Degler denkt:Der Grüßaugust von der Waterkant

Schleswig-Holsteins Regierungschef Carstensen glaubt die Neuwahl schon halb gewonnen zu haben. Doch sein Land ist immer für Überraschungen gut.

D. Degler

Wer die Seite schleswig-holstein.de anklickt, den heißt Regierungschef Peter Harry Carstensen persönlich und auf Plattdeutsch im nördlichsten Bundesland willkommen. Da preist er den Nord-Ostsee-Kanal als meistbefahrene Wasserstraße der Welt, er lobt die Kieler Woche, die maritime Wirtschaft und, nicht zu vergessen, "de besten Handballers von de Welt" - das ist der THW Kiel. Kurzum, das Motto ist klar: "Schleswig-Holstein is ganz förn."

Degler denkt: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen

(Foto: Foto: dpa)

Ganz vorne möchte der Grüßaugust von der Waterkant auch nach der erzwungenen Neuwahl am 27. September bleiben. Dabei setzt Carstensen vor allem auf drei Faktoren: Zum einen kann er sich ausrechnen, dass seine CDU, die derzeit wie fast überall in Umfragen wenigstens zehn Prozentpunkte vor der SPD liegt, mit dem nationalen Angela-Merkel-Trend auch im Norden zur stärksten Partei wird und eine Koalition mit den Liberalen bilden kann.

Zum anderen setzt er darauf, dass große Koalitionen nichts anderes sind, als ein verlangsamter Abschied von der Macht jener Partei, die bereits zuvor regiert hatte. Das war 1969 so, als das Bonner CDU-Kabinett des Erhard-Nachfolgers Kurt Georg Kiesinger von der ersten sozialliberalen Koalition abgelöst wurde. Und das wird mutmaßlich im Herbst so sein, wenn die SPD auf den Berliner Oppositionsbänken Platz nimmt.

Zum Dritten darf Carstensen hoffen, dass die Wähler das Scheitern des Kieler Bündnisses vor allem den Sozialdemokraten und ihrem wenig beliebten Landeschef Ralf Stegner anlasten.

Doch die Sache ist längst nicht ausgemacht. Carstensen, der gerne den bärtigen Gemütsmenschen gibt, ist im Lande kaum beliebter als sein SPD-Konterpart. Mitentscheidend für den Wahlausgang wird deshalb der Auslöser für Koalitionsbruch und Neuwahl sein: Bei wem vermuten die Stimmbürger den Schwarzen Peter für den Bonus-Skandal bei der HSH Nordbank?

Und da sieht Carstensen nicht besonders gut aus: Im März trat sein Parteifreund Werner Marnette als Wirtschaftsminister zurück und griff das missratene HSH-Krisenmanagement des Regierungschefs an. Und erst letzte Woche wurde Carstensen beim Schwindeln über die Informationspolitik in Sachen HSH erwischt.

Schon deshalb ist fraglich, ob und in welchem Maß die Nord-Union tatsächlich vom Bundestrend profitieren kann. Sicher scheint nur, dass die kleineren Parteien, vorneweg die FDP, erstarken und die beiden größeren, die einmal Volksparteien waren, weiter erodieren werden. Ansonsten ist in dem kleinen deutschen Flächenstaat fast alles möglich.

Das Nordland zwischen den Meeren ist und war schon immer für politische Überraschungen gut. Dort stürzte Regierungschef Uwe Barschel über dreiste Lügen und nahm sich kurz nach der Landtagswahl 1987 das Leben. Dort verlor die SPD 1993 ihren Kanzlerkandidaten und Ministerpräsidenten Björn Engholm wegen einer Falschaussage. Dort regierte mit Heide Simonis die bislang einzige deutsche Ministerpräsidentin. Dort ist, in Kiel, aus dem Fünfparteiensystem längst ein Siebenparteiensystem geworden. Und dort gab es vor einem Jahr den größten politischen Erdrutsch, den die Bundesrepublik je bei Kommunalwahlen erlebt hat.

Die CDU beispielsweise, die auch damals in Umfragen ganz gut gelegen hatte, brach in den großen Städten Kiel, Lübeck und Flensburg um bis zu 25 Prozentpunkte ein. Peter Harry Carstensen scheint das vergessen zu haben. Er könnte in zwei Monaten daran erinnert werden.

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