Demokratie:Spart Porto, kostet Glaubwürdigkeit

Online-Befragungen wie bei der SPD sind anfällig für Tricksereien.

Von Max Hoppenstedt

Bei der SPD sind sie ziemlich stolz auf ihre Mitgliederbefragung zur neuen Parteiführung. Am Samstag wird das Ergebnis erwartet, im Dezember stimmt der Parteitag ab. Möglichst schnell soll das neue Führungsduo die SPD dann besseren Zeiten entgegenführen. Doch jetzt macht die Technik Ärger. Hacker des Chaos Computer Clubs (CCC) warnen vor der Online-Befragung. "Schon im Registrierungsprozess wurden haarsträubende Schwachstellen offengelassen", sagt CCC-Sprecher Linus Neumann. Zuvor hatte das ehemalige SPD-Mitglied Christopher Lauer, der einst als Piraten-Abgeordneter Erfahrungen mit Online-Abstimmungen sammelte, befunden: "Die SPD kann das Ergebnis in die Tonne kloppen."

Wer als Mitglied online abstimmen will, muss sich auf der Webseite mit Mitgliedsnummer und Geburtsdatum registrieren, um eine Geheimzahl für die eigentliche Abstimmung zu erhalten. Aber beide Daten sind alles andere als geheim. Die Mitgliedsnummer steht zum Beispiel oft auf dem Adressaufkleber der Parteizeitung. Wirft der Nachbar einen Blick auf die Zeitung und erinnert sich an das Datum der letzten Geburtstagsparty nebenan, hat er alle Informationen zusammen: Er kann dem SPD-Mitglied die Stimme klauen. Technisch ließe sich das im Nachhinein nur schwer nachvollziehen.

Auf Twitter kokettieren Spaßvögel damit, für Thilo Sarrazin abzustimmen - dessen Mitgliedsnummer ist seit seinem gescheiterten Parteiausschlussverfahren öffentlich. Zudem können sich mehrere SPD-Mitglieder mit derselben Mail-Adresse registrieren - zum Beispiel ein Ortsverein, der sich ein digitales Postfach teilt. So könnte ein Mitglied mehrfach abstimmen und die Stimmen seiner Genossen klauen. Für die Befragung selbst nutzt die SPD außerdem Software des Unternehmens Scytl. Auch weil Hacker im Frühjahr eine theoretische Möglichkeit gefunden hatten, diese zu manipulieren, blies der Schweizer Bundesrat die Einführung elektronischer Wahlsysteme ab. Eine SPD-Sprecherin sagt dazu: "Nach Rücksprache mit dem technischen Dienstleister, unserem Fachpersonal und den bisherigen Erfahrungen sind wir der Überzeugung, dass wir ein sicheres Verfahren durchführen können."

Für die Partei überwiegen die Vorteile: Das Verfahren ist schnell, erreicht junge Mitglieder - und die klamme Partei spart sich viel Porto für Briefwahlunterlagen. 140 000 Genossen haben sich für die elektronische Abstimmung registriert, etwa ein Drittel aller Mitglieder.

Unter den Kandidaten hält sich die Kritik am Verfahren in Grenzen. Die Digitalpolitikerin Saskia Esken, staatlich geprüfte Informatikerin, sagt: "100 Prozent IT-Sicherheit gibt es nicht", einzelne Stimmen könnten manipuliert werden. Für eine Wahl würde sie das System nicht einsetzen, es gehe aber ja um eine Mitgliederbefragung.

Konkrete Hinweise auf Tricksereien gibt es derzeit keine, doch für Neumann vom CCC zeigt der Fall ein grundlegendes Problem: "Der Fehler ist, überhaupt digital abstimmen zu wollen." Demokratische Prozesse müssten nachvollziehbar und geheim sein. "Die Urne ist eine geniale Erfindung, denn sie bringt diese beiden Anforderungen in Einklang. Digital ist das nicht möglich."

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