Süddeutsche Zeitung

Degler denkt:Kellerhoheit unter den Stammtischen

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Der gezielte Ausfall der CSU gegen Kurt Beck signalisiert Chancen für die SPD: Kommen die Konservativen unter Druck, machen sie Fehler.

D. Degler

Ab und zu im Sommer, wenn es warm ist, echauffiert sich der SPD-Vorsitzende Kurt Beck. Vor ein paar Wochen ärgerte er sich lautstark über die Medien, die ihn und seine Partei vermeintlich schlecht behandeln. Dieser Tage erregte er sich über die CSU-Führung, die ihm Heuchelei vorwarf, weil er einerseits der Stasi-Opfer im Halleschen "Roten Ochsen" gedachte, wo einst die Nazis hunderte Gefangene töteten und später die Staatssicherheit verhörten - es zugleich aber zulasse, dass sein hessischer Landesverband mit der Linken liebäugele.

Nun hat Beck in der Sache absolut Recht, wenn er sich über die unsinnigen und unverschämten Anwürfe der CSU-Generalsekretärin entrüstet, der tags darauf sogleich Parteichef Huber und Ministerpräsident Beckstein zur Seite sprangen. Denn es waren auch Anhänger und Mitglieder der SPD, die von DDR-Diktatoren und Nazis in Gefängnisse und den Tod getrieben wurden. Und es war die CSU-Schwesterpartei, die sich nach der Wende ohne Wimpernzucken mit jener Ost-Blockpartei CDU vereinte, die eine tragende Stütze des Unrechtsregimes im Osten gewesen ist.

Wertvolle Erkenntnis für die Sozialdemokraten

Doch neben der Erregung können Beck und die SPD auch etwas lernen: Es liegt nahe, dass die CSU-Generalin mit ihren Äußerungen - auf die gewiss auch viele CSU-Sympathisanten mit Kopfschütteln oder Verärgerung reagieren - die Hoheit unter den Stammtischen erreichen möchte. Es geht nicht mehr um die Lufthoheit über, sondern um die Kellerhoheit unter den Stammtischen. Der Grund: Den Christsozialen könnte bei den kommenden Landtagswahlen im September erstmals in der Parteigeschichte ihre absolute Mehrheit abhanden kommen. Auf Deutsch: Kommen die Konservativen unter Druck, machen sie Fehler. Und diese Erkenntnis könnte für Sozialdemokraten hilfreich bei ihrer Positionsbestimmung gegenüber der Linken sein.

Denn es gibt sie ja numerisch, jene bundesweite Mehrheit jenseits der Union, die Willy Brandt einst beschwor und herbeiführte - sie ist nur anders verteilt. Damals, in den achtziger Jahren, waren es SPD und Grüne. Heute könnten es SPD, Grüne und Linke sein. Diese realpolitische Option kennt, ob Frank-Walter Steinmeier oder Andrea Nahles, jeder inner- und außerhalb der Partei. Es geht um das Wann und das Wie. Will die SPD ihren großen Berliner Koalitionspartner mit der Vision von 25 Prozent für sich und je zehn Punkten für Grüne und Linke unter Druck setzen, muss sie, beispielsweise in Hessen, Tempo in der Frage machen, ob die SPD mit der Linken kooperieren soll.

Furcht vor der Rote-Socken-Kampagne von rechts sollte da kein Hindernis sein - mit ihr werden sich die Sozialdemokraten ohnehin bis zum Wahltag herumschlagen müssen. Und ein klarer Kurs mit dem eindeutigen Ziel, den Regierungsauftrag gegen die Union zu erhalten und umzusetzen, würde Deutschland endlich einmal wieder einen klaren Richtungswahlkampf bescheren. Dann könnten sich die Wähler, die der Berliner Kompromisssuppe zunehmend überdrüssig sind, zwischen eindeutigen politischen Alternativen entscheiden.

Dann hätten sie wirklich die Wahl.

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