Süddeutsche Zeitung

Demonstrationen - Berlin:Widerstand gegen Corona-Verordnung: Mehrere Demos in Berlin

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Berlin (dpa/bb) - In Berlin haben trotz der Lockerungen von Einschränkungen in der Corona-Krise so viele Menschen gegen die Verordnungen demonstriert wie an keinem Wochenende davor. Am Samstag versammelten sich spontan laut Polizei etwa 1200 Menschen am Alexanderplatz zu einer nicht angemeldeten Zusammenkunft. Die Polizei sprach am Sonntag von einer "teils großen Aggressivität". Viele Teilnehmer skandierten unter anderem "Freiheit", "Widerstand", "Volksverräter" und "Wir alle sind das Volk".

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) warnte vor dem Missbrauch von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen durch Extremisten. "Auf den sogenannten Hygienedemos am Alexanderplatz und vor dem Reichstag werfen Systemverächter den Demokraten vor, die Grundrechte zu missbrauchen. Das ist verkehrte Welt", sagte Geisel dem "Tagesspiegel" am Sonntag (Online-Ausgabe). Dort herrsche eine krude Mischung aus genereller Wut gegen alles, Verschwörungstheorien und esoterisch angehauchten Impfzweifeln.

Die Leute sollten sich gut überlegen, an welcher Seite sie eigentlich demonstrierten. "Ich kann nur sagen: Lassen Sie sich von Extremisten nicht vor den Karren spannen." Der Innensenator sagte zudem, je mehr Menschen auf engstem Raum zusammenkämen, desto höher sei das Infektionsrisiko. Er betonte aber auch, man ordne das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit sehr hoch ein. Die vielen friedlichen Demonstrationen, die es an diesem langen Wochenende ja auch gegeben habe, zeigten, dass die Menschen das verstanden hätten und damit sehr vernünftig umgingen.

Auf dem Alexanderplatz kam es immer wieder zu Rangeleien mit Polizisten, begleitet von lauten Rufen umstehender Menschen. Zahlreiche Zuschauer hielten auf dem dicht gefüllten Alexanderplatz ihre Smartphones in die Luft und filmten die Szenen. Einige Demonstranten kletterten auf den Brunnen der Völkerfreundschaft.

Aus der Menge wurden laut Polizei Flaschen auf Beamte geworfen. Die Polizei setzte nach Beobachtungen eines dpa-Fotografen Pfefferspray ein. 86 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Es wurden Strafverfahren unter anderem wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte eingeleitet, erklärte die Polizei.

Der Mindestabstand von 1,50 Metern wurde auf dem Platz, auf dem auch viele Einkäufer unterwegs waren, trotz mehrmaliger Lautsprecherdurchsagen der Polizei oft nicht eingehalten. Erst am Abend beruhigte sich die Lage.

Bei weiteren Kundgebungen vor dem Reichstag und auf dem Rosa-Luxemburg-Platz an der Volksbühne waren ebenfalls Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten unter den Demonstranten. Am Brandenburger Tor protestierte eine weitere Initiative. Auf ihrem Plakat war zu lesen: "Panik-Politik stoppen".

Bei einer Demonstration vor dem Reichstagsgebäude hat die Polizei wegen der Nichteinhaltung von Regeln zur Corona-Eindämmung 45 Menschen festgenommen. Dabei ging es vor allem um die Feststellung der Personalien, weil trotz der Ansage der Polizei zu viele Menschen auf dem Platz vor dem Reichstag waren oder der Mindestabstand nicht eingehalten wurde. Auch der für seine veganen Rezepte bekannte Koch Attila Hildmann wurde von der Polizei aufgefordert, sich einen anderen Protestplatz zuweisen zu lassen, nachdem sich vor dem Reichstag im Zusammenhang mit der Demonstration "Emotionen hochgeschaukelt" hätten, wie eine Sprecherin sagte. Er sei aber nicht festgenommen worden und habe den Platz später verlassen.

Die Polizei habe in mehreren Lautsprecherdurchsagen darauf hingewiesen, dass die maximale Teilnehmerzahl von 50 Menschen überschritten sei, berichtete die Sprecherin. Dem sei nicht Folge geleistet worden, daher habe die Polizei eingegriffen. Am vergangenen Mittwoch war bei einer Ansammlung vor dem Reichstag ein ARD-Fernsehteam angegriffen worden.

Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz an der Volksbühne und in der Umgebung waren zwölf Kundgebungen angemeldet. Die Polizeisprecherin sprach von einer "Vielfalt der Meinungen". Die Kundgebungen hatten demnach Titel wie "Der die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen", "Grundgesetz statt Corona-Wahnsinn", "Hygiene-Zeitungsverteilung", aber auch "Gegen Rechtsextremismus", "Kein Platz für Nazis", "Gesundheit ohne Zucker" oder "Gemeinsames Beisammensein bei Sonnenschein".

Laut der aktuellen Verordnung des Berliner Senats sind wegen der Corona-Krise Versammlungen mit bis zu 50 Teilnehmenden gestattet, wenn sie an einem festen Ort stattfinden. Es muss der Abstand von 1,50 Meter eingehalten werden. Wenn man sich nicht an die Regeln hält, können die Personalien aufgenommen werden und es kann zu Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren kommen. Die Polizei war eigenen Angaben zufolge den Tag über mit 1000 Beamten in der Stadt im Einsatz.

Seit einigen Wochen kommt es vor der Volksbühne immer wieder zu Protesten von Gegnern der Eindämmungsverordnung. Am 1. Mai hatte die Polizei eine sogenannte Hygiene-Demonstration schnell aufgelöst. Kurz danach wurde einige Straßen weiter ein ZDF-Fernsehteam brutal angegriffen.

Nach Angaben des Berliner Soziologen Simon Teune haben Teilnehmer von Protestveranstaltungen gegen Corona-Maßnahmen nicht unbedingt einen gemeinsamen politischen Hintergrund. "Die Veranstaltungen haben das Potenzial, verschiedene Gruppen anzuziehen, die eine ganz unterschiedlich motivierte Kritik haben", sagte Teune der Deutschen Presse-Agentur. "Ich glaube aber, das Potenzial ist beschränkt, weil klar wird, dass da sehr kuriose Gestalten unterwegs sind, dass man es zum Teil mit extrem Rechten zu tun hat, die Journalisten angreifen", sagte der Protestforscher an der TU Berlin weiter. Das sei nichts, was für eine Massenmobilisierung taugte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200509-99-999398
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Direkt aus dem dpa-Newskanal