Demonstrationen - Hanau:Hanauer Anschlag: Familien rufen gegen Rassismus auf

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Fotos der Opfer bei der Gedenkveranstaltung zu den rassistisch motivierten Anschlägen in Hanau. Foto: Boris Roessler/dpa (Foto: dpa)

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Hanau (dpa/lhe) - Sie wollen keine Ruhe geben und fordern Konsequenzen: Angehörige und Freunde der neun Opfer des Anschlags von Hanau haben am Samstag die Aufklärung der Tat und einen entschiedenen Kampf gegen Rassismus in Deutschland gefordert. "Ihr werdet es nicht schaffen, uns mundtot zu machen, unsere Forderungen werden immer lauter werden", sagte der Cousin eines der Getöteten und rief unter dem Applaus der knapp 250 Teilnehmern der Kundgebung: "Es lebe die Menschheit, es lebe die Demokratie, es lebe die Freiheit!" Rassisten müssten entwaffnet werden, um Taten wie die von Hanau künftig zu verhindern.

Dort hatte am 19. Februar ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen, bevor er vermutlich seine Mutter und sich selbst tötete. Zuvor hatte der Mann Pamphlete mit Verschwörungsmythen und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht. Angehörige und Vertreter der "Initiative 19. Februar" fordern auch deshalb Aufklärung und werfen den Behörden unter anderem vor, "Warnsignale" nicht ernst genommen zu haben.

"Wie kann es sein, dass dieser Täter, der so oft auffällig war, nicht aus dem Verkehr gezogen wurde", fragte etwa Ajla Kurtović, deren Bruder Hamza bei dem Anschlag getötet wurde. Ein halbes Jahr nach der Tat seien noch immer viele Fragen offen, auf die Antworten fehlten. "Wir erwarten und fordern eine lückenlose Aufklärung, damit daraus Lehren gezogen werden und sich so eine schreckliche Tat nicht wiederholt."

Die Schwester eines anderen Anschlagsopfers erklärte, es gelte, für eine Gesellschaft mit mehr Respekt und weniger Hass einzutreten. "Nicht unsere Herkunft macht uns aus, sondern unsere Menschlichkeit", sagte sie. "Wir werden niemals vergessen, wir werden niemals loslassen, und wir werden niemals aufhören zu kämpfen."

Bei der Kundgebung sprach auch die Ehefrau des Mannes aus Eritrea, der von einem rassistisch motivierten Täter im Juli vergangenen Jahres in Wächtersbach niedergeschossen worden war. Die Schüsse hätten ihren Mann fast umgebracht, sagte sie. "Die Schüsse haben auch unser Leben verändert." Ihr Mann könne nicht mehr arbeiten, nach der Tat seien sie nach Hanau umgezogen - um im Februar dann von einer weiteren rassistischen Gewalttat zu erfahren. Ihr Mann habe danach nicht mehr allein aus dem Haus gehen können. Sie sei zu der Kundgebung gekommen, "damit sich etwas ändert und wir als Menschen zusammenleben können".

Aufgerufen zu der Kundgebung hatte die "Initiative 19. Februar", nachdem eine ursprünglich für Samstag geplante Demonstration mit tausenden erwarteten Teilnehmern am Vorabend von der Stadt Hanau wegen einer stark gestiegenen Zahl von Corona-Infektionen untersagt worden war. Zugleich hatte die Stadt mitgeteilt, dass den Angehörigen auf einer Alternativ-Veranstaltung mit einer auf 249 Menschen beschränkten Teilnehmerzahl die Möglichkeit gegeben werden sollte zu sprechen.

Diese Zahl wurde im Bereich vor einer Bühne nach Polizeiangaben eingehalten; im näheren Umfeld standen weitere rund 100 Menschen. Die Stimmung blieb bis zum Ende der Veranstaltung friedlich. Viele der Teilnehmer hielten Schilder mit Potrträts der Getöteten oder der Aufschrift "Wir fordern: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen" hoch - unter diesem Motto hatte die Initiative zu der Kundgebung aufgerufen.

Schon in den vergangenen Monaten hatte die Covid-19-Pandemie den Angehörigen der Getöteten schwer zu schaffen gemacht, weil es wenige Wochen nach der Tat zum Lockdown kam, der persönliche Begegnungen und Gespräche, aber auch therapeutische Behandlungen erschwerte. Nach der Absage der Demonstration, zu der Gruppen aus ganz Deutschland hatten anreisen wollen, war aus anderen Regionen teils Bedauern, teils auch Kritik an der Absage durch die Stadt gekommen. In Dortmund formierte sich ein spontane Demonstration und auch in Kassel rief der Deutsche Gewerkschaftsbund zu mehreren Kundgebungen auf.

Solidarisch mit den Angehörigen der Getöteten zeigte sich auch der Präsident des Fußballclubs Eintracht Frankfurt, Peter Fischer. Es gebe keine Worte, um die Tat zu beschreiben, sagte er. Aber: "Wir können reden, wir können uns wehren, wir können laut sein, wir können uns solidarisieren." Fischer engagiert sich seit Jahren gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Man brauche keine Politiker, die nur zum Kondolieren kämen, unterstrich er. "Wir brauchen starke Menschen, eine starke Politik, klare Kanten." Es gelte, eine klare Botschaft zu verbreiten: "Wir wollen keine Nazis, wir brauchen euch braunen Sumpf nicht. Wir wehren uns gegen euch, weil wir mehr sind, ihr werdet keine Chance haben."

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