Süddeutsche Zeitung

Demjanjuk: Verteidiger streiten:"Kommen Sie auf unsere Seite!"

Die Anwälte des mutmaßlichen KZ-Wärters John Demjanjuk streiten vor Gericht: Der Wahlverteidiger wirft dem Pflichtverteidiger vor, für die falsche Seite zu arbeiten.

Zwischen den beiden Anwälten des mutmaßlichen NS-Verbrechers John Demjanjuk ist es am Montag im Gerichtssaal zu einem lautstarken Streit gekommen. Wahlverteidiger Ulrich Busch forderte den Pflichtverteidiger Günther Maull im Landgericht München II auf: "Gehen Sie raus aus dem Verfahren, wenn Sie meinen, dass nur der Richter recht hat!"

Der Vorsitzende Richter Ralph Alt hatte zuvor alle Anträge auf Einstellung oder Aussetzung des Verfahrens und Freilassung Demjanjuks abgelehnt. Busch warf dem Gericht darauf einen Fehler vor und fuhr, kaum dass die Verhandlung beendet war, den Wahlverteidiger Maull aufgebracht an: "Der eigene Kollege sagt das Gegenteil von dem, was ich sage!" Maull solle aufhören, "staatsanwaltlicher als der Staatsanwalt" zu sein, forderte Busch sichtlich erregt. "Kommen Sie endlich auf unsere Seite!", rief er Maull im Gerichtssaal zu.

Das Münchner Gericht hat außerdem weitere Nebenkläger vernommen. Mehrere der betagten Zeugen brachen im Münchner Schwurgericht in Tränen aus, als sie über die Deportation ihrer Eltern und Geschwister und deren Weg in die Gaskammern berichteten.

Währenddessen hatte Wahlverteidiger Busch bereits für Empörung gesorgt, als er einen Überlebenden fragte: "War nach Ihrem Eindruck die Judenpolizei schlimmer als die Nazis?"

Verweis auf Google

Er habe gelesen, dass der jüdische Ordnungsdienst im holländischen NS-Sammellager Westerbork schlimmer als die SS gegen zum Abtransport nach Sobibor festgenommenen Juden vorgegangen sei, sagte Busch. Auf Nachfragen des Gerichts und der aufgebrachten Anwälte der Nebenkläger nannte er aber keine Quelle. "Wenn Sie's googeln, finden Sie's", sagte Busch.

Schon am ersten Prozesstag hatte er mit der Gleichsetzung Demjanjuks und der jüdischen KZ-Häftlinge als Opfer der Nazis Empörung ausgelöst.

Demjanjuk ist angeklagt, als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor 1943 Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden geleistet zu haben. In Sobibor sind mindestens 250.000 Juden getötet worden.

In Sobibor soll der nun greise Angeklagte Kinder, Frauen und Männer in die Gaskammern getrieben haben. Demjanjuk bestreitet die Vorwürfe. Sein Anwalt sieht ihn selbst als Opfer der Nazis, weil er ihnen habe dienen müssen, um nicht selbst getötet zu werden. Wissenschaftler hatten diese Lesart als unrichtig bewertet.

Der 89-Jährige nahm mit geschlossenen Augen im Rollstuhl sitzend am dritten Verhandlungstag teil. Am 2. Dezember war die Sitzung ausgefallen, weil er Fieber hatte. Im vermutlich letzten großen Prozess um Nazi-Verbrechen belastete keiner der Zeugen Demjanjuk direkt.

"Ich wollte auch deportiert werden"

Der 87-jährige Nebenkläger Philip Jacobs aus Amsterdam sagte vor Gericht, seine Eltern und seine 21-jährige Verlobte Ruth seien von Westerbork deportiert und sofort nach ihrer Ankunft in Sobibor am 23. Juli 1943 vergast worden. "Ich habe die Liebe meines Lebens verloren", sagte Jacobs weinend.

Seine 23-jährige Schwester sei in Auschwitz, seine Freunde in Mauthausen umgebracht worden. "Ich peinige mich oft mit dem Gedanken, warum ich am Leben geblieben bin, warum ich meine Familie allein gelassen habe", sagte der 87-Jährige.

Der 83-jährige Robert Cohen sagte, er habe in Westerbork Strohmatratzen stopfen müssen, während seine Eltern und sein Bruder nach Sobibor gebracht wurden. "Ich wollte auch deportiert werden. Wir waren sehr naiv damals. Ich dachte, ich würde meine Familie dann wiedersehen", sagte Cohen, der später nach Auschwitz-Birkenau kam.

Der Nebenkläger Max Degen aus Amsterdam berichtete, er sei als Dreijähriger bei einer nichtjüdischen Tante versteckt worden und, als er entdeckt wurde, von Widerstandskämpfern "in einen Koffer gesteckt, über eine Mauer geschmissen" und gerettet worden. Sein Bruder, seine Eltern und seine Großeltern wurden in Sobibor vergast.

Etwa 40 Holocaust-Überlebende nehmen als Nebenkläger an dem Prozess teil. Demjanjuk bestreitet, in Sobibor gewesen zu sein. Wichtigstes Beweismittel der Staatsanwaltschaft sind sein Dienstausweis und Listen der SS für die als Kriegsgefangene rekrutierten KZ-Wachmänner. Das Urteil soll im Mai verkündet werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.58369
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
AP/Roland Losch/odg/jab/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.