Dem Geheimnis auf der Spur:Die Inseln, die es nie gab

St Brendan on the whale

Die Miniatur aus einem Buch von 1460 zeigt, wie der Mönch Brendan auf seiner Reise auf dem Rücken eines Riesenfisches landet.

(Foto: De Agostini/Getty)

Im Mittelalter machte sich der irische Mönch Brendan auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise - und fand angeblich im Atlantik mysteriöse neue Eilande, auf denen paradiesische Zustände herrschten.

Von Nicolas Freund

Westlich der Kanaren soll im Atlantik eine unbekannte, geheimnisvolle Inselgruppe liegen. Die Hauptinsel, heute oft als San Boróndon bezeichnet, soll ein paradiesischer Garten sein mit Pflanzen, die immer blühen und Bäumen, die immer Früchte tragen. Auf einer benachbarten Insel, so heißt es, steht eine Kapelle aus reinem Kristall mit Leuchtern, die brennen, ohne Öl oder Wachs zu verbrauchen.

Ein weiteres Eiland des Archipels ist angeblich gar keine richtige Insel, sondern ein riesiger Fisch namens Jasconius, auf dessen Rücken Reisende landen können. Er ist sogar friedlich, er mag es nur nicht, wenn auf ihm Feuer gemacht wird.

Das erste Mal erwähnt wurden diese eigenartigen Inseln in einem mittelalterlichen Reisebericht, der "Navigatio Sancti Brendani", der "Seereise des Heiligen Brendan". In der Erzählung, die vermutlich aus dem 9. Jahrhundert stammt, reist der Mönch Brendan mit 12 Klosterbrüdern für sieben Jahre durch den oben beschriebenen Archipel.

Neben den genannten Inseln stoßen sie auch auf die sogenannten Vogel- und Schafsinseln, die von einer großen Zahl dieser Tiere bewohnt werden, sowie auf einen gigantischen, silbernen Berg, den zu umrunden mit dem Schiff vier Tage dauert, und auf viele andere wunderliche Dinge.

Bis ins 19. Jahrhundert wurde die Phantominsel in Karten eingezeichnet

Die "Navigatio Sancti Brendani" ist ein Immram, eine altirische Erzählung, die fantastische Ereignisse und Mythologie mit christlichen Motiven vermischt. Sowohl der ferne Osten als auch der Westen wurden von Europa aus jahrhundertelang als Sehnsuchtsorte idealisiert: Das Paradies lag nie um die Ecke, sondern war immer irgendwo weit weg.

Die "Navigatio Sancti Brendani" wurde für mittelalterliche und frühneuzeitliche Verhältnisse weit verbreitet. Heute noch ist der Text in vielen Fassungen und Übersetzungen erhalten. Bis ins 18. und 19. Jahrhundert wurde die Hauptinsel des Archipels aus dem Text, San Boróndon, sogar in vielen Karten eingezeichnet - allerdings später meist mit dem Hinweis, dass einige Autoren die mythische Insel in dieser Gegend lokalisiert hätten.

Obwohl der christlich-allegorische Charakter der fantastischen Erzählung offenkundig war, nahmen doch schon früh viele Gelehrte an, dass die Geschichte auf einer wahren Reise basieren könnte. So kam es zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert zu vielen Sichtungen der geheimnisvollen Insel, nur ließ sich das Eiland danach nie wiederfinden. San Boróndon galt bald als Phantominsel, als die achte Insel der Kanaren, die sich jedoch nur selten zeigt und meist von dichtem Nebel umgeben sein soll.

Mitte des 19. Jahrhunderts reiste der junge britische Wissenschaftler Edward oder Edgar Harvey - die Quellen sind hier nicht eindeutig - zu den Kanarischen Inseln. Die Geschichten von der achten Insel des Archipels ließ auch ihn auf einen wahren Kern der Legende vertrauen. Mit einem kleinen Schiff soll er sich auf die Suche nach der Geisterinsel gemacht haben und prompt fündig geworden sein: Vergilbte, unscharfe Fotos zeigen Harvey vor hohen Urwaldbäumen mit unbekannten Früchten in den Armen, die an riesige Kakaobohnen erinnern.

Er brachte Zeichnungen von einem urzeitlich anmutenden, zweibeinigen Riesenvogel mit, der ein gefährliches Raubtier sein soll. Andere Bilder zeigen eine drachenartige Schildkröte mit Kamm auf dem Panzer. Diese und weitere Wunder will der Entdecker auf San Boróndon gefunden haben. Kurz nach Harveys Expedition war die Insel natürlich wieder unauffindbar.

Das geheimnisvolle Eiland in Sichtweite der Kanaren ist heute eine Touristenattraktion. 2005 wurde auf La Palma eine Ausstellung, basierend auf Harveys Dokumenten, eröffnet, die den Mythos um die Insel sehr frei weiter ausschmückt. Harveys Beweise sollen aber schon von seinen Zeitgenossen für Fälschungen gehalten worden sein.

Begeisterung für die Idee eines fernen Inselparadieses

Weder widerlegt noch bewiesen ist bis heute die These, dass der historische Brendan tatsächlich eine Reise zu den Kanaren oder sogar bis nach Amerika unternommen haben könnte. 1976 nahm sich der Brite Timothy Severin der Legende an. Der Abenteurer verdient sein Geld damit, historische und mythologische Reisen unter möglichst authentischen Bedingungen nachzuvollziehen und darüber Bücher zu schreiben. Tatsächlich gelang es ihm, mit dem Nachbau eines Curraghs, eines traditionellen irischen Schiffes aus der Zeit Brendans, bis nach Neufundland zu segeln.

Dass sich Menschen jahrhundertelang für die Möglichkeit eines solchen fernen Inselparadieses begeistert haben, verrät viel über ihre Vorstellungswelt. Als Christoph Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, beschrieb er den neuen Kontinent als das Paradies auf Erden.

Er konnte auch gar nicht anders, denn er musste nicht nur seine gefährliche und teure Reise rechtfertigen, auf der er leider, anders als versprochen, kaum Gold fand. Die Europäer konnten sich zu dieser Zeit auch schlicht nicht vorstellen, dass sich an den Rändern ihrer Welt etwas anderes als das Paradies befinden sollte.

Die Insel war immer ein Ort, den man im Gegensatz zum bekannten Festland noch in Besitz nehmen und selbst prägen konnte. Der französische Philosoph Gilles Deleuze verglich die Insel einmal mit einem Ei. Nicht nur wegen ihrer typischen Form, sondern auch, weil sie immer für einen Neuanfang steht: Für den Schiffbrüchigen, der sich wie Robinson Crusoe auf einem Eiland eine neue Heimat errichten muss.

Oder für die Steuerhinterzieher unserer Tage, die ihr Geld für die Zukunft auf einer Insel verstecken. Oder für jemanden, der sich wie in der "Navigatio Sancti Brendani" zu einer unbekannten Insel eine fantastische Geschichte ausdenkt.

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