Demo in Marzahn-Hellersdorf:Nazis müssen draußen bleiben

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Gegendemonstranten: 2500 Menschen haben gegen den Protestzug von Neonazis und Anwohner protestiert. (Foto: dpa)

800 Rechte, 1700 Polizisten, 2500 Gegendemonstranten: In Berlin wollten Neonazis und Anwohner mit einem Protestzug gegen Flüchtlingsheime demonstrieren. Doch die Nazi-Gegner triumphieren.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Am Ende trennen die beiden Demonstrationszüge nur noch die Straßenbahnschienen. "Wir wollen keine Flüchtlingsheime", skandieren die, die auf der rechten Seite laufen, begleitet von Hunderten Polizisten, hinter ihnen ein Wasserwerfer und eine Kolonne aus Dutzenden Polizeiwagen. "Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht! Überall!" und "Alerta, Alerta, Antifascista!" rufen die, die auf der linken Seite der Raoul-Wallenberg-Straße im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf laufen. Es fliegen Flaschen und Feuerwerkskörper von links nach rechts, bis schließlich die S-Bahn-Station erreicht ist.

Das, was hier an diesem Samstag um 17.58 Uhr endet, hätte eigentlich ein fast acht Kilometer langer Protestzug "gegen Asylmissbrauch" durch den Stadtteil Marzahn werden sollen. Ein polizeibekannter Rechtsextremer hatte die Demonstration angemeldet. 800 Menschen, darunter Neonazis, Hooligans, aber auch ältere Anwohner und Familien mit halbwüchsigen Kindern waren am frühen Nachmittag zum Ausgangspunkt der Demo gekommen. Sie wollten gegen Containerunterkünfte für Flüchtlinge protestieren, die in Marzahn gebaut werden sollen.

Sie wollen sich als "besorgte Anwohner" verstanden wissen

Aber es kamen eben auch mindestens 2500 Gegendemonstranten nach Marzahn, die rasch alle umliegenden Straßen blockieren. Vertreter verschiedener Parteien, Gewerkschaften und linke Gruppierungen hatten zu den Demonstrationen aufgerufen, an der S-Bahnstation empfing die Besucher laute Musik: "Nazis auf die Fresse" dröhnte es da aus den Lautsprechern. Und dazwischen 1700 Polizisten, die alle Mühe hatten, die Gruppen auseinander zu halten. Für Stunden herrschte Stillstand, die Anti-Flüchtlings-Demonstration kam weder vor noch zurück.

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Noch nie wurde in Berlin so erbittert gegen ein Asylbewerberheim gekämpft, wie jetzt im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Maßgeblich beteiligt ist eine Initiative, die Ängste der Anwohner schürt - und jene bedroht, die sie in Verbindung zur NPD setzen. Das Bezirksamt ist überfordert.

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"Wir sind keine Nazis" verkündeten einige Teilnehmer auf Plakaten, während sie frierend und etwas ratlos in ihrem von der Polizei eingezäunten Bereich standen. Sie wollen sich als "besorgte Anwohner" verstanden wissen. "Besorgt" darüber, dass in ihrer Nähe Flüchtlinge leben sollen. Eine Gruppe älterer Damen etwa steht beisammen und ist allein über die Frage, warum sie gekommen sind, entrüstet: "Wir dürfen hier sein! Das ist hier eine Demokratie!" Man wolle einfach keine Zustände wie in Kreuzberg, sagt ein Mann, der mit seiner Freundin da ist: "Da liegen doch überall Drogen auf der Straße."

Doch Selbstwahrnehmung hin oder her - was auf der Demo über die Lautsprecher kommt, ist "Deutschland den Deutschen" in allen bekannten Varianten. Der Tenor: Die meisten Flüchtlinge seien keine Flüchtlinge, sondern Asylschmarotzer, die sich auf Kosten der Deutschen ein schönes Leben machen. "Wir Deutschen haben auch Rechte und zwar mehr Rechte als sogenannte Flüchtlinge", brüllt ein Redner. "Wir in Deutschland sind nicht für das Leid der ganzen Welt verantwortlich", eine Rednerin. "Wir müssen uns um die Zukunft unserer eigenen Kinder kümmern." Und natürlich: "Deutschland verkommt immer mehr zu einem Selbstbedienungsladen für kriminelle Ausländerbanden." Dass es keine statistisch nachweisbare Erhöhung der Kriminalität in Stadtteilen gibt, nur weil dort ein Flüchtlingsheim gebaut wird: geschenkt. "Wir sind hierher nach Marzahn gezogen, damit unsere Kinder in Frieden aufwachsen können", ruft einer ins Mikrofon.

"Wir sind Anwohner und keine Nazis" - so sehen die Teilnehmer sich selbst. (Foto: dpa)

Marzahn ist nicht der einzige Stadtteil, in dem Container als Notunterkunft gebaut werden sollen, auch in anderen wie Köpenick und Buch gibt es ähnliche Proteste. Sicherheitsbehörden und Politiker vermuten, dass sie von Rechtsextremen koordiniert werden, oftmals tauchen bekannte NPD-Politiker dort auf. Eine Kerngruppe von Rechtsextremen initiiere die Proteste und melde die Kundgebungen an, sagt etwa die Extremismusexpertin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Clara Herrmann. 2013 waren Proteste gegen ein Flüchtlingsheim in Hellersdorf, unweit der heutigen Demonstration, eskaliert. Einige Abgeordnete warnen allerdings laut dem Berliner Tagesspiegel auch davor, pauschal alle Teilnehmer als Rechtsradikale zu bezeichnen. Man müsse vielmehr auf ihre Ängste eingehen.

NPD wirbt auf Facebook

Auch für die heutige Demonstration hatte die NPD auf Facebook geworben. In Marzahn hatte es erst am Montag eine Demonstration von etwa 500 Menschen gegeben, doch vor der heutigen Veranstaltung war die Polizei besonders alarmiert. So war der Titel der Veranstaltung kürzlich in "Gemeinsam sind wir stark" geändert worden. Unter diesem Motto hatte es vor einigen Wochen Hooligan-Ausschreitungen in Köln gegeben. Tatsächlich waren nur wenige Hooligans unter den Demonstranten. Aber sie skandierten immer wieder in Richtung der Gegendemonstranten, die die Veranstaltung umzingelt hatten und ihrerseits "Haut ab!" brüllten.

Als sich der Zug nach einigen Stunden schließlich doch in Bewegung setzte, war es schon dunkel. Die Rechten kamen allerdings bloß ein paar Meter, mussten umkehren, gefolgt von Hunderten Polizisten. Kurz geriet die Lage beinahe außer Kontrolle. Gegendemonstranten durchbrachen die Polizeiketten, folgten dem Anti-Flüchtlings-Zug, holten auf und drängten den gegnerischen Zug, der inzwischen auf etwa die Hälfte geschrumpft war, in Richtung S-Bahn-Station. Immer wieder flogen Flaschen und Feuerwerkskörper.

Schließlich aber sind alle rechten Demonstranten in der S-Bahn. Für die Linken und die Polizei geht es noch weiter. In Friedrichshain findet am selben Abend die jährliche Silvio-Meier-Demo statt. Silvio Meier war ein Berliner Hausbesetzer, der 1992 von Neonazis ermordet wurde. Die Demonstranten in der S-Bahn Richtung Stadtmitte finden: Die Blockade der "besorgten Anwohner" von Marzahn war ein guter Auftakt. Und die Polizei? Kann noch lange nicht Feierabend machen.

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