Degler denkt:Haste mal 'ne Stimme?

Die deutsche Demokratie vergreist. Die Jungwähler sind gegenüber Schwarz-Gelb skeptisch - sie dringen aber nicht mehr durch.

Dieter Degler

Ginge es nach den Jüngeren im Lande, sähe der Deutsche Bundestag deutlich anders aus, als ihn die überalterte Wahlgesellschaft der Bundesrepublik am 27. September gewählt hat.

CDU/CSU: 26,6 Prozent, 20,5 für die Linke, 19,9 für die FDP, 17,7 für die Sozialdemokraten und 15,4 Prozent für die Grünen - das ist natürlich nicht repräsentativ, sondern nur das Abstimmungsergebnis der Zuschauer von Stefan Raabs "TV total Bundestagswahl 2009" am 26. September.

Doch was die vorwiegend jüngeren TV-Zuschauer da zusammenvotiert haben, findet teilweise Entsprechungen im tatsächlichen Wahlergebnis: Unter den Erstwählern reichte es nicht für Schwarz-Gelb, die zusammen auf 790.000 Stimmen kamen, Rot-Rot-Grün dagegen brachte 900.000 Voten in die Urnen, 13 Prozent der männlichen Neuwähler stimmten für die Piratenpartei.

Exotische Erscheinung

Das vom Mainstream abweichende Wahlverhalten weist auf eine demographisch begründete Unwucht der 60 Jahre alten deutschen Demokratie hin: In der Politik mischen immer weniger Junge mit, und bei Wahlen dringen sie nicht mehr richtig durch.

Während noch in den sechziger Jahren politisches Engagement, meistens links von der Mitte, zentraler Bestandteil der Jugendkultur war und Nachwuchspolitiker von RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) und SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) den etablierten Amtsträgern mit neuen Ideen heftig zusetzten, sind junge Leute, junge Wilde zumal, heute Rarität.

Wenn Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg am Kabinettstisch Platz nimmt, wirkt er dort, als sei er Gast bei einer Goldenen Hochzeit. Und wenn, wie am Wahlsonntag, der 22-jährige Liberale Florian Bernschneider ins Parlament rückt, wird er in den Medien wie eine exotische Erscheinung vorgeführt.

Denn Jugend und Politik - das gehört immer weniger zusammen. Die Junge Union, die Nachwuchsorganisation der CDU, verlor seit 1983 mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder, bei der SPD, die zu Hochzeiten 300.000 Jungsozialisten aufwies, ist der Schwund noch schlimmer: Fast 80 Prozent. Viel zu melden haben sie in ihren Parteien nicht.

Überalterte Gesellschaft

Es ist das Dilemma einer überalternden demokratisch verfassten Gesellschaft, die zwar dem Jugendwahn huldigt und Falten sowie Fettpolster beseitigen lässt, aber gegen die Runzeln im politischen System noch kein Mittel gefunden hat. Fast zwei Drittel der Wahlberechtigten sind mittlerweile älter als 45 Jahre, nur 23 Prozent jünger als 34.

Und da die Parteien ihre Politik tendenziell stärker an denen orientieren, von denen sie die meisten Stimmen erwarten dürfen, steigt mit jedem Wahlgang die Gefahr, dass mehr Politik für die Alten gemacht wird. Zwar gibt es Ansätze, das wachsende Ungleichgewicht zwischen Jung und Alt zu mildern: Initiativen kämpfen, beginnend in den Kommunen, für die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre, andere fordern ein Familienwahlrecht, bei dem die Eltern das Stimmrecht für ihre Kinder bis zu deren 18. Geburtstag wahrnehmen sollen.

Doch alle diese Modelle haben Schwächen. Wie soll beispielsweise sichergestellt werden, dass Eltern tatsächlich im Sinne ihres Nachwuchses wählen? Und können Teenager sich überhaupt ein Bild davon machen, was die Stimmabgabe für eine bestimmte Partei bedeutet?

Verarmung der Politik

Bleibt aber alles, im Wortsinne, beim Alten, droht die deutsche Politik zu verarmen: Es wird noch stärker an frischen Ideen mangeln, und Zukunftsthemen wie Bildung, Energie und Erziehung werden im Zweifel den Kürzeren ziehen gegenüber Rentenfragen, Pflegeversicherung und Gesundheitspolitik.

Wenn die Parteien verhindern wollen, dass aus der Demokratie eine Gerontokratie wird, sollten sie diesen Missstand auf die Agenda der kommenden Legislaturperiode setzen.

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