahl-Ergebnis von New Hampshire bei den Republikanern halbwegs korrekt vorhergesagt haben, versagte ihre Kunst bei den Demokraten. Hillary Clinton profitierte deswegen nicht nur von ihrem Sieg gegen die politische Konkurrenz, sie fuhr doppelte Beute ein mit Hilfe des Überraschungseffekts: Niemand hatte mit ihrem Vorsprung gerechnet; der Sieg wirkt um so grandioser.

Wie aber rechnen die Institute, dass sie derart danebenliegen können? Vor der Abstimmung in New Hampshire veröffentlichen alle großen Meinungsforscher Zahlen, die Barack Obama mit etwa zehn Prozentpunkten in Führung sahen. Die Umfragen wurden nach dem Caucus in Iowa erhoben, der deutlich und überraschend zugunsten von Obama ausgegangen war.

Die Medienhysterie nach dem Iowa-Tag verschaffte Obama größtmögliche Aufmerksamkeit - Kommentatoren sprachen nicht mehr vom Wahlkampf, sondern von einer Bewegung. Obama selbst sah sich von einer "Welle" getragen. In seiner Dankesrede benutzte er 16 Mal das Wörtchen "ich". Das Fernsehen sendete pausenlos die Triumphbilder.

In den Umfragen schlägt sich das sofort nieder - wenn sie nicht vorsichtig genug formuliert sind. Alles eine Frage der Frage, sagen die Demoskopen, und vor allem ein Problem der Kontrolle. Entscheidend ist, ob die Befragten tatsächlich zur Wahl gehen werden.

Deutsche Institute grenzen durch Kontrollfragen ein, ob ein Befragter seine Stimme auch abgibt. Dieses Sicherheitsnetz ist wichtig, denn Demoskopen kennen das Phänomen der "sozialen Erwünschtheit": Weil die Gesellschaft erwartet, dass man zur Wahl geht, muss man in den Umfragen so tun, als ob man auch tatsächlich wählen würde. In New Hampshire fiel auf, dass Clinton über einen großen Stammwähleranteil verfügte. In den Umfragen war diese letztlich entscheidende Gruppe offenbar nicht richtig abgebildet worden.

Deutsche Experten sind immer wieder erstaunt, auf welch schwacher Basis manche amerikanische Erhebungen stattfinden. Das renommierte Institut Gallup etwa veröffentlichte seine Daten auf der Basis von 700 Interviews. Standard hierzulande sind 1000 oder mehr. Der Fernsehsender CBS leistete sich den Luxus und publizierte eine Erhebung mit 323 Befragten, die angaben, wählen zu wollen.

Bei derart geringen Stichprobengrößen steigt der Fehlerbereich: Die US-Institute geben korrekterweise an, dass ihre Ergebnisse drei bis fünf Prozentpunkte abweichen können - allerdings in beide Richtungen, was zu sechs bis zehn Punkten Unterschied zwischen den Kontrahenten führen kann. In den Medien allerdings wird auf diese Einschränkung nur selten hingewiesen.

Kaum messbar ist zudem die Dynamik, die das Iowa-Ergebnis ausgelöst hatte: Obwohl US-Journalisten seit Jahrzehnten die Gesetzmäßigkeiten der wochenlangen Vorwahl-Serie kennen, wollen sie doch immer wieder in Iowa bereits den nächsten Präsidenten küren. Der demokratische Wahlstratege Bill Carrick mahnt deswegen zur Gelassenheit: "Jeder glaubt, wir sind schon in der Zielgeraden, aber das ist eine Wahl mit Haarnadelkurven. Die Wähler wollen das Verfahren nicht abkürzen."

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