Geheimdienste:Die Angst vor dem langen Arm des Kreml

Illustration Spur und Vorurteil

Versucht die russische Regierung, die öffentliche Meinung in Deutschland zu manipulieren? Die deutschen Geheimdienste vermuten das.

(Foto: Stefan Dimitrov)
  • Die deutschen Geheimdienste gehen der Frage nach, ob die russische Regierung versucht, die öffentliche Meinung in Deutschland zu manipulieren.
  • Die Suche nach Beweisen für diese These ist jedoch schwierig und die Faktenlage dünn.
  • Kanzleramtschef Altmaier ist nicht überzeugt von der russischen Spur, weshalb ein Geheimdienstbericht unter Verschluss bleibt.

Von Georg Mascolo und Nicolas Richter

Es war im Herbst, da erhielt Peter Altmaier, Chef des Bundeskanzleramts, ein vertrauliches Dokument. Die 50-seitige Studie stammte von den deutschen Geheimdiensten und sollte eine Frage von Kanzlerin Angela Merkel beantworten: Versucht die russische Regierung, die öffentliche Meinung in Deutschland zu manipulieren?

Der Bericht, den der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz geschrieben haben, analysiert allerhand Beunruhigendes - von der angeblich im Ausland gesteuerten Anti-Merkel-Demo bis hin zum russlandfreundlichen Kampfsportklub. Das Thema passt in die Zeit: Die US-Geheimdienste sind unlängst zu der Überzeugung gelangt, dass der Kreml die amerikanische Präsidentschaftswahl beeinflussen wollte. Deutschland also, wo im Herbst der Bundestag gewählt wird, könnte das nächste Ziel sein.

Die Suche nach Beweisen für diese These allerdings ist schwierig, und sie ist aus Sicht des Kanzleramts nicht gerade erfolgreich verlaufen. Seit Monaten schon liegt die Bilanz der Geheimdienste auf dem Schreibtisch von Kanzleramtsminister Altmaier. Doch eindeutige Belege fehlen. Die Studie soll deswegen unter Verschluss bleiben, die Öffentlichkeit sie also nicht zu lesen bekommen. Bleibt die Frage: Ist die russische Regierung unbeteiligt? Oder ist es den deutschen Geheimdiensten schlicht nicht gelungen, eine systematische Manipulation durch Russland nachzuweisen?

"Weitere Aufklärungsbemühungen" seien notwendig

Der Bericht der deutschen Dienste beschreibt einen Mittelweg. Demnach versucht der Kreml seit 2014 mit einem deutlich "konfrontativeren Kurs", im Westen Unruhe zu stiften - ist aber zugleich sehr geschickt darin, sich nicht dabei erwischen zu lassen. Russische Geheimdienste treten der Studie zufolge nicht in Erscheinung, allerdings könnten diese Aktivitäten "von Personen und Organisationen außerhalb der Dienste durchgeführt werden". Noch spielten diese diversen Akteure "keine herausragende Rolle bei der Gefährdung deutscher Sicherheitsinteressen". Allerdings seien "weitere Aufklärungsbemühungen" notwendig.

Aus Sicht der deutschen Dienste besteht kein Zweifel daran, dass die Fäden - sollte es welche geben - im Kreml zusammenlaufen. Dieser wolle "Uneinigkeit innerhalb der EU und Deutschlands schüren und damit ihre Machtposition schwächen". Koordiniert würden alle Aktionen in der Präsidialadministration, also im unmittelbaren Umfeld von Präsident Wladimir Putin. Dieser Zentralismus zahle sich aus: "So stellt die Bündelung aller Beeinflussungsaktivitäten in der Präsidialadministration doch einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar."

Als Beispiel für den langen Arm des Kreml führen die Geheimdienstler gern den "Fall Lisa" an, der die Kanzlerin auch dazu veranlasste, die Untersuchung in Auftrag zu geben. Anfang 2016 war eine 13-jährige Russlanddeutsche verschwunden, später berichtete sie, von "Südländern" entführt und vergewaltigt worden zu sein. Die Faktenlage war von Beginn an widersprüchlich, aber russische Staatsmedien und der Außenminister stiegen groß ein, wüteten gegen die deutsche Flüchtlingspolitik, es kam zu Demonstrationen von Russlanddeutschen, auch vor dem Kanzleramt.

Hatte sie der Kreml organisiert? Verfassungsschützer befragten jene, die die Demonstrationen angemeldet hatten. Deren Geschichte war immer gleich: Sie hätten ihre Ängste vor der "unkontrollierten Zuwanderung" ausdrücken wollen. Schlussfolgerung der deutschen Dienste: "Eine offene/direkte Steuerung oder Finanzierung durch russische staatliche Stellen oder russische Nachrichtendienste konnte in keinem der Fälle nachgewiesen werden."

"Muslime organisieren Sex-Dschihad in Europa"

Beispiel zwei: Im vorigen Winter kursierte eine auf Russisch verfasste Whatsapp-Nachricht: "Muslime organisieren Sex-Dschihad in Europa am 14. Februar." Angeblich planten muslimische Männer am Valentinstag eine Massenvergewaltigung deutscher Frauen. Ein islamischer Gelehrter habe dazu aufgerufen, die Polizei könne die Frauen nicht schützen. Der Polizei zufolge gelangte die Nachricht "massenhaft" an russischsprachige Deutsche. Wie schon im "Fall Lisa" sollte damit mutmaßlich Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geschürt werden. Insgesamt aber wirkte das Gerücht sehr dilettantisch lanciert. Die deutschen Geheimdienste schließen daraus, dass die russische Regierung wohl nicht im Spiel war.

Beispiel drei: Angeblich pflegt Russland etliche Kontakte mit dem rechten Lager in Deutschland. Über die rechtspopulistische Partei AfD heißt es, man könne "mögliche russische Einflussversuche feststellen". Aber es gibt keine Belege für enge Verbindungen oder gar für Geldflüsse. In Bezug auf Linksextremisten notieren die Geheimdienstler, dass eine Videoagentur des russischen Senders RT bei einer Demonstration gegen den G-7-Gipfel in Elmau Extremisten ohne Vermummung filmen konnte. Das lassen die sich sonst nicht gefallen. Aber was beweist das schon?

Insgesamt nennt der Kanzleramtsbericht eine Fülle von Möglichkeiten, mit denen Russland die öffentliche Meinung beeinflussen könnte. Es gibt den Fernsehsender RT oder die Website Sputnik News, die aus Sicht der Agenten "feindselig" sei und so tue, als herrsche im Westen "das personifizierte Böse". Journalistisch umstritten, um das Mindeste zu sagen, sind beide.

Seit Monaten kursiert der Verdacht, dass Russland hinter Cyber-Angriffen steckt

Oder die russische Kampfsportschule "Systema" in Ludwigsburg: Besonders deren Umfeld ist symptomatisch für die Probleme, auf die Staatsschützer jetzt stoßen. Einerseits klingt das Milieu bedrohlich: Es gibt Kontakte zu russischen Sicherheitsfirmen oder Milizen sowie zum russischen Motorrad- und Rockerklub "Night Wolves", dessen Ideologie "dem Glauben an einen starken russischen Staat" entspringt. Andererseits glauben die Verfassungsschützer auch hier, dass eine "direkte Involvierung" russischer Dienste unwahrscheinlich bis "nahezu ausgeschlossen" sei.

Auf solche Beweisprobleme stoßen deutsche Sicherheitsexperten auch im Bereich der Hacker. Seit Monaten kursiert der Verdacht, dass Russland hinter mehreren Cyber-Angriffen auf den Bundestag steckt und das erbeutete Material mitten im Bundestagswahlkampf gestreut werden könnte. Als Indiz für eine russische Täterschaft gilt, dass die Hacker ihre Computer pünktlich zum russischen Dienstbeginn einschalten und in einem Angriffscode kyrillische Schriftzeichen benutzt haben. Für manche in den Geheimdiensten ist dies schon ein Beleg. Im Kanzleramt scheint man da nicht überzeugt zu sein. Solche Fehler, heißt es, mache der russische Geheimdienst nicht.

Aus der schwierigen Suche nach Beweisen lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Entweder gibt es den vermuteten Angriff durch Putin gar nicht. Oder: Die russischen Dienste sind schlau genug, sich von den Deutschen nicht erwischen zu lassen. Die deutschen Agenten neigen eindeutig zur zweiten Version. Zwar habe man russischer Beeinflussungsaktivitäten durch "formale Geheimdienststrukturen" nicht feststellen können, heißt es. "Sorge bereitet jedoch der Einsatz nicht formal den Geheimdiensten angehörender Personen bzw. Organisationsstrukturen für faktische geheimdienstliche Aktivitäten." Es wird also ausdrücklich nicht Entwarnung gegeben. Die "Unberechenbarkeit der Akteure in Russland", heißt es, erlaube keine konkrete Prognose zur weiteren Entwicklung in Deutschland.

Die deutschen Geheimdienste waren in dieser Sache jedenfalls schon einmal alarmistischer als es die Politik jetzt ist. Schon bevor der Bericht fertig war, unterrichteten sie Bundestagsabgeordnete. Kanzleramtschef Altmaier wiederum ist nicht überzeugt von der russischen Spur, weshalb der Bericht unter Verschluss bleibt. Auch darin aber liegt schon eine Botschaft an den Kreml: Wir haben zwar nichts gefunden, aber wir schauen genau hin.

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