Demonstrationen - Hanau:Aufruf zu Kampf gegen Rassismus in Hanau

Demonstrationen
Der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (M.) auf dem Zentralen Marktplatz. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Hanau (dpa/lhe) - Der Anschlag von Hanau mit neun Toten soll die letzte rassistische Gewalttat in Deutschland sein - mit dieser Botschaft haben die Familien und Freunde der Opfer am Samstag bei einer Kundgebung zu einem entschiedeneren Kampf gegen Rassismus aufgerufen. Erneut forderten sie die lückenlose Aufklärung der Tat und Konsequenzen. Unterstützung erhielten sie von Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD), aber auch aus anderen deutschen Städten, in die die Kundgebung per Livestream übertragen wurde. So riefen verschiedene Gruppen, unter anderem in Dortmund, Frankfurt und Kassel, zu spontanen Kundgebungen auf.

"Ihr werdet es nicht schaffen, uns mundtot zu machen, unsere Forderungen werden immer lauter werden", sagte der Cousin eines der Getöteten und rief unter dem Applaus der knapp 250 Teilnehmer der Kundgebung in Hanau: "Es lebe die Menschheit, es lebe die Demokratie, es lebe die Freiheit!" Rassisten müssten entwaffnet werden, um Taten wie diese künftig zu verhindern.

An mehreren Tatorten in der Stadt hatte am 19. Februar ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen, bevor er vermutlich seine Mutter und sich selbst tötete. Zuvor hatte der Mann Pamphlete mit Verschwörungsmythen und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht. Angehörige und Vertreter der "Initiative 19. Februar" fordern auch deshalb Aufklärung und werfen den Behörden unter anderem vor, "Warnsignale" nicht ernst genommen zu haben.

"Wie kann es sein, dass dieser Täter, der so oft auffällig war, nicht aus dem Verkehr gezogen wurde", fragte etwa Ajla Kurtović, deren Bruder Hamza bei dem Anschlag getötet wurde. Ein halbes Jahr nach der Tat seien noch immer viele Fragen offen, auf die Antworten fehlten. "Wir erwarten und fordern eine lückenlose Aufklärung, damit daraus Lehren gezogen werden und sich so eine schreckliche Tat nicht wiederholt."

Die Schwester eines anderen Anschlagsopfers erklärte, es gelte, für eine Gesellschaft mit mehr Respekt und weniger Hass einzutreten. "Nicht unsere Herkunft macht uns aus, sondern unsere Menschlichkeit", sagte sie. "Wir werden niemals vergessen, wir werden niemals loslassen, und wir werden niemals aufhören zu kämpfen."

Bei der Kundgebung sprach auch die Ehefrau des Mannes aus Eritrea, der von einem rassistisch motivierten Täter im Juli vergangenen Jahres in Wächtersbach niedergeschossen worden war. Die Schüsse hätten ihren Mann fast umgebracht, sagte sie. "Die Schüsse haben auch unser Leben verändert." Ihr Mann könne nicht mehr arbeiten, nach der Tat seien sie nach Hanau umgezogen - um im Februar dann von einer weiteren rassistischen Gewalttat zu erfahren. Ihr Mann habe danach nicht mehr allein aus dem Haus gehen können. Sie sei zu der Kundgebung gekommen, "damit sich etwas ändert und wir als Menschen zusammenleben können".

Aufgerufen zu der Kundgebung hatte die "Initiative 19. Februar", nachdem eine ursprünglich für Samstag geplante Demonstration mit 3000 bis 5000 erwarteten Teilnehmern am Vorabend von der Stadt Hanau coronabedingt untersagt worden war. Zugleich hatte die Stadt mitgeteilt, dass den Angehörigen auf einer Alternativ-Veranstaltung mit einer auf 249 Menschen beschränkten Teilnehmerzahl die Möglichkeit gegeben werden sollte zu sprechen.

Diese Zahl wurde im Bereich vor einer Bühne nach Polizeiangaben eingehalten, im näheren Umfeld standen weitere rund 100 Menschen. Die Stimmung blieb bis zum Ende der Veranstaltung friedlich. Viele der Teilnehmer hielten Schilder mit Porträts der Getöteten oder der Aufschrift "Wir fordern: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen" hoch.

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) lobte am Sonntag die Veranstalter für ihre Reaktion auf die Absage der Demo. Sie seien "vorbildlich mit der für sie sicher enttäuschenden Absage der Demonstration umgegangen", erklärte Kaminsky. Er stellte sich zugleich erneut hinter die von den Rednern an die Adresse der Ermittlungsbehörden gerichtete Forderung nach Aufklärung des Anschlags. Wenn der Eindruck entstehe, egal ob begründet oder nicht, dass etwas verheimlicht werde, dann schade das der Trauerarbeit, sagte Kaminsky.

Hintergrund der Absage der Demonstration war ein starker Anstieg der Corona-Infektionszahlen in Hanau. Ein Stadtsprecher berichtete am Sonntag von einem weiteren Anstieg auf nun 60 Fälle pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Die Stadt mit zuletzt knapp unter 100 000 Einwohnern gehört zum Main-Kinzig-Kreis, strebt aber die Kreisfreiheit an. An diesem Montag werde man mit dem Landkreis Maßnahmen beraten, um die Pandemie einzudämmen, sagte der Sprecher.

Schon in den vergangenen Monaten hatte die Corona-Pandemie den Angehörigen der Getöteten schwer zu schaffen gemacht: Wenige Wochen nach der Tat wurden weite Teile des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens heruntergefahren - was persönliche Begegnungen und Gespräche, aber auch therapeutische Behandlungen erschwerte. Nach der Absage der Demonstration, zu der Gruppen aus ganz Deutschland hatten anreisen wollen, war aus anderen Regionen teils Bedauern, teils auch Kritik an der Absage durch die Stadt gekommen.

Solidarisch mit den Angehörigen der Getöteten zeigte sich bei der Kundgebung auch der Präsident des Fußballclubs Eintracht Frankfurt, Peter Fischer. Es gebe keine Worte, um die Tat zu beschreiben, sagte er. Aber: "Wir können reden, wir können uns wehren, wir können laut sein, wir können uns solidarisieren." Fischer engagiert sich seit Jahren gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Man brauche keine Politiker, die nur zum Kondolieren kämen, unterstrich er. "Wir brauchen starke Menschen, eine starke Politik, klare Kanten." Es gelte, eine klare Botschaft zu verbreiten: "Wir wollen keine Nazis, wir brauchen euch braunen Sumpf nicht. Wir wehren uns gegen euch, weil wir mehr sind, ihr werdet keine Chance haben."

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