Degler denkt:Ins wilde Kurdistan?

Der Konflikt zwischen Türken und der kurdischen PKK heizt sich auf und schwappt nach Europa. Deutschland sollte an einer Lösung interessiert sein.

Dieter Degler

Was wissen Sie jenseits von Karl May über die Türkei? Angestrebte EU-Mitgliedschaft, Urlaub in Antalya, viele Üs in der Sprache, gute Fußballklubs, Döner-Erfinder. Vielleicht noch Ostrom, Osmanisches Reich, Islam, Prinz Eugen, Atatürk, Nato-Staat, Erdogan, Kurdenproblem. Aber wenn es bei Günther Jauch um Süleyman den Prächtigen ginge, müssten die meisten von uns wahrscheinlich schon den letzten Joker opfern.

Kurden-Demonstration Berlin, ddp

Auch Deutschland wird vom türkisch-kurdischen Konflikt berührt: Am vergangenen Wochenende kam es bei einer kurdischen Demonstration in Berlin zu Zusammenstößen mit der Polizei

(Foto: Foto: ddp)

Insgesamt wirkt das Land, das ich in dieser Woche zum 84. Jahrestag der Gründung besucht habe, in den Köpfen vieler Deutscher weiter weg, als es der Zwei-Stunden-Flug von München vermuten lässt. Und das ist der erste große Irrtum.

Denn die geographische Nähe findet ihre Entsprechung in der politischen Orientierung ihrer Bürger: Die überwiegende Mehrheit der etwa 75 Millionen Türken schätzt, unabhängig von ihrer parteipolitischen Ausrichtung und trotz eines ausgeprägten Nationalstolzes, Europa und will dazugehören.

Der zweite Irrtum ist der, dass uns die Probleme der Türkei nichts angehen. Ob die Union den Nichtbeitritt in ihr Grundsatzprogramm schreiben will, ob Außenminister Steinmeier auf dem SPD-Parteitag sie dafür attackiert oder sich rechte Türken und PKK-Mitglieder in Berlin die Schädel einschlagen: Mit den Menschen, die wir vom Bosporus und aus Anatolien zu uns geholt haben, sind auch ihre Probleme hergekommen.

Wabernder Konflikt mit wechselnder Intensität

Die Konflikte an Südosteuropas Südostzipfel haben uns längst erreicht. Das Deutschland des Wegguckens und Raushaltens bei internationalen Konflikten ist ein Deutschland von vorgestern.

Und wenn Condoleezza Rice heute in Ankara eintrifft und Regierungschef Recep Tayyip Erdogan kommende Woche George W. Bush besucht, geht es um ein Thema, dem sich auch die Deutschen kaum werden entziehen können: Den Umgang mit ethnischen Minderheiten und Terroristen in einem künftigen EU-Mitgliedsstaat.

Die etwa 25 Millionen Kurden, die im Wesentlichen in der Türkei, Iran und dem Irak leben, wurden von Staatsgründer Kemal Atatürk hereingelegt. Erst gewann er sie als Verbündete im Kampf gegen die Alliierten, dann machte er ihre Hoffnung auf einen eigenen Staat blutig zunichte.

Seither wabert der Konflikt mit unterschiedlicher Intensität. In den siebziger Jahren gründete sich die kurdische Arbeiterpartei PKK, die Gewalt als legitimes Mittel im Unabhängigkeitskampf proklamiert und ausübt, aber je näher Ankara an Brüssel heranrückte, desto erträglicher wurde die Lage der jahrzehntelang unterdrückten türkischen Kurden.

In den achtziger Jahren wurde mit Turgut Özal erstmals ein Politiker kurdischer Abstammung Regierungschef - und später sogar Präsident -, heute dürfen Kurden wieder ihre Sprache und andere ethnische Eigenheiten pflegen und verfügen über eigene Medien.

Für uns Deutsche, sagte mir eine junge Frau in Istanbul, sei der Konflikt vielleicht am ehesten verständlich als Parallele zu Spaniens Problemen mit Basken und Eta: Während die meisten Kurden danach streben, in einer möglichst autonomen türkische Provinz zu leben, radikalisieren sich die Reste der PKK immer stärker.

Himmel und Hölle mobilisieren

Die drei- bis fünftausend Kämpfer, zu denen auch Kindersoldaten gehören sollen, überfallen zivile und militärische Einrichtungen in der Südosttürkei und ziehen sich nach jedem Anschlag wieder hinter die irakische Grenze zurück. Ihre Waffen kaufen sie häufig mit Geld, das Exilkurden in ihre Heimat überwiesen haben. Die USA und die EU haben die PKK zu Recht als terroristische Vereinigung definiert.

Wo also kann sich die deutsche Außenpolitik in diesem Konflikt positionieren? Erstens muss sie auf die Regierung in Ankara einwirken, die Kurden stärker zu integrieren, die infrastrukturelle Benachteiligung des Kurdengebietes zu beenden und für bessere Bildungsbedingungen und wachsenden Wohlstand zu sorgen. Zweitens sollte sie begrenzte militärische Einsätze jenseits der irakischen Grenze billigen.

Drittens sollte sie Himmel und Hölle mobilisieren, damit italienische, russische und deutsche Waffenhändler die PKK-Terroristen nicht weiter mit Landminen und Handgranaten versorgen (sechzig Prozent der Minen stammen aus Italien, acht Prozent der Handgranaten aus Deutschland). Und viertens sollte sie alle EU-Hebel in Bewegung setzen, die letzten militanten Kurden zu isolieren und mit politischen Mitteln zu befrieden.

Wer sich ein Europa mit türkischer Beteiligung wünscht, muss sich einmischen und darf weder die türkische Regierung noch die Mehrheit der kurdischen Minderheit allein lassen.

Dieter Degler ist Publizist und Unternehmensberater und war langjähriger Chefredakteur von Spiegel online.

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