Demoskopie:Das ganz alte Europa

Die niedrigste Geburtenrate und die höchste Lebenserwartung der Welt: Europa würde bald vergreisen, gäbe es nicht die Zuwanderung, sagt eine Studie.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Europa ist nicht nur sprichwörtlich der "alte" Kontinent, sondern auch in der Realität. Weltweit sind die Kinderzahlen in Europa am niedrigsten. Der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung sinkt. Gleichzeitig erwartet aber die Menschen in keinem anderen Erdteil ein längeres Leben. Dies geht aus einer neuen Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung hervor. Demografisch gesehen entwickelt sich Europa demnach sehr unterschiedlich.

Entwicklung der Bevölkerung: Im Jahr 2015 starben in den 28 Ländern der EU erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs mehr Menschen als geboren wurden. Trotzdem dürfte die EU wegen der Zuwanderung wachsen, driftet dabei aber auseinander: "Auf der einen Seite der englischsprachige Raum, weite Teile Frankreichs, Teile der Benelux-Staaten sowie Skandinavien, wo sich Geburten und Sterbefälle die Waage halten und Zuwanderung für Wachstum sorgt, auf der anderen Seite die südlichen und östlichen Randgebiete, die durch Sterbeüberschüsse und Abwanderung doppelt leiden", so die Studie.

Kinder und Familie: Um die Bevölkerungszahlen konstant zu halten, wäre eine Geburtenziffer von etwa 2,1 Kinder pro Frau nötig. Im Durchschnitt kommen die EU-Staaten jedoch nur auf 1,58. Portugal ist mit durchschnittlich 1,31 Kindern je Frau derzeit das Land mit der niedrigsten Geburtenziffer. So dürfte Portugal neben Griechenland bis 2050 die im Durchschnitt älteste Bevölkerung in Europa haben. Am besten sieht es in Skandinavien, Frankreich, Großbritannien und Irland aus. Dort liegen die Geburtenziffern noch bei fast zwei Kindern je Frau.

Zuwanderung: Die Autoren der Studie stellen fest: "Um die Altersverhältnisse annähernd konstant halten zu können, bräuchten europäische Länder Zuwanderung in unrealistisch hohem Ausmaß. Dies würde eine Integration unmöglich machen und unter den Bevölkerungen der Länder auf erhebliche Widerstände stoßen." Zuwanderer erhöhten die Geburtenziffern, da sie meist mehr Kinder als Einheimische bekämen. Dieser Effekt lasse aber nach, weil sich Migranten den üblichen Verhaltensweisen in ihrer Wahlheimat anpassten.

Wirtschaft und Demografie: In den knapp 300 untersuchten Regionen Europas gibt es beim Bildungsstand, der Wirtschaftsleistung je Einwohner, der Geburtenziffer und anderen Wohlstandsindikatoren große Unterschiede: Ganz vorne liegen hier Stockholm, die Nordwestschweiz und Zürich, knapp gefolgt unter anderem von Oberbayern. Mit im Spitzenfeld sind auch Stuttgart, Tübingen und Mittelfranken. Als Beispiel für den Aufschwung im Osten Deutschlands wird Leipzig genannt. Ganz hinten liegen Teile Bulgariens.

Alter und Sozialsysteme: Europas Bürger werden immer älter. Seit 1990 ist das Medianalter, das die Bevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte teilt, in der EU von 35 auf fast 43 Jahre gestiegen. Die EU-Staaten müssten künftig einen höheren Anteil ihrer Wirtschaftsleistung für Rente, Gesundheit und Pflege ausgeben, heißt es in der Studie. Das sinkende Rentenniveau werde "vielerorts die Gefahr von Altersarmut erhöhen".

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