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Demografie:Bundesbank fordert Rente mit 69

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Weil die Menschen immer älter werden, sollen sie auch länger arbeiten, raten die Experten. Zugleich müsse das Versorgungsniveau sinken und der Beitragssatz steigen

Von Hendrik Munsbergund Henrike Roßbach, München

Die Bundesbank plädiert für eine stufenweise Anhebung des Rentenalters in Deutschland auf annähernd 70 Jahre. Zu dieser weitreichenden Korrektur ermahnen die Währungshüter die Bundesregierung in ihrem jüngsten Monatsbericht. Andernfalls gerate "die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung unter erheblichen Druck". Wichtigster Grund sei die Demografie: Bereits Mitte der 2020er-Jahre gehen die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente, zudem würden die Bürger immer älter.

Konkret schlägt die Bundesbank vor, das gesetzliche Rentenalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln und schrittweise anzuheben. Dies hätte zur Folge, dass das offizielle Ruhestandsalter von 2032 an um durchschnittlich einen dreiviertel Monat pro Jahr stiege. "Der Geburtsjahrgang 2001 ginge dann ab Mai 2070 mit 69 Jahren und vier Monaten in Rente", schreiben die Währungshüter. Falls sich die Lebenserwartung bis dahin anders entwickele als angenommen, könne dies korrigierend berücksichtigt werden. Nach derzeitiger Rechtslage steigt das Rentenalter bis 2031 auf 67 Jahre. Heute liegt die sogenannte "fernere Lebenserwartung" für Neurentner bei 19,5 Jahren im Durchschnitt von Männern und Frauen. Bis 2070 sei damit zu rechnen, dass sie um weitere 4,5 Jahre steigt - und damit auch die Rentenbezugsdauer, so die Bundesbank.

Die Ermahnungen der Währungshüter treffen die große Koalition in Berlin in einer heiklen Phase. Bis Anfang November wollen Union und SPD Bilanz ziehen und entscheiden, ob es eine Fortsetzung des Regierungsbündnisses geben wird. Ein zentraler Streitpunkt ist dabei die Grundrente, durch die Altersbezüge von Geringverdienern mit langen Versicherungszeiten deutlich aufgestockt werden sollen. Auch im Koalitionsausschuss gab es dazu am Sonntag noch keine Einigung. Bisher hat die Koalition mit Blick auf die gesetzliche Rentenversicherung lediglich eine "doppelte Haltelinie" bis 2025 beschlossen. Demnach darf der Beitragssatz bis dahin nicht über 20 Prozent steigen und das Versorgungsniveau nicht unter 48 Prozent sinken. Grundlegende Reformen soll eine Rentenkommission Anfang 2020 vorstellen.

Wie die Bundesbank weiter schreibt, würde die Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung allerdings allein nicht ausreichen. Gleichzeitig müsste das Versorgungsniveau der Ruheständler bis 2070 von derzeit 48 auf 44 Prozent gesenkt werden. Zugleich unterstellt die Zentralbank eine deutliche Anhebung des Beitragssatzes von derzeit 18,6 auf "eine Größenordnung von 24 Prozent".

Der Rentenexperte der Grünen, Markus Kurth, kritisierte den Vorstoß: "Wir brauchen eine Strategie für ein gesünderes längeres Arbeiten und keine Rente mit 69 für alle", sagte Kurth. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales warnte, auf die Anhebung der Regelaltersgrenze "als einzig mögliche Reformoption zu setzen". Zustimmung bekam die Bundesbank von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2019
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