Degler denkt:Sozialdemokratische Union Deutschlands

SPD und Union vermeiden den Kampf im Wahlkampf - weil beide miteinander weiterregieren wollen. Finanzminister Steinbrück hat jetzt die wahren Wünsche seiner Partei offenbart. Mit der sozialdemokratisierten Kanzlerin Merkel können die Genossen gut leben.

Dieter Degler

Wer in den vergangenen Wochen und Tagen zugesehen hat, wie die Vorsitzenden der Bundestagsparteien auf den Wahltag zuarbeiten, hat mindestens zweierlei bemerkt: FDP, Grüne und Linke beharken einander, als ginge es darum, wer von ihnen nach dem 27. September ins Kanzleramt einziehen darf - doch Union und SPD verschonen einander. Die beiden Parteien halten das Kanzleramt und die Ministerien fest in ihrem Besitz.

Merkel, Seehofer, ddp

Wahlplakate von Merkel und Steinmeier: Vieles spricht dafür, dass auch nach dem 27. September beide an der Regierung beteiligt bleiben werden.

(Foto: Foto: ddp)

Es ist der ungewöhnlichste Bundestagswahlkampf aller Zeiten. Kein Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß, die sich verbal die Schädel einschlagen, kein Willy Brandt oder Reiner Barzel, die sich über Ostpolitik und Rote Socken fetzen. Und das alles hat einen simplen Grund: Union und SPD wollen nicht gegeneinander, sondern miteinander kämpfen. Das hat mehrere Gründe.

Erstens: Die gemeinsame Verantwortung. Die Situation ist formal problematisch für die Regierungsparteien. Wer vier Jahre zu zweit den Karren gezogen hat, kann nun schlecht den Partner angreifen, der an seiner Seite vorangegangen ist. Erst recht nicht, wenn man demnächst wieder gemeinsam am Kabinettstisch sitzen wird.

Zweitens: Die schwache Position der SPD. Die Sozialdemokraten haben rechnerisch kaum eine Chance, eine Regierung gegen die Union zu bilden. Für Rot-Grün wird es nicht reichen, die Linken sind - für dieses Mal - als Partner unerwünscht, und die FDP hat sich auf eine Koalition mit der CDU festgelegt. Will die SPD weiter Verantwortung in Berlin tragen, kann sie dies nur gemeinsam in der bisherigen Konstellation.

Drittens: Union und SPD sind inhaltlich zur Einheit geworden. Abgesehen von der Kernenergiefrage, den Steuerthemen und ein paar sozial- und außenpolitischen Nuancen gibt es wenig, über das beide Parteien erbittert stritten und das sie klar unterscheidbar macht. Sie ähneln sich "mehr denn je", sagt SPD-Vize Steinbrück. Er hat jetzt in begrüßenswerter Klarheit ausgedrückt, dass es für die SPD darum gehe, Schwarz-Gelb zu verhindern, "also geht es für die SPD darum, sich in dieser (großen) Koalition wiederzufinden". Viele Wähler nehmen den mittigen Block mittlerweile als sozialdemokratische Union wahr. Denn beide haben die politische Mitte besetzt. Die Union ist nach links gewandert, die SPD seit der Agenda 2010 näher an ihr als je zuvor. Und beide leiden als Organisationen Not: Ihnen schmilzt, der SPD schneller, ihr Volksparteienstatus weg.

Viertens: Die beiden haben gut zusammengearbeitet. Wie Steinbrück und Merkel die größte Finanzkrise der letzten Jahrzehnte ausgeschaukelt haben, ist bemerkenswert. Das war, trotz beklagenswerter Mängel, besser als es die Kollegen in den USA, in Großbritannien oder Frankreich hinbekommen haben.

Fünftens: Angela Merkel ist im Herzen Sozialdemokratin. Ich habe sie im Vorzimmer des letzten DDR-Regierungschefs Lothar de Maizière kennengelernt und mich schon damals gefragt, was die junge Pressesprecherin mit dem Wertesystem Helmut Kohls verbindet. Ihre Positionen von damals wären am besten irgendwo zwischen SPD und Grünen aufgehoben gewesen. Der Demokratische Aufbruch, dem sie zur Wendezeit angehörte, war eindeutig links, bevor er von der Ost-CDU geschluckt wurde.

Deshalb klingt es heute so wenig überzeugend, wenn Merkel flüstert, sie wolle alles mit der FDP noch besser machen. Und deshalb wirkt auch der verunsicherte FDP-Chef Guido Westerwelle so angestrengt fest, wenn er die Koalitionsaussage seiner Partei vor laufenden Kameras wiederholt, obgleich ihm die Felle wegzuschwimmen drohen. Und deshalb wirkt der Wahlkampf auch in seiner Schlussphase so blutleer. Und deshalb ist es nichts als die reine Wahrheit, wenn der stellvertretende SPD-Vorsitzende Steinbrück seiner Partei in die Wahlkampfparade fährt und die Fortsetzung der offiziell bekämpften großen Koalition als das wahre Wahlziel seiner Partei ausgibt. Zitat: Eine Neuauflage von Schwarz-Rot sei "kein Unglück".

Aber erst einmal wird am 27. September gewählt.

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