Süddeutsche.de: Wie kann eine kluge Wohnungspolitik in den Städten konkret aussehen?
Kröhnert: Ich bin kein Stadtplaner - aber man sollte die Innenstädte nicht allein Investoren und Touristen überlassen. Wenn in Berlin-Kreuzberg, wo ich lebe, immer mehr Wohngebäude zu Hostels und Ferienwohnungen mutieren, ist das für die Menschen, die dort leben wollen, fatal. Hier sollte die Politik klare Genzen setzen.
Süddeutsche.de: Selbst wenn die Städte verdichtet werden und es bezahlbaren Wohnraum für alle geben sollte - der Andrang der Menschen ist so groß, dass sich viele die Mieten in Städten wie München nicht mehr leisten können. Wie kann das Problem gelöst werden?
Kröhnert: Indem die Regionen um die Großstädte herum besser eingebunden werden. Wir brauchen neue Konzepte von Mobilität. Ich stelle mir den öffentlichen Nahverkehr der Zukunft als wirkliches Netz vor - mit Bussen und Bahnen als Grundgerüst und mit günstig zu nutzenden Elektroautos oder Elektrofahrrädern, die an den Bahnstationen stehen und die Menschen zu ihren Wohnorten bringen.
Süddeutsche.de: Die Deutschen werden immer älter. Doch in einer Stadt wie München wird sich dem Demografiebericht zufolge die Alterspyramide nicht wesentlich verändern. Wie kommt das?
Kröhnert: Die Überalterung findet vorwiegend auf dem Land statt. Großstädte sind ein Magnet für junge Menschen aus dem In- und Ausland. Die Städte wachsen und der Zuzug junger Menschen sorgt dafür, dass sich der prozentuale Anteil alter Menschen nicht so stark erhöht. Trotzdem wird es in absoluten Zahlen mehr alte Menschen in den Städten geben. Die gehen ja nicht einfach weg.
Süddeutsche.de: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat vor einigen Jahren einen Zukunftsrat installiert. Dessen Forderung: Gerade die Städte müssen finanziell gefördert werden, weil dort die Wirtschaft boomt. Soll die Provinz sich selbst überlassen werden?
Kröhnert: Die Politik trägt Verantwortung für die Lebensqualität aller Menschen. Allerdings fließen viele Fördermittel in ländliche Gebiete, ohne dass sie dort viel ausrichten oder gar den Bevölkerungsrückgang verhindern. Steuergelder dürfen nicht mit der Gießkanne verteilt werden, damit jede Gemeinde noch ein Gewerbegebiet, ein Baugebiet oder einen Spielplatz bekommt, selbst wenn niemand dies nutzt.
Süddeutsche.de: Vielleicht würde ein Spielplatz oder ein Gewerbegebiet die Gemeinde wieder attraktiver machen und den Bevölkerungsrückgang stoppen.
Kröhnert: In manchen Gemeinden kann das funktionieren, in vielen aber nicht - und dann ist das Geld verschwendet. Bislang denken sich in der Regel Bundes- und Landesministerien oder die EU aus, wofür man Förderprogramme auflegen kan. Und Städte und Gemeinden stricken dann Projekte, damit sie möglichst viel von dem Kuchen abbekommen. Egal, ob es sinnvoll ist oder nicht. Die Regionen sollten Regionalkontingente erhalten und selbst entscheiden dürfen, wofür und wo sie ihr Geld einsetzten und wo nicht mehr gefördert wird. Dafür müssten sich dann die gewählten Vertreter der Gemeinden zusammensetzen und eine Strategie für ganze Region entwerfen.
Süddeutsche.de: Das klingt nett. Aber so kann in manchen Orten, wenn überhaupt, nur die Grundversorgung erhalten werden. Und in den Großstädten gibt es Kultur, grenzenlose Mobilität und blühende Einkaufsstraßen. Ist das die Zukunft?
Kröhnert: Die regionalen Unterschiede, vor allem zwischen Metropolen und Peripherie werden größer. Doch gerade in entlegenen Gemeinden kann auch die Aktivität der Bewohner eine große Rolle spielen. Es gibt Orte, wo die Bürger selbst ein Dorfgemeinschaftshaus mit Lebensmittelgeschäft, Post und Bankdienstleistungen betreiben. Es gibt auch Konzepte von Ruftaxen und Bürgerbussen, die zum Teil ehrenamtlich betrieben werden.
Süddeutsche.de: Problematisch ist oft auch die medizinische Versorgung auf dem Land. Es gibt zu wenig Mediziner in der Provinz. Wie lässt sich dieses Problem lösen?
Kröhnert: In Brandenburg gibt es Versuche mit einer mobilen Praxis. Da fährt eine Zahnärztin durch das Land und behandelt die Menschen. Man kann auch darüber nachdenken, das Führen einer Zweigpraxis gesetzlich zu vereinfachen. Oder es gibt das Konzept der Gemeindeschwester. Diese Krankenschwestern mit Zusatzqualifikation können einige Aufgaben von den Ärzten übernehmen. Gerade viele alte Menschen rufen ja häufig auch wegen des sozialen Kontakts einen Arzt. Hier würde eine andere Form von sozialer Betreuung sehr helfen. Solche sozialen Innovationen sind Realität. Sie müssen nur besser gefördert und verbreitet werden.
Süddeutsche.de: Sie selbst haben dem Spiegel gesagt, "teure Abwasserkanäle für Orte mit 20 Rentnern" seien untragbar. Gönnen Sie den Menschen in der Provinz nicht einmal sauberes Wasser?
Kröhnert: Natürlich müssen die Menschen dort ihr Abwasser entsorgen können. Aber durch immer neue Gesetze und Vorschriften wurden die Kosten für solche Infrastruktur in der Vergangenheit immer höher. Wenn die Einwohnerzahl sinkt, gräbt das den Kommunen, die es bezahlen müssen, finanziell das Wasser ab. Denn auch bei weniger Einwohnern müssen die gleichen Anlagen unterhalten werden. Wir müssen uns fragen, ob diese Vorschriften und Standards aus den Zeiten des Bevölkerungswachstums wirklich alle nötig sind. Es gibt sicher dezentrale Lösungen, die Kosten sparen, ohne dass gleich die Versorgung zusammenbricht oder sie sich signifikant verschlechtert.
Süddeutsche.de: Wenn ganze Landstriche entvölkert werden, bleiben vor allem leere Flächen. Werden wir künftig auf den Ruinen leerer Dörfer in Sachsen Mais anbauen, um die Energiewende zu schaffen?
Kröhnert: Nur weil die Bevölkerung zurückgeht, entsteht noch nicht Platz für Neues. Es werden sich auch nicht Landstriche entvölkern, sondern vielleicht werden manche Dörfer verschwinden, während sich Klein- und Mittelstädte stabilisieren können. Doch die Flächen sind versiegelt. Wir haben einmal eine Studie im hessischen Vogelsbergkreis gemacht. Dort gibt es in jedem Dorf leerstehende Häuser. Aber die bleiben und werden nicht abgerissen. Auch die Industriebrachen, die es im Erzgebirge in jedem Ort gibt, reißt keiner ab - das ist viel zu teuer. Es braucht einen Fonds, der die Finanzierung übernimmt. Dann könnte man nachdenken, der Natur Flächen zurückzugeben. Vielleicht um Bäume zu pflanzen, um Bio-Landwirtschaft zu betreiben oder als Ackerfläche für Energiepflanzen.