Demonstrationen gegen Friedrich Merz:„Wir sind die Brandmauer“

Lesezeit: 3 Min.

Setzt Friedrich Merz mit Unterstützung von AfD-Chefin Alice Weidel den Bundestag in Brand, wie dieses Schild suggeriert? Am Sonntag demonstrierten laut Polizei 160 000 Menschen in Berlin. (Foto: Hannes P. Albert/dpa)

Seit Tagen protestieren Zehntausende im ganzen Land gegen eine Zusammenarbeit anderer Parteien mit der AfD. Bei der wohl größten Kundgebung in Berlin spricht auch Michel Friedman, der aus Protest aus der CDU ausgetreten ist. Doch er schickt auch einen Appell zur Mäßigung an alle.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es wird dann laut, es wird auch gepfiffen, als die Karawane sich in Gang gesetzt hat, um der Parteizentrale der CDU in Berlin-Tiergarten einen Besuch abzustatten. „Friedrich, Mutti hat Nein gesagt“, steht da auf einem Pappplakat, das eine junge Frau schwenkt. Und auf einem anderen: „Pfui.“ Aber sind es nicht nur kämpferische, sondern auch versöhnliche Töne, die diesen Aufzug dominieren. Er wirkt wie ein großes Unterhaken, es geht quer durchs Land.

160 000 Menschen haben sich nach Schätzung der Polizei am Sonntagnachmittag vor dem Bundestag in Berlin versammelt. „Aufstand der Anständigen – Wir sind die Brandmauer“, so hieß das Motto der Kundgebung, die sich vor allem gegen eine Person richtete: gegen den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) und dessen Versuche, die Asylpolitik in Deutschland zu verschärfen, notfalls mit Stimmen der AfD.  Zwei solche Anläufe im Bundestag hatte Merz in der zurückliegenden Woche im Bundestag unternommen, sie haben sofort erhebliche Proteste ausgelöst. Bereits am Samstag waren Zehntausende in Hamburg, Cottbus, Jena, Erfurt, Bremen und anderen Städten auf der Straße, mal mit Kerzen, mal besetzten Demonstranten ein CDU-Kreisbüro in Hannover.

SZ PlusMigrationsdebatte
:Reden an der Brandmauer

Eine dreistündige Sitzungsunterbrechung, Dutzende interne Treffen, eine heftige Debatte: Der Freitag war alles, aber kein normaler Tag im deutschen Parlament. Die Frage ist: Wie soll das bloß weitergehen?

Von Bastian Brinkmann, Roland Preuß und Vivien Timmler

Die Unterstützung ist breit, von Kirchen über Parteien, Gewerkschaften bis zu Sozialverbänden

Die wohl größte Kundgebung aber begann am Sonntagnachmittag in Berlin. Veranstalter sprachen sogar von rund 250 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Und auch wenn diese Schätzung etwas zu großzügig ausgefallen sein dürfte: Die Unterstützung war breit, sie reichte von Kirchen über Parteien, Gewerkschaften bis zu Sozialverbänden.

Menschen aller Herkunft erschienen auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude, Familien mit Kindern, Ältere wie der Rentner Rainer Klaunick, der schon die friedliche Revolution in der DDR erlebt hat und sich die Demokratie in Deutschland nicht wieder wegnehmen lassen will. „Ich stehe hier in der Kälte und kämpfe gegen den Merz“, sagt er. „Die AfD ist wie ein schleichendes Gift.“ Aber auch junge Leute sind gekommen wie die 27-jährige Rana Anto. Ihr Großvater kam als türkischer Gastarbeiter ins Land, hat Anzüge geschneidert, zwei Großmütter arbeiteten in Deutschland als Krankenschwestern. „Wenn man hört, was so alles diskutiert wird“, sagt sie, „da kriegt man Angst, dass Menschen wie meine Großeltern einfach abgeschoben werden, weil sie alt sind und nicht mehr als nützlich betrachtet werden.“

Es gehe auch um „die Grundsätze nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer

Auf der Bühne ergreift dann der Publizist Michel Friedman das Wort, bis 2003 stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Vor wenigen Tagen hat er sein Parteibuch zurückgegeben, nach vier Jahrzehnten in der CDU. Grund war die Entscheidung von Unionsfraktionschef Friedrich Merz, einen Antrag zur Zurückweisung von Asylbewerbern an deutschen Grenzen durchzusetzen, für die er ohne die Stimmen der AfD keine Mehrheit bekommen hätte. Am Freitag sollte auf ähnlichem Weg ein Gesetz zur Migrationspolitik im Bundestag verabschiedet werden, was allerdings keine Mehrheit fand.

„Unentschuldbar“ sei dieser Fehler der CDU, sagt Friedman bei der Kundgebung in Berlin. Die AfD sei eine „Partei des Hasses“, mit solchen Feinden der Demokratie dürfe es keine Zusammenarbeit geben, ebenso wenig mit Antisemiten und queerfeindlichen Aktivisten. Statt sich nun aber im Streit über die Migrationspolitik auf die CDU zu „stürzen“, die eine demokratische Partei bleibe, so Friedman, müsse es nun darum gehen, unter Demokraten „Kompromisse zu schließen, statt gegeneinander zu schießen“. Ein Appell zur Mäßigung ist das, trotz aller Empörung und der hitzigen Auseinandersetzungen im Bundestag.

Und auch die nächste Rednerin in Berlin ruft zu Versöhnung und Augenmaß auf. Es ist Serap Unvar, sie hat ihren Sohn Ferhat 2020 bei einem rechtsextremistischen Anschlag in Hanau verloren. Den Familien der Getöteten sei damals vieles versprochen worden, sagt sie, fast nichts davon sei eingehalten worden. „Bis heute gibt es kein Sicherheitspaket, das Menschen vor Rassismus schützt.“ Dennoch kämpfe sie weiter, auch für Zusammenhalt zwischen den Kulturen und die Erkenntnis, dass „Antifaschismus kein linkes Projekt“ sei. Gerade Konservative würden dafür gebraucht.

Es gehe jetzt ums Grundsätzliche in Deutschland, auch um „die Grundsätze nach dem Zweiten Weltkrieg“, wird die Klimaaktivistin Luisa Neubauer später noch sagen. Nach den Vorstößen der CDU in der Migrationspolitik werde das Land jetzt auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, im Gegenteil: „Wir machen das hier zum Dauerthema für Friedrich Merz.“ Dann setzt der Demonstrationszug sich in Bewegung, er ist lang. Sein Ziel: die Bundeszentrale der CDU, Ankunft gern noch vor der „Tagesschau“.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiberale
:Warum die FDP mit der AfD stimmt und das intern für Zoff sorgt

Das Merz-Manöver, im Bundestag mit der AfD zu stimmen, spaltet die FDP. Parteichef Lindner hatte Zustimmung angekündigt. Doch manche Abgeordnete verweigerten die Gefolgschaft.

Von Bastian Brinkmann, Berlin

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: