Jens Triebel hat schon viele Herausforderungen gemeistert. Als Bergsteiger hat er die Eiger-Nordwand erklettert, er stand auf dem 7105 Meter hohen Pik Korschenewskaja in Russland und war im Jahr 2004 sogar kurz davor, den Gipfel des Nanga Parbat zu erreichen.
In den Bergen kämpfte Triebel um jeden Höhenmeter. Jetzt muss er schauen, dass es nicht zu sehr abwärts geht - mit Suhl in Thüringen, der Stadt, deren Geschicke er seit 2006 als parteiloser Oberbürgermeister leitet.
Suhl liegt etwa 70 Kilometer südlich von Erfurt im Thüringer Wald. Johann Sebastian Bach weihte im Jahr 1713 die Orgel in der Marienkirche ein, die Schauspielerin Corinna Harfouch wurde hier geboren und wegen der Tradition in der Herstellung von Jagdwaffen nennt sich die Stadt auf ihrer Internetseite stolz "Waffenstadt Suhl".
Im Hier und Heute führt Suhl ein wenig schmeichelhaftes Ranking an. Keine andere Stadt verliert so massiv Einwohner. Das geht aus Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland hervor, die Süddeutsche.de in dem großen Deutschland-Atlas 2030 (...hier) aufbereitet hat. Es ist nur eine Schätzung - aber, wenn sich diese bestätigt, dann sinkt die Einwohnerzahl von Suhl zwischen 1990 und 2030 von 57.400 auf 27.400. Auch wenn die Bevölkerungszahl in Deutschland generell zurückgeht (den BBSR-Zahlen zufolge von 81,2 Millionen im Jahr 2010 auf 79,2 Millionen 2030) - mehr als 52 Prozent wie in Suhl sind ein absoluter Spitzenwert, allerdings ein trauriger Spitzenwert.
Es gibt allerdings viele Suhls in Deutschland. Dort wird die Entwicklung vielleicht nicht ganz so deutlich ausfallen. Doch egal ob in Görlitz oder Schwerin, auf Rügen oder in Magdeburg. In vielen Gebieten ist eine deutliche Tendenz spürbar: Die jungen und gut ausgebildeten Menschen verlassen die Region, suchen ihr Glück woanders und nehmen die Perspektiven eines ganzen Landstrichs mit. Zurück bleiben vor allem die ohne Perspektiven - und die Alten, die nicht mehr wegkönnen oder wegwollen. Der Altersdurchschnitt steigt massiv an - die Orte vergreisen nach und nach.
Dieser Trend betrifft vor allem die ländlichen Gebiete in den neuen Bundesländern, aber auch Gegenden in Nordrhein-Westfalen, im Nordosten Bayerns oder im Saarland. Pirmasens in Rheinland-Pfalz zum Beispiel soll den Schätzungen des BBSR zufolge in 40 Jahren mehr als jeden vierten Einwohner verlieren.
Von Suhl nach Erding im Münchner Speckgürtel sind es 340 Kilometer. Aber was die Entwicklung angeht, liegen beide Regionen noch viel weiter auseinander. Erding ist sozusagen der Profiteur der Landflucht. 128.000 Menschen leben derzeit im Landkreis. Erding ist die Stadt des Weißbiers, der größten Therme Europas und der Flughafen München bringt zwar jede Menge Lärm und Verkehr in den Landkreis - aber auch Tausende Arbeitsplätze. Zwischen 1990 und 2030, so die Berechnungen des BBSR, steigt die Zahl der Landkreis-Einwohner um fast 60 Prozent - und damit so deutlich wie nirgendwo sonst in Deutschland.
Das Prinzip funktioniert wie ein sich selbst verstärkender Kreislauf: Die Unternehmen gehen dorthin, wo die gut ausgebildeten jungen Menschen leben. Sie schaffen Arbeitsplätze, die wiederum weitere Arbeitnehmer in die Ballungsgebiete locken. Städte wie München und Hamburg bieten eine lebendige Kulturszene, Theaterhäuser, einen gut ausgebauten Öffentlichen Nahverkehr, Einkaufsmöglichkeiten und gepflegte Grünflächen.