Demonstration gegen Castor-Transport:Zwischen Happening und Krawall

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Zehntausende demonstrierten friedlich, doch an den Gleisen kam es zu wüsten Auseinandersetzungen. Der Castor-Transport steht inzwischen unbewegt im wendländischen Dahlenburg - die Strecke ist blockiert, die Beamten sind am Ende ihrer Kräfte.

Jens Schneider

Es ist noch frostig kalt, als sich der Tross der mehr als Tausend am Sonntagmorgen in Gedelitz in den Wald aufmacht. Sie wollen am Montag das letzte Hindernis für den Castor-Transport sein. Fast alle tragen einen Sack mit Stroh mit sich und einen Schlafsack für die Stunden, vielleicht Tage auf der Straße. Gedelitz liegt vor Gorleben, am Zwischenlager für die Castoren.

Demonstranten blockieren in der Nähe von Harlingen als Protest gegen den Castor-Transport die Eisenbahngleise. Die Polizei griff auf Polizeipferden, mit Reizgas und Wasserwerfern zum Teil hart durch. (Foto: dapd)

Die meisten haben die Nacht hier im Camp verbracht. Nun stimmt ein Sprecher sie über Megafon auf den Weg zur Straße ein. Der Aktivist der Blockade-Aktion "X-tausendmalquer" berichtet von einem Polizeieinsatz gegen die "Schotterer", die sehr früh am Morgen an der Schienenstrecke, also noch weit vor Gorleben, aufgebrochen sind. Sie wollten Steine aus dem Gleisbett entfernen. Die Polizei hatte angekündigt, dass sie dort rigoros vorgehen werde. So ist es nun gekommen. Per SMS-Ticker schwirren Nachrichten wie ein Buschfunk durchs Wendland. "Polizei setzt bei Schottern Tränengas, Pfefferspray, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. 3000 Leute."

Demo-Happening und "Trittbrettfahrer"

Hier kann das keiner prüfen. Der Sprecher will beruhigen: "Dies hier ist eine gewaltlose Aktion!" Die Polizei habe zugesichert, dass es keinen Wasserwerfer-Einsatz geben werde. Fast eine Stunde dauert der Marsch durch den Wald. Ein Polizeihubschrauber begleitet ihn, unten sind zwei berittene Polizisten dabei. Kurz vor der Straße teilt sich der Marsch in fünf "Finger". So wollen sie durch eine mögliche Polizeikette fließen. Aber die Polizei ist ohnehin woanders gebunden. Nur eine kleine Einheit ist da, die lässt sie passieren. Jubelnd lassen die Blockierer sich auf der Straße nieder. Studenten, Schüler sind unter ihnen, auch viele Ältere, die erzählen, dass sie schon vor 25 Jahren hier waren. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth sitzt da. Wie lange sie bleibt, wisse sie nicht, sagt sie. Spitzenpolitiker gingen eh, wenn es kalt und ernst wird, mokieren sich einige.

Am Samstag hatte alles als Demo-Happening am Rande von Dannenberg begonnen. Viele kamen zu spät, weil sie im Stau steckten. Es sei ja so schwer zu schätzen, ruft ein Sprecher der Bürgerinitative von der Bühne, und tut es doch nur zu gern: 50.000 Menschen seien gekommen. Die deutsche Anti-Atom-Bewegung feiert seine Wiedergeburt.

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An einer Kreuzung umtanzen demonstrierende Clowns zwei Polizisten, die den Verkehr regeln. Ohne Visier, ohne Helm, ohne Schutzpanzer. Noch sind von dem gewaltigen Aufgebot - 16.500 Polizisten sind im Wendland - nur wenige zu sehen, jetzt zur Mittagszeit. Es ist wie bei einem überdimensionierten Straßenfest, dem auch politische Prominenz ihren Besuch abstattet. Die Spitze der Grünen ist da, führende Linke. Jürgen Trittin hat sich für die Kameras auf einen Traktor gesetzt, auch Gregor Gysi, der schnell mal aus Berlin kam. "Trittbrettfahrer", sagt ein Sprecher der Bürgerinitiative.

Rechts neben der großen Bühne gibt es die "Kinderwickelhütte" aus Sperrholz, daneben eine Hüpfburg. Zwischen Reden und Beats einer Hip-Hop-Band von der Bühne mischen sich Such-Durchsagen: "Axel, acht Jahre, wird am Kinderzelt erwartet." Und eine besondere Art von Verkehrsfunk. Der Castor stehe mal wieder, wird verkündet. Erst an der französischen Grenze, dann in Kehl. Und so weiter. So wird es das ganze Wochenende gehen: Jede Verzögerung ist ein Erfolg.

Mit der Begrüßung "Hallo, Stuttgart!" kommt der Rockmusiker Bela B. auf die Bühne und spielt gemeinsam mit Rocko Schamoni einen ätzenden Song seiner Band Die Ärzte über Politiker: "Angela, du Biest, das ist für dich." Angela Merkels Antlitz ist auf vielen Plakaten zu sehen an diesem Tag. Nach der Entscheidung zur Laufzeitverlängerung hat die für ihre Gegner teuflische Atompolitik ein Gesicht - das der Kanzlerin. "Schaut euch ruhig mal um!", ruft Luise Neumann-Cosel, Sprecherin der Aktion X-tausendmalquer von der Bühne. Die Stimme der jungen Frau überschlägt sich. "Ihr Regierenden in Berlin! Seid ihr sicher, dass ihr euch mit uns anlegen wollt? Gegen diese Lebendigkeit seid ihr machtlos!" Das Publikum klatscht, einige brüllen: "Abschalten! Abschalten!" Dann ruft sie zum Bleiben auf, zur Blockade am Sonntag. "Dann machen wir das ganze Wendland dicht."

Eine lange und kalte Nacht

Am hinteren Ende des Festgeländes marschiert ein größeres Aufgebot an Polizisten auf. Sie stellen sich um ein Loch, das Protestierer, geschützt durch ein Zelt, unter der Straße gegraben haben, die von hier nach Gorleben führt. Ein paar Spaten liegen noch herum, einen Meter reicht das Loch bis unter die Straße, sagt ein Polizist. Dreihundert Meter weiter zwängen sich die Beamten an Landmaschinen vorbei. Bauern haben Hunderte Traktoren auf der Straße ineinander verkeilt, es ist die erste von vielen Aktionen der "Bäuerlichen Notgemeinschaft".

Je näher der Transport rückt, desto mehr Blockade-Versuche werden am Sonntag gemeldet. Die Zahl der Blockerier übertrifft alle Erwartungen. Am Nachmittag hat der Castor-Zug noch nicht mal den Verladebahnhof in Dannenberg erreicht. Die Szenen von den Schotterern und vom Schlagstock-Einsatz der Polizei werden die Bilder dieses Tages prägen. Die Aktivisten hatten angekündigt, sie würden keine Gewalt anwenden. Aber sie wussten, dass gegen sie hart vorgegangen werden soll. Nun wird aber doch von Angriffen auf Beamte berichtet; angeblich ging ein Panzerwagen in Flammen auf.

Hier hinter Gedelitz, bei der letzten Blockade, sind drei Dixie-Klos aufgefahren worden. Der Suppenwagen steht bereit. Die Kirchen-Posaunenchöre des Wendlands spielen für die Blockierer auf. Einige spielen Skat. Man stellt sich auf eine lange und kalte Nacht ein.

© SZ vom 08.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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