Degler denkt:Deutsch-russisches Dilemma

Der Wiesbadener Gipfel zwischen Putin und Merkel scheint außer harmonisierten Äußerungen nicht viel gebracht zu haben. Aber: Gibt es eine Alternative zum hartnäckigen Dialog?

Dieter Degler

Manchmal, bei der "Tagesschau", fällt mein Blick auf die Weltkarte hinter dem Studiosprecher, und ich staune jedes Mal wieder über die gewaltige Ausdehnung von Russland, das ich erst wenige Male besucht habe. Daneben wirkt selbst China wie ein Land mittlerer Dimension, die EU wie ein Klecks auf dem Globus, von Deutschland ganz zu schweigen.

Die Größenrelationen mögen schon ein Stück weit erklären, warum sich die Verhältnisse im östlichen Riesenstaat nur so langsam wandeln und verbessern. Sie machen aber auch klar, dass es ganz besonderer Anstrengungen bedarf, wenn Deutschland Einfluss auf die Entwicklungen in Russland nehmen möchte.

Diesem Ziel dient, unter anderem, der Petersburger Dialog, bei dem sich seit sechs Jahren Kabinettsmitglieder und andere Menschen aus beiden Ländern unter Schirmherrschaft der Regierungschefs treffen. Was bei dem Treffen diese Woche in Wiesbaden herausgekommen ist, lässt allerdings zu wünschen übrig. Angela Merkel, bislang als Außenpolitikerin höher gelobt als für ihre innenpolitischen Fähigkeiten, hat scheinbar wenig bewegt; der Wiesbadener Gipfel hatte keine besonders gute Presse.

Herzstück: die wirtschaftlichen Beziehungen

Merkel-Kritiker durften sich schon bestätigt fühlen, kaum dass Wladimir Putin nach Teheran abgereist war: Hatte die Kanzlerin vor dem Wiesbadener Gespräch noch angekündigt, sie werde auf den Kreml-Chef einwirken, den Druck auf den Atomkraft-Entwickler Ahmadinedschad zu erhöhen, so zeigte sich Putin davon völlig unbeeindruckt und stützte den iranischen Kernkraft-Kurs.

Natürlich klang es auch nicht gerade couragiert und engagiert, wenn die Kanzlerin in Wiesbaden vor allem darauf verwies, dass die wirtschaftlichen Beziehungen das Herzstück der deutsch-russischen Verhältnisses bilden. Und es ist leicht, Merkel als rüstungspolitische Claqueurin der Amerikaner hinzustellen, die nicht auf Putin, sondern auf Schutzschild-Planer Bush einwirken müsse, wie die Linke fordert.

Es ist richtig, auf den schlimmen Zustand von Demokratie und Pressefreiheit in Russland hinzuweisen, den nicht nur die Grünen beklagen. Und es ist wahr, dass das zunehmend autokratische System Putin von rechtsstaatlichen Prinzipien wenigstens genau so weit entfernt ist wie zu Zeiten des alkoholkranken Kreml-Chaoten Jelzin, was beispielsweise die liberale Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger regelmäßig anprangert.

Nur: Welche Alternative gibt es zu Gesprächen, wenn Deutschland und Europa neben Wirtschaftsgütern und Dienstleistungen auch Demokratie und Rechtsstaat exportieren möchten? Da unterscheidet sich die Komplexität des Dilemmas mit Russland nur graduell vom Verhältnis zu China, dem anderen Mega-Staat im Osten. Soll Deutschland Druck ausüben, wenn in Russland die Opposition eingeschüchtert, die Presse weitgehend regierungskonform gleichgeschaltet und politische Justiz geübt wird?

Und wenn ja, wie und womit denn? Und mit welchen Konsequenzen? Soll es die Wirtschaftsbeziehungen reduzieren und sich damit selbst bestrafen? Soll es russische Energie boykottieren? Soll es ein internationales "Demokratie in Russland"-Tribunal veranstalten?

Politik der kleinen Schritte,

Deutschland, das im Ost-West-Spannungsverhältnis eine wichtige Rolle spielt und eine Moderatorenrolle zur Verhinderung einer nächsten Etappe im Rüstungswettlauf einnehmen könnte, hat Russland viel zu verdanken. Vor allem das Ende des Hitler-Reiches und das Ende der deutschen Teilung. Und wenn Russland uns nicht mit Energie versorgen würde, bliebe es hier bald bitterkalt oder würde noch viel teurer, als es heute bei Eon ohnehin schon ist.

Zu bedenken ist überdies, dass Russland sich auf weltpolitischer Ebene seit Jahren in der Defensive sieht. Die einstige Weltmacht hat ganze Territorien verloren, ihr Einfluss auf einstige Verbündete ist geschwunden. Und wo vor kurzem noch der Warschauer Pakt herrschte, stehen künftig vielleicht amerikanische Raketen.

Es wird also für Deutschland darauf ankommen, die Beziehungen in möglichst vielen Bereichen und auf möglichst vielen Ebenen noch weiter auszubauen und den eurasischen Riesen noch näher an die EU heranzuführen, den Dialog behutsam und klug fortzusetzen, russische Geschichte und Mentalität zu berücksichtigen und dabei vor allem zwei Dinge zu beachten: Die Empfindsamkeit der ost- und mitteleuropäischen Staaten nicht zu verletzen, die das deutsch-russische Verhältnis immer auch mit den Augen gebrannter Kinder sehen. Und die Kreml-Machthaber kontinuierlich auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Normen zu verpflichten, zu denen sich Russland beispielsweise durch die Mitgliedschaft im Europarat bekannt hat.

Deshalb kann ich in den Chor mancher Kommentatoren und Oppositionspolitiker nur schwer einstimmen. Der Petersburger Dialog mag zwar unspektakulär gewirkt haben. Doch Merkel setzt auf Instrumente, die sich in der zweiten Halbzeit des kalten Krieges außerordentlich bewährt haben: Politik der kleinen Schritte, Wandel durch Annäherung und hartnäckigen Dialog.

Die Kanzlerin, die als Kind und junge Frau in der DDR-Kirchenszene verwurzelt war, weiß, wie viel stetes Wasser nötig ist, wenn der Stein gehöhlt werden soll. Mit dieser Erfahrung hat sie beispielsweise russische Oppositionsbewegungen bei einem ihrer letzten Russland-Besuche zum Durchhalten ermutigt.

Vielleicht sollte sie, wenn sie hierzulande die Mächtigen aus Moskau empfängt, das eine oder andere Thema deutlicher und lauter an- und aussprechen. Ansonsten gilt: Weitermachen.

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