Demonstrationen:Ölzweige und Wasserwerfer

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Einige Demonstrantinnen in Köln hielten Plakate mit einem Foto von Havrin Khalaf, einer kurdischen Politikerin, die in Syrien getötet wurde. (Foto: Fabian Strauch/dpa)

Tausende Kurden gehen in Deutschland gegen den Einmarsch der Türkei in Syrien auf die Straße. Entgegen den Befürchtungen bleibt es dabei weitgehend friedlich.

Von Matthias Drobinski, Köln

Die Befürchtungen der Polizei haben sich nicht bestätigt: Die pro-kurdischen Kundgebungen in mehreren deutschen Großstädten am Wochenende gegen die Militäroffensive in der Türkei in Nordsyrien verliefen weitgehend störungsfrei. 10 000 Menschen protestierten in Köln, 4500 in Frankfurt und 3000 in Hannover. In Berlin wurden 2000, in Hamburg 800 Teilnehmer gezählt. Nur in Stuttgart kam es zu einem Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der Polizei. In einem Regionalzug nach Essen wiederum wurden einige Kurden nach Ende des Kölner Protestzugs von Fußballfans attackiert.

Gerade in Köln war die Situation vor dem Protestzug angespannt. Polizeipräsident Uwe Jacob hatte in einer dramatischen Pressekonferenz Stadt und Land aufgeschreckt, man habe Erkenntnisse, dass 1000 und mehr gewaltbereite und zum Teil mit Messern bewaffnete kurdische Jugendliche aus ganz Europa nach Köln kommen wollten - und dass türkische Nationalisten planten, die Demonstration zu stören. Man überlege ein Verbot der Demonstration und habe vier Wasserwerfer, mehrere Hundertschaften Polizisten sowie Anti-Krawall-Spezialkräfte mobilisiert. Sollten sich die schlimmen Szenen aus den 1990er-Jahren wiederholen, als militante Aktivisten der heute verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK Autobahnen blockierten, sich Schlachten mit der Polizei lieferten, gar selber anzündeten?

Doch der Start des Protestzugs am Kölner Chlodwigplatz am Samstag ist dann alles andere als machtvoll. Vielleicht tausend Demonstrantinnen und Demonstranten haben sich bis Mittags versammelt. Die Kurden-Aktivisten verteilen gelbe und grüne Fähnchen mit den Emblemen der YPG-Miliz, die jungen Leute mit bunt gefärbten Haaren von der "Fridays for Future"-Bewegung nesteln an ihrem Transparent, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands reckt ihre Fahne in den Wind, die Linke fährt mit dem roten Lastenrad vor. Weiter hinten hat jemand Ölzweige mitgebracht. Am Rande des Platzes döst ein riesiger blauer Wasserwerfer wie ein böses Tier, das man besser nicht weckt, ein gutes Motiv für Erinnerungsfotos. Die Polizisten haben ihre Helme abgesetzt.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz wundert sich über die Horrorszenarien der Polizei. Sie stammt aus dem türkischen Kurdengebiet und setzt sich als Politikerin für die Belange der Kurden ein, "da bekomme ich schon einiges von dem mit, was in der Szene diskutiert wird". Sie habe keine Information über "gewaltbereite Messerstecher" gehabt, sondern vor allem "Aufrufe zum Gewaltverzicht gesehen". Es stelle sich die Frage, "ob die Sorge der Polizei begründet war, oder ob hier friedliche Demonstranten abgeschreckt werden sollten". Dabei bräuchte es gerade jetzt ein breites Bündnis gegen Erdoğans aggressive Politik, die Türken in Deutschland eingeschlossen: "Das ist kein Konflikt zwischen Türken und Kurden", sagt Aymaz, "das ist ein Konflikt zwischen Kriegstreibern und denen, die Frieden wollen."

Bunt ist das Bündnis auf jeden Fall, das sich nun in Siebenerreihen zum Demonstrationszug formt. Von einem Pritschenwagen aus tragen die Lautsprecher die Anweisungen der Veranstalter über den Platz: friedlich bleiben, nicht provozieren lassen, keine Bilder des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan zeigen. Das hat die Polizei verboten. Die verschiedenen Kurdengruppen aus der Türkei, dem Irak und Syrien haben ihre Konkurrenz hintangestellt: Wir haben für den Westen den Terror des IS bekämpft, verkünden ihre Sprecher, ohne unsere Toten hätte es im Westen mehr Tote gegeben. Und nun verrät uns US-Präsident Donald Trump an Erdoğan, nun belässt es der Westen bei zahnlosen Protesten, nun bringen in Deutschland produzierte Waffen unsere Verwandten um.

Die Polizei bildet Grüppchen, sobald der Protestzug ein türkisches Geschäft passiert

Für Roken und Rabin, Lewend, Sherin und Lavin, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 13 und 26 Jahren, ist dieser Konflikt sehr nah: Die Oma lebt im Kriegsgebiet, Onkel und Tante sind da, einen entfernten Cousin hat der IS gefangen genommen und regelrecht zerstückelt, erzählen sie. "Unsere Oma hat jeden Tag Angst", sagt Roken, die Älteste, "und wir schlafen auch nicht mehr." Sie tragen weiße T-Shirts, blutrot verschmiert, und einen Arztkittel, weil ja auch die Krankenhäuser angegriffen würden. Von Karneval hatten sie noch Kunstblut übrig, damit haben sie sich jetzt Wunden am Hals und blutrote Hände gemacht, ein Kissen noch in der Nacht zum Kinderkörper umgenäht, den sie jetzt auf dem Arm tragen, "Erdoğan tötet ja auch Kinder".

Der Zug geht durch die Südstadt, vorbei an türkischen Friseurläden und Dönerbuden. Manchmal haben die Geschäfte einfach zu, manchmal stehen die Besitzer und Angestellten vor der Tür, ihre Arme verschränkt. Alles bleibt friedlich, vielleicht auch, weil die Polizei massiv präsent ist und Grüppchen bildet, sobald ein türkisches Geschäft in Sicht kommt. Als sich der Zug vom Chlodwigplatz am Hohenzollerndamm mit der anderen Demonstration vom Ebertplatz vereint, leuchtet es auf einmal auf und riecht streng wie an Silvester - jemand hat einen Bengalo gezündet, sofort sind Polizisten da. Später wird die Polizei von einer beschlagnahmten Öcalan-Fahne berichten und ein paar PKK-Sprechchören - und dass sie 10 000 Teilnehmer gezählt habe, deutlich weniger als erwartet.

Es beginnt zu regnen, die Abschlusskundgebung wird zur triefenden Angelegenheit, wer kann, drückt sich in einen Hauseingang oder unter ein Vordach, viele gehen gleich zum Bahnhof. Nass hängen die Fahnen herunter, dem traurigen Anlass angemessen.

© SZ vom 21.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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