Demonstration in Chemnitz:600 Polizisten gegen 5000 Rechtsextreme

Die sächsische Landesregierung nennt den Polizeieinsatz in Chemnitz "erfolgreich". Dabei wirkte die Stadt am Montag so, als hätten vor allem gewaltbereite Neonazis und Hooligans das Sagen.

Von Antonie Rietzschel, Leipzig

Michael Kretschmer will nach den Ausschreitungen in Chemnitz die Zweifel an der Handlungsfähigkeit des sächsischen Staats ausräumen. Man lasse sich das Gewaltmonopol nicht aus der Hand nehmen, sagt der Ministerpräsident auf einer Pressekonferenz am Dienstag. "Der sächsische Staat ist handlungsfähig. Und er handelt."

Am Montagabend konnte man als Beobachter in Chemnitz zu einer anderen Einschätzung kommen. Dort versammelten sich 5000 Rechtsextreme und Hooligans. Die Stadt wirkte damit allein gelassen, von den Sicherheitsbehörden aber auch von der Landespolitik.

Innenminister Roland Wöller war am Montag nach Chemnitz gereist und versprach: "Wir werden die Stadt nicht den Chaoten überlassen." Doch am Ende musste sich die sächsische Polizei eingestehen, dass zu wenige Beamte im Einsatz waren. Der Zulauf habe das erwartbare Maß überschritten, sagte noch am Abend ein Sprecher der Polizei. Bundesinnenminister Horst Seehofer fühlte sich zu einem Hilfsangebot bemüßigt: "Sofern von dort angefordert, steht der Bund mit polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung", sagte er.

"Anspannung" unter den Beamten

Michael Kretschmer lehnt heute die Hilfe Seehofers ab - stattdessen lobt er den Polizeieinsatz. Überhaupt sind sich er, der Innenminister sowie Landespolizeipräsident Jürgen Georgie einig: "Der Einsatz war erfolgreich." Georgie spricht auf der Pressekonferenz von der "größten Lage, die es jemals mit solchem Gewaltpotential gab". Die Mobilisierung Rechtsextremer sei über die Landesgrenzen hinaus gegangen. Er spricht von "Anspannung" unter den Beamten. Gerade mal 600 waren es, wie der Landespolizeipräsident auf Nachfrage einräumt.

600 Einsatzkräfte gegen 5000 gewaltbereite Rechtsextreme und Hooligans. Zum Vergleich: Zum "Schild&Schwert"-Festival in Ostritz Anfang des Jahres kamen 1200 Neonazis, 1900 Beamte waren im Einsatz. Angesichts des Kräfteverhältnisses in Chemnitz könnte man eher von der Umkehrung des Gewaltmonopols sprechen. Tatsächlich wirkte es am Montagabend zuweilen so, als hätten vor allem die Rechtsextremen und Neonazis das Sagen in Chemnitz: Die Beamten wurden von ihnen als "Fotzen" beschimpft. Wenn Polizisten herumstreunende Demonstrationsteilnehmer aufforderten, sich zum Versammlungsort zu bewegen, kamen die der Aufforderung zuweilen nicht nach. "Interessiert mich einen Scheiß, was du willst." Ein Mann spuckte diese Worte einem Beamten geradezu ins Gesicht. Folgen: keine.

Am Gedenkort für Daniel H., dessen Tod die Rechtsextremen für spontane Kundgebungen missbrauchten, pöbelte ein Mann mit Glatze herum, bedrängte einen Mann, den er als Journalisten erkannt haben wollte. Im Beisein der Polizei sagte er: "Bei Adi hätte es das nicht gegeben. Die Zeiten sind leider vorbei." Auch hier reagierten die Beamten nicht, obwohl oder eben weil die Stimmung aggressiv war.

Kurz vor 20 Uhr stürmten Neonazis und Hooligans auf die Straße, die sie von den Gegendemonstranten trennte. Beide Seiten warfen Böller und Gegenstände. Es gab 18 Verletzte. Die Beamten fuhren mit zwei Wasserwerfen vor, die sie als Trennwand einsetzten.

"Wir werden den Kampf in Sachsen gewinnen."

"Wir haben eine solche Auseinandersetzung wie in Chemnitz zum ersten Mal erlebt", sagt Landespolizeipräsident Jürgen Georgie heute vor der Presse. Dabei erinnert das Vorgehen an die Ausschreitungen in Heidenau vor drei Jahren, als 200 Neonazis vor einer Asylunterkunft randalierten. Die Polizei musste sich damals zurückziehen, überließ den Rechtsextremen das Feld. "Leider haben weder Polizei noch Sicherheitsbehörden seitdem dazu gelernt", sagt Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen im sächsischen Landtag. Nur hätten sich die Zustände mittlerweile verschlimmert: "In Heidenau waren 200 Neonazis, in Chemnitz Tausende." Seine Partei hat eine Sondersitzung des Innenausschuss beantragt.

Michael Kretschmer äußert sich während der Pressekonferenz gegen den immer wiederkehrenden Vorwurf, die sächsische Staatsregierung habe Rechtsextremismus zu lange verharmlost. "Wir führen einen entschiedenen Kampf gegen Rechtsextremismus - seit Beginn der neunziger Jahre", sagt er. Ein Journalist erinnert ihn an das Zitat des früheren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der meinte, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Kretschmer sagt, das Zitat sei alt und nicht von ihm.

Tatsächlich entstanden in den vergangenen Jahrzehnten Strukturen in Sachsen, die die Ausschreitungen am Sonntagabend und die Mobilisierung Tausender Rechter am Montagabend klar begünstigen. Die rechtsextreme Szene in Sachsen ist gut vernetzt. Auf der Demonstration in Chemnitz übten verschiedene Parteien und Gruppen den Schulterschluss, NPD, Pegida, der Dritte Weg, Hooligans.

Gleichzeitig stellt sich Michael Kretschmer auf der Pressekonferenz klarer als sein Vorgänger Stanislaw Tillich gegen rechtsextreme Tendenzen in Sachsen. Er werde jede Gelegenheit nutzen, sich diesen entgegen zu stellen, sagt er. "Es geht um die Art unseres Zusammenlebens. Um Respekt. Es geht um den Kampf um eine offene durch Meinungsvielfalt geprägte Gesellschaft." Übergriffe auf Menschen mit ausländischem Aussehen könne man nicht akzeptieren. Kretschmer verspricht: "Wir werden den Kampf in Sachsen gewinnen."

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