Süddeutsche Zeitung

Demokratie:Politik braucht Gewinner und Verlierer

Nicht wenige sprechen Demokratien die Fähigkeit zum guten Regieren ab. Um den Populisten und Starktypen der Welt die Stirn zu bieten, brauchen sie: mehr Streit, mehr Alternativen, mehr Eindeutigkeit.

Kommentar von Stefan Kornelius

Politik gibt es nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Sämtliche Herrschaftsformen der Geschichte und der Gegenwart sind gespickt mit Beipackzetteln für ihren korrekten Gebrauch - und natürlich mit Hinweisen auf die Gefahren eines Missbrauchs. Daraus leiten sich ein paar Erkenntnisse ab: Dass nämlich keine Herrschaft per se stabil ist, dass keine Regierungsform ultimativ gerecht ist, und dass nichts auf Dauer angelegt ist.

Diese Erfahrung werden auch 2018 viele Herrscher und Möchtegern-Regenten machen. So wie sich im vergangenen Jahr etwa in Simbabwe die oligarchisch-diktatorische Herrschaft gehäutet hat, so zwackt und zieht es gerade am iranischen System. Russland wird im Frühjahr seiner Autokratie durch eine Wahl neue Legitimation verschaffen wollen. Und in Europa werden die Demokratien der Union ihre mühseligen Renovierungsarbeiten fortsetzen und dabei ein paar Frage beantworten müssen, die gerade en vogue sind: Taugt euer System auf Dauer? Könnt ihr überhaupt noch die richtigen Entscheidungen fällen?

Oft schon hat die Geschichte Platon recht gegeben

Es gibt ja nicht wenige, die Demokratien die Fähigkeit zum guten Regieren absprechen. Die chinesische Führung sagt offen, dass es verschiedene Wege zum Glück gebe, der chinesische sei nun mal der über die Kommunistische Partei. Vor ein paar Monaten ist die autokratische Führung als Stützpfeiler für das System hinzugekommen. Und hat nicht der US-Präsident in nur einem Jahr bewiesen, wie weit ein demokratischer Esel aufs Eis hinauslaufen kann, wenn es ihm zu wohl ist?

Platon war es, der in seiner Politeia die Demokratie auch als Problem beschrieb - weil er um die Verführbarkeit der Massen wusste und die Gefahr der Spaltung erkannte zwischen all jenen, die besitzen und oben stehen, und denen, die sich vom System ausgebeutet und verlassen sehen. "Diktatur entsteht so gut wie immer aus Demokratie, und die schlimmste Form der Tyrannei und Sklaverei aus der größten Form der Freiheit," schrieb er.

Oft schon hat die Geschichte Platon recht gegeben, aber natürlich haben ihm auch viele heftig und mit guten Gründen widersprochen. Natürlich kann zu viel Freiheit überfordern, und natürlich zeigen die Autokraten dieser Zeit, dass es ein Bedürfnis nach Führung und Eindeutigkeit gibt. Donald Trump ist ja der von Platon beschriebene populistische Trittbrettfahrer, die Vorerscheinung zum Tyrannen. Aber: Gibt es nicht umgekehrt diesen Urtrieb des Menschen, frei sein zu wollen, sich eben nicht unterzuordnen und einzureihen in die Uniformität? Haben nicht gerade die Amerikaner gezeigt, wie widerstandsfähig eine Demokratie sein kann?

Demokratien haben in der Geschichte unterm Strich keine schlechten Haltungsnoten bekommen. Demokratien kennen keine Hungersnöte, in der Regel bringen sie ihre Bürger nicht um, sie können den friedfertigen Übergang zwischen Regierungen organisieren und führen keine Kriege gegeneinander.

Die Figur des Verlierers ist von enormer Bedeutung

Und dennoch sind ihr in den Populisten und Starktypen mächtige Feinde erwachsen. Das liegt daran, dass die Demokratie als ultimative Kompromissmaschine so schwer nur den Wunsch nach Eindeutigkeit und Abgrenzung stillt. Wähler wollen Gewinner und Verlierer sehen. Überhaupt ist die Figur des Verlierers von enormer Bedeutung und bekommt als Anführer der Opposition einen besonderen Platz im Parlament zugewiesen.

Ärgerlich deshalb, dass gerade das deutsche System mit seinem Konsenstrieb hin zur Mitte diesen demokratischen Urwunsch auszuhebeln versucht. Die Abwehrreflexe gegen eine große Koalition und die stille Sehnsucht nach den Charismatikern zeugt von dieser Mangelerscheinung. Es bräuchte: mehr Alternativen, den Zwang zur Entscheidung.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck sprach in diesem Zusammenhang von der "Last der Freiheit". Wer mit der Freiheit nicht umgehen kann, der sucht sich Ideologien, die spalten und für Abgrenzung sorgen, die zur Parteinahme zwingen. Auch so können Gemeinschaften entstehen - es sind nur die falschen.

Es ist die Politik, die für moderne Heilsversprechen zu sorgen hat, für Träume und Ziele. Also lautet das zentrale Thema, in der EU und gerade hierzulande mit der ausstehenden Regierungsbildung: Streitet, schafft Alternativen. Eine Rundum-sorglos-Politik gibt es nicht. Es gibt das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Abgrenzung, nach Gewinnern und Verlierern. Das ist kein Übel, sondern Kernbestand der Demokratie.

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SZ vom 02.01.2018/fie
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