Süddeutsche Zeitung

Degler denkt:Charme und Chancen

Auch nach der Nominierung zum ersten schwarzen Präsidentschaftskandidaten der USA halten sich große Zweifel an den Siegesaussichten von Barack Obama.

In Deutschland ist Barack Obama schon jetzt eine Ikone und so etwas wie der gefühlte US-Präsident. Hierzulande gilt er als Symbol eines besseren Amerikas, das auch mit dem Rest der Welt spricht, bevor es international weitreichende Entscheidungen trifft. Als er vor Wochen am Brandenburger Tor sprach und höhere Bündniszahlungen einforderte, überhörten hunderttausende Begeisterte den ernsten Hinweis und feierten den demokratischen Senator aus Illinois wie eine Reinkarnationsmischung aus John F. Kennedy und Elvis.

Das ist in den USA ganz anders. Zwar strahlt der 47-Jährige mit seinem jugendlichen Star-Charme auch dort hell: Obama ging als Außenseiter in die Vorwahl, er gewann - unter anderem mit einer fabelhaften Internet-Kampagne - die Schlacht gegen die favorisierte Clinton-Maschine und einen großen Teil des Parteimanagements. Er übersprang Knüppel wie jenen, den ihm sein ehemaligen Pastor in den Weg geworfen hatte, und er ist der erste farbige Präsidentschaftskandidat in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Auch der Nominierungsparteitag in Denver trug diese Woche zum Obama-Glanz bei. Er wirkte wie eine Passage aus einem Spielberg-inszenierten Aufstiegsschinken über den Weg eines Mannes aus den provinziellen Niederungen des mittleren Westens bis in den Olymp der Weltpolitik.

Doch dieser Weg ist noch lang, und etliche politische Beobachter fragen sich, ob Obama ihn bewältigen kann. Die Zweifel an seinen Siegchancen haben viele Gründe. Erstens: Schon seit langem befürwortet eine Mehrheit der US-Bevölkerung einen Wechsel im Weißen Haus, vor allem wegen der verfehlten US-Außenpolitik und der kritischen Wirtschaftslage. Doch Obama liegt in sämtlichen Umfragen hinter den Sympathiewerten, die seine Partei genießt. Viele Wähler trauen ihm offenbar nicht zu, jene Kraft, die seine charismatischen Auftritte kennzeichnen, auch in praktische Politik umzusetzen.

Zweitens: Die weiße Mittelschicht steht dem farbigen Kandidaten noch immer mit großer Skepsis gegenüber. Auch die Berufung des alten Schlachtrosses Joe Biden aus Delaware, von der sich das Obama-Team den Durchbruch in dieser Wählergruppe versprochen hatte, blieb folgenlos - Obamas Umfragewerte blieben unter denen seines republikanischen Rivalen McCain.

Drittens: In den so genannten battleground states, jenen Staaten, die letzten Endes über den Wahlausgang entscheiden werden, hat Obama so gut wie keinen Vorsprung mehr. In den bevölkerungsreichen Staaten Ohio und Florida - wo George Bush die letzten beiden Wahlen gewann - liegt John McCain vorne.

Viertens: Diese Position könnte er dort und anderswo noch ausbauen. Denn McCain hatte Zeit genug, sämtliche Attacken, mit denen sich Hillary Clinton im Vorwahlkampf gegen Obama durchzusetzen versuchte, zu analysieren und hat nun genügend Munition, die er bis zum Wahltag einsetzen kann.

Und am Ende könnte auch die Hautfarbe des Kandidaten noch eine gewichtige Rolle spielen: Noch immer kann sich ein Großteil der US-Bürger nicht vorstellen, dass eine schwarze Familie im Weißen Haus residiert.

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