Demokratie:Präsidenten ihrer Anhänger

Demokratie: Trump und Erdogan arbeiten für ihre Anhänger.

Trump und Erdogan arbeiten für ihre Anhänger.

(Foto: Robyn Beck; Yasin Bulbul)

Staatslenker wie Erdoğan oder Trump tun gar nicht so, als würden sie ihrer ganzen Nation dienen wollen. Sie machen die Politik damit zu einem Nullsummenspiel zwischen "denen" und "uns".

Von Johannes Kuhn, Austin

"Wir, das Volk" lauten die ersten drei Worte der amerikanischen Verfassung. Was sie wohl für den amtierenden US-Präsidenten Donald Trump bedeuten? Denn anders als selbst umstrittenste Amtsvorgänger gibt er nicht einmal mehr den Anschein, für eine ganze Nation Politik zu machen. Trump wendet sich ausschließlich an seine Basis.

Einst gehörte so ein Regierungsstil zu den Merkmalen autoritärer Herrscher, mit Trump ist er in der ältesten Demokratie angekommen. Und nicht nur dort: In mehreren Staaten ist diese Entwicklung zu beobachten. Das Versprechen, dem ganzen Volk dienen zu wollen, ist keine populäre politische Strategie mehr.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sieht sich als Vertreter der frommen Türken, teilt Bürger in Anhänger und Verräter ein. Der indische Ministerpräsident Narendra Modi stilisiert sich regelmäßig als Vertreter der Hindu-Mehrheit im Land. Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum vertritt das starke, männliche Russland, das im Gegensatz zu all jenen steht, die dem "ungeschlechtlichen" Europa anhängen. Und die polnische Regierungspartei PiS macht keinen Hehl daraus, das Land als "christliches Bollwerk" gegen säkulare Kräfte verteidigen zu wollen.

Dies ist keine Spielart des Populismus, auch wenn anti-elitäre Rhetorik in vielen Fällen dazu dient, die angeblich feindlich gesinnte Außenseitergruppe zu definieren ("Othering"). Vielmehr handelt es sich um eine Form des politischen Tribalismus, also eines Stammesdenkens, in dem der Staatsrechtler Carl Schmitt seine umstrittene Weltsicht wiedererkennen würde: Er beschrieb Politik als das Aufeinandertreffen von Gegnern, die sich jeweils hinter unüberbrückbaren, quasi-religiösen Konzepten versammelten.

Keine Rendite für Rhetorik der Einheit

Der amerikanische Politologe William Galston nennt zwei Ansätze, um die Entwicklung zu verstehen. "Einerseits sind die sozialen Spaltungen in vielen Ländern weltweit stärker, als sie waren", sagt der für die US-Denkfabrik Brookings tätige Galston im Gespräch mit der SZ. "Das macht es schwieriger zu argumentieren, dass ein und dasselbe Programm der ganzen Gesellschaft Vorteile bringt."

Auf der anderen Seite bergen versöhnliche Botschaften per se weniger politisches Kapital als früher: "Es war einmal ein Vorteil, die Rhetorik der Einheit zu verwenden, selbst wenn das politische Programm die verschiedenen Interessen nicht gleichermaßen berücksichtigt hat" , sagt Galston. Heute sei die programmatische und rhetorische Ausgrenzung vielversprechender, weil man Menschen mit anderen Meinungen ohnehin nicht mehr überzeugen könne.

Bei genauerem Hinsehen ist die politische Praxis, die aus dieser Haltung folgt, jedoch unterschiedlich. Trump hat für seine Anhängerschaft vor allem Symbolpolitik, Tabubrüche und Reality-TV-Identifikation zu bieten, während er Reiche, ideologische Strippenzieher und Großkonzerne begünstigt.

Erdoğan wiederum konnte, auch als Konsequenz des Putschversuchs, den Staat weitestgehend nach seinen Wünschen umbauen, ohne allerdings die Opposition auszuschalten. Dies gelang dem russischen Präsidenten Putin, der seinen Anhängern allerdings wenig jenseits eines gehobenen Nationalgefühls durch die russische Rolle in internationalen Konflikten bieten kann.

Der Inder Modi toleriert Exzesse des Hindu-Nationalismus gegenüber der muslimischen Minderheit und versucht seinerseits, durch die finanzielle Unterstützung der Landwirte eine Basis für seine Wiederwahl zu legen. Die polnische PiS wiederum strengt sich an, Gerichtsbarkeit wie Gesetzgebung eine katholische Note zu geben. Zu dieser gehören dann Versuche zur weiteren Einschränkung der Abtreibung ebenso wie die Einführung eines neuen Kindergelds, das ein konservatives Einverdiener-Familienmodell erleichtert, ohne dabei nur die Kernwähler zu unterstützen.

Gespür für Gesten und rhetorische Anklagen

Alle genannten Regierungen verbindet ein Gespür für Volkswut, ein Geschick in Gesten und Slogans, Verachtung gegenüber kritischen Medien und eine ständige rhetorische Anklage von Gegnern, die sich oft als symbolische Stellvertreter langgehegter Klassenfeindschaft oder Angehörige von Minderheiten entpuppen. Es handelt sich also nicht um den Versuch, ein politisches Programm zu entwickeln, sondern um ein kognitives Projekt: Politik als Nullsummenspiel zwischen "denen" und "uns". Der schnellste Pfad zur Ideologie führt bekanntermaßen über die Wahrnehmung, eine bestimmte Art zu denken sei der einzige Weg zu moralischer Wahrheit.

Vor allem Politiker auf der konservativen bis reaktionär-autoritären Seite des politischen Spektrums greifen auf diese Strategie zurück.

"Konservative halten Loyalität zur Gruppe für wichtiger als Nicht-Konservative", sagt die Patricia Roberts-Miller, Autorin des Buchs "Demagoguery and Democracy" und Rhetorik-Professorin an der University of Texas in Austin, die dabei auf die Studien des Moralpsychologen Jonathan Haidt verweist. "Ein solches System wird also immer reaktionäre Politik begünstigen, weil es die Gruppe gegen ein neues, angsteinflößendes Anderes mobilisiert."

"Wir und die", der neue Modus?

Im Umkehrschluss könnte dies bedeuten, dass die einzig aussichtsreiche Gegenstrategie lautet, als Opposition das "wir" stärker zu mobilisieren oder die Definitionshoheit über das "wir und die" zu gewinnen - also letztlich ein eigenes Nullsummenspiel zu propagieren. Dies ist aber ohnehin nur noch in solchen Demokratien möglich, in denen entsprechende Freiheiten und Institutionen intakt sind.

Die Gegenwart der Erdoğans und Trumps führt zu einem ernüchternden Abschied von jenen naiven Demokratievorstellungen, die sich im Zuge des Triumphalismus nach dem Ende des kalten Kriegs verbreiteten. "Es gibt keine Garantie für die Umsetzung politischer Programme, die der ganzen Bevölkerung zugute kommen", sagt der Politologe Galston. Es gebe nur die Hoffnung, dass dies bald wieder populärer als Politik sei, die sich nur um die Interessen der Kernwählerschaft kümmert.

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