Demonstration in Köln:Warum Erdoğan in Köln nicht zugeschaltet werden durfte

Demo von Erdogan-Anhängern in Köln

Die Anhänger von Recep Tayyip Erdoğan mussten am Sonntag in Köln ohne eine Videobotschaft auskommen.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Bei der rechtlichen Beurteilung muss man drei Dinge unterscheiden: Sicherheitsrecht, Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die deutsche Souveränität.
  • Sicherheitsrecht: Auch die Auswahl der Redner gehört zur Versammlungsfreiheit. In einer hochangespannten Sicherheitslage muss aber auch dafür Sorge getragen werden, dass keine aufpeitschenden Reden gehalten werden.
  • Versammlungs- und Meinungsfreiheit: Zum Schutzgehalt dieser Grundrechte gehört es nicht, dass Demonstranten einen Anspruch darauf haben, ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder reden zu lassen.
  • Deutsche Souveränität: Ein ausländischer Politiker kann nicht so einfach in ein anderes Land einfliegen und dort Reden halten.

Analyse von Heribert Prantl

Aufsehenerregende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe sind normalerweise auch physisch gewichtig; sie haben gut und gern hundert Seiten und mehr. Die hier nicht. Dieser Karlsruher Beschluss zum Video-Nichtauftritt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist superkurz: Vom Bundesadler und der Formel "Im Namen des Volkes" bis zum Satz "Diese Entscheidung ist unanfechtbar" und der Unterschrift dreier Verfassungsrichter (es handelt sich um den Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof sowie die Richter Johannes Masing und Susanne Baer als 3. Kammer des 1. Senats) passt alles auf ein einziges Blatt Papier. Die Richter haben dem Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung Erdoğan per Video auf der Kölner Großdemonstration reden zu lassen, nicht stattgegeben.

In der Kürze liegt hier weder Würze noch versteckte Kritik Karlsruhes an Erdoğan, der ja keinen Hehl aus seiner Missachtung des türkischen Verfassungsgerichts macht; und die knappen sechs Zeilen Entscheidungsbegründung sind auch keine verkappt-pikierte Solidaritätserklärung der Karlsruher Richter mit ihren verfemten Kollegen in der Türkei. Es ist schlichtweg recht so. Es handelt sich um eine Entscheidung im Eilverfahren.

Solche Entscheidungen sind immer kurz und knapp. In diesem Fall hätte auch ein einziger Satz genügt: Die Vollmacht der Rechtsvertreter der Erdoğan-Freunde genügte nach Ansicht der Verfassungsrichter den gesetzlichen Anforderungen nicht; sie war nicht konkret auf den Fall bezogen. Das machte den Antrag unzulässig. Die Richter haben aber noch zwei Sätze hilfsweise hinterher geschoben: "Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt, weil eine Verfassungsbeschwerde in gleicher Sache nach dem Antrag des Antragstellers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hätte. Es ist danach nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Entscheidungen Grundrechte des Antragstellers verletzt hätten".

Die UETD wollte Erdoğan per Video zuschalten

Der Veranstalter der Demonstration war die UETD, die "Union Europäisch-Türkischer Demokraten"; sie ist ein Auslandsableger der Erdoğan-Partei AKP. Sie wollte Erdoğan per Video zu einer Rede an die Demo-Teilnehmer zuschalten. Die Kölner Sicherheitsbehörde hatte das abgelehnt, das Verwaltungsgericht Köln und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen beließen es bei dieser Ablehnung. Die Aufstellung einer Videoleinwand auf der Bühne war nur mit der Maßgabe gestattet worden, dass die Videoleinwand "ausschließlich zur vergrößerten Darstellung der persönlich bei der Versammlung anwesenden Redner" benutzt werden darf.

Große Versammlungen unter freiem Himmel, wie Demonstrationen im Juristendeutsch heißen, unterliegen stets besonderen Sicherheitsauflagen. Das Verfassungsgericht hatte nun aber nicht zu prüfen, ob die "Kein-Video-Auflage" eine politisch und eine sicherheitsrechtlich kluge Maßnahme ist, sondern ob dies in Grundrechte eingreift. Ein Grundrecht des Demo-Veranstalters darauf, dass Erdoğan live oder per Video in Köln auftreten darf (nicht mehr besagt die Karlsruher Entscheidung) gibt es aber nicht. Das höchste Gericht hat Erdoğan nicht den Auftritt verboten; es hat nur erklärt, dass dem Veranstalter für einen solchen Auftritt kein Grundrecht zur Seite springt.

Zum Demonstrationsgrundrecht gibt es Karlsruher Judikate in Hülle und Fülle. Entscheidungen dazu, dass Träger ausländischer Staatsgewalt sich an Demonstrationen in Deutschland beteiligen, gibt es bisher nicht. Da hätten die Antragsteller also schon Triftiges vorbringen müssen, um die Entscheidung der Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte als offensichtlich verfassungswidrig zu brandmarken. Bei der rechtlichen Beurteilung der ganzen Sache muss man drei Dinge unterscheiden - das Sicherheitsrecht, das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die deutsche Souveränität.

Deutschland ist der viertgrößte türkische Wahlbezirk nach Istanbul, Ankara und Izmir

Erstens das Sicherheitsrecht. Die Verwaltungsbehörde, bei der eine Demonstration anzumelden ist, muss dafür sorgen, dass die "öffentliche Sicherheit" und die "öffentliche Ordnung" gewährleistet bleiben. Zu diesem Zweck gibt es alle möglichen Auflagen - zum Ort, zum Ablauf und zur Organisation. Zwar gehört grundsätzlich auch die Auswahl der Redner zur Versammlungsfreiheit. In einer hochangespannten Sicherheitslage muss auch dafür Sorge getragen werden, dass keine aufpeitschenden Reden gehalten werden.

Wenn dies dann wirklich geschähe, wäre es - wenn ein hochgestellter ausländischer Politiker redet - einigermaßen problematisch, eine Videoübertragung aus Sicherheitsgründen abzubrechen. Die Rede des türkischen Staats- und Parteichefs bei einer deutschen Großdemonstration ist da womöglich anders zu beurteilen als eine Videobotschaft des Papstes beim Katholikentag.

Zweitens: die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Sie sind Rechte der Bürger, nicht Rechte der Staatsgewalt. Die Grundrechte sind in erster Linie als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat konzipiert. Zum Schutzgehalt dieser Grundrechte gehört es nicht, dass Demonstranten einen Anspruch darauf haben, ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder reden zu lassen. Deren Möglichkeit "zur Abgabe politischer Stellungnahmen im Bundesgebiet ist nach der Systematik des Grundgesetzes nicht grundrechtlich fundiert", heißt es in der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen.

Ein Videoauftritt ist gewiss nicht so eine Art kleiner Staatsbesuch

Drittens, und das ist besonders prickelnd, geht es um die deutsche Souveränität. Ein ausländischer Politiker kann nämlich nicht so einfach in ein anderes Land einfliegen und dort, wo es ihm gerade gefällt, Reden halten. Die Besonderheit im Fall des türkischen Präsidenten ist freilich, dass in Deutschland zwei Millionen türkische Wahlberechtigte leben - Deutschland ist damit der viertgrößte türkische Wahlbezirk nach Istanbul, Ankara und Izmir. Das eröffnet zwar keinem türkischen Politiker freien Zugang zu jedwedem Auftritt in Deutschland, erfordert aber bei der diplomatischen Vorbereitung auf beiden Seiten einige Sensibilität; diese Sensibilität obliegt den Protokollabteilungen der Außenministerien. Ein Videoauftritt ist gewiss nicht so eine Art kleiner Staatsbesuch; aber es handelt sich immerhin um einen öffentlichen Auftritt in einem anderen Staat.

Erdoğan hat etliche Male in Deutschland geredet - nicht im Rahmen von Staatsbesuchen oder sonstigen offiziellen Besuchen; dafür gibt es genaue Regularien mit allerlei Brimborium. Es handelte sich jeweils um Besuche ohne offiziellen Charakter. Die Reden dabei, 2008 in Köln, 2011 in Düsseldorf, 2014 wiederum in Köln waren inhaltlich hoch umstritten. Ein Präjudiz für ein Recht zu jedwedem weiteren Auftritt kann daraus nicht abgeleitet werden.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Rechtslage schön zusammengefasst: "Es ist Sache des Bundes zu entscheiden, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sich ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im öffentlichen Raum durch amtliche Äußerungen politisch betätigen dürfen." Die Entscheidung darüber liegt nicht beim privaten Anmelder einer Demonstration, auch wenn dieser sich ansonsten auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen kann.

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