Demonstrationen:Ostermarsch im Gänseschritt

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Früher waren die Ostermärsche Massendemonstrationen. Heute kommen, wie hier in Bremen, meist nur ein paar hundert Menschen zusammen. (Foto: dpa)

Die Kriegsbedrohung war selten so groß, aber die Friedensbewegung versickert - auch deshalb, weil sie heute keinen klaren Gegner mehr hat.

Von Willi Winkler

Bei der erbitterten Debatte im Bundestag fühlte sich die Opposition an das Ermächtigungsgesetz der Nazis erinnert, aber die Regierung brachte ihren Antrag, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten, mit 270 gegen 165 Stimmen mühelos durch. Die Gegner blieben auf der Strecke, sie mussten auf die Straße. Im Frühjahr 1958 versammelten sich in den Großstädten Westdeutschlands Hunderttausende, um gegen den befürchteten Atom-Tod zu demonstrieren. Die Gewerkschaften riefen zum Streik, Schriftsteller organisierten sich gegen die Regierungsübermacht. So war das damals zur Osterzeit.

Auf dem Römer in Frankfurt wandte sich der 28 Jahre alte Philosoph Jürgen Habermas gegen eine "Politik der Stärke". Die Studentenzeitschrift Diskus druckte Habermas' Rede unter dem Titel "Unruhe erste Bürgerpflicht". Der frühere CDU-Innenminister Gustav Heinemann, inzwischen Abgeordneter der SPD, wollte nichts mehr hören von der Bewährung im Krieg: "Heute müssen wir uns im Frieden bewähren."

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Nie war die deutsche Friedensbewegung stärker als in der Osterzeit vor sechzig Jahren. Davon können die Nachläufer von heute nur träumen. Am Osterwochenende treffen sich bestenfalls ein paar Zehntausend unter dem Banner der Abrüstung. Die Demonstrationslust bewegt sich im kaum messbaren Bereich. Noch 1981 war das anders, als Bundeskanzler Helmut Schmidt den Nato-Doppelbeschluss durchsetzte. Im Bonner Hofgarten protestierten dagegen mehr als dreihunderttausend Menschen.

Ein fester Kern von Unermüdlichen

Der Gegner war damals klar definiert, es war der US-Präsident, dem der deutsche Bundeskanzler folgte (aller Wahrscheinlichkeit nach war es genau umgekehrt), und diese Eindeutigkeit fehlt dem Protest heute. Die Türkei greift in Syrien die Kurden an, Iran bildet finstere Koalitionen, und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un droht den USA, womöglich mit Unterstützung aus China, mit einem Atomschlag. Die Kriegsbedrohung war selten so groß, aber die Friedensbewegung versickert.

Nicht nur die Friedensbewegung, die ganze Gesellschaft habe sich verändert, meint Christian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn. An Ostern treffe sich regelmäßig ein fester Kern von Unermüdlichen, um für den Frieden zu demonstrieren. Aber Ostern sei inzwischen auch ein klassischer Urlaubstermin, der Ostermarsch jedoch nicht mehr der klassische Ort, um Gleichgesinnte zu treffen. Und natürlich sei es heute eine Kleinigkeit, in kürzester Zeit im Netz eine Protestresolution mit hunderttausend Unterschriften zu organisieren.

Der Soziologe Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung spürt dennoch einen "diffusen Unmut". "Vor allem die Jüngeren sind unzufrieden mit dem jetzigen Klein-Klein der Politik. Es fehlen ihnen die Visionen." Er möchte nicht mit einem hoffnungslosen Idealisten verwechselt werden, hält es aber sehr wohl für denkbar, dass die Mobilisierung wieder stärker wird. Mit Blick auf die jüngsten Großdemonstrationen in den USA sieht er die Möglichkeit, dass sich der Unmut zu einem grundsätzlichen politischen Engagement verstärkt. Ruchts frohe Osterbotschaft: "Das Potenzial wächst."

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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