Süddeutsche Zeitung

Degler denkt:Besser in Bellevue

Köhler oder Schwan? Der Zweikampf um das Amt des Bundespräsidenten lässt die meisten Deutschen ziemlich kalt - zu Unrecht.

Dieter Degler

Egal, ob der Deutsche durch die Print-, Online- oder TV-Medien zappt oder auf einer Party-Gesellschaft das Thema Bundespräsidentenwahl erörtern möchte - er stößt überwiegend auf Desinteresse. Um wie viel aufregender und interessanter erscheint da der vergangene Bundesligaspieltag!

Der Urnengang am Samstag in der Bundesversammlung, glauben die meisten, sei für Amtsinhaber Horst Köhler (CDU) ohnehin gelaufen, seine Hauptkonkurrentin Gesine Schwan von der SPD habe nur Außenseiterchancen - und die ganze Veranstaltung sei ja doch irgendwie bedeutungslos. Es gehe doch nur um den "Grüßaugust der parlamentarischen Demokratie".

Das unterschätzte Amt

Kommt darauf an! Wenn die 1224 Delegierten am Samstag, kurz vor dem Anstoß der Partie VfL Wolfsburg gegen Werder Bremen, das nächste deutsche Staatsoberhaupt wählen, könnte der Showdown um das unterschätzte Amt durchaus Spannungsmomente bergen.

Die "Bürgerlichen" von Union, FDP und Freien Wählern verfügen mit insgesamt 614 Wahlmännern und Wahlfrauen gerade mal über eine Stimme mehr, als sie zur Mandatsverlängerung für den einstigen Direktor des Internationalen Währungsfonds benötigen. Fehlt in den ersten beiden Wahlgängen auch nur eine Stimme zur absoluten Mehrheit, kommt es zur dritten Runde - und da könnte Gesine Schwan Chancen haben.

Würde sie tatsächlich gewählt, hätten zwei Frauen das höchste und das mächtigste politische Amt dieses Landes inne - was nicht nur für die Geschichte der Frauenbewegung als Meilenstein gelten dürfte. Darüber hinaus könnte eine Schwan-Wahl ungeahnte Strahlungseffekte auf Europa- und Bundestagswahl ausüben: Schon einmal, 1969, ging mit dem knappen Erfolg von Gustav Heinemann im dritten Anlauf ein Parteienwechsel auf dem Präsidentensessel dem Machtwechsel im Kanzleramt voraus.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Köhler so lange nicht wird warten müssen. Der Quereinsteiger war bislang, auch wenn er sich durchaus noch steigern dürfte, kein schlechter Präsident und kann sogar auf Stimmen aus dem SPD-Lager hoffen. Und richtig an der gefühlten Stimmungslage im Volk ist auch, dass die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Amtsinhaber nach den Erfahrungen in der Weimarer Republik auf überschaubares Maß geschrumpft worden sind und sich weitgehend in repräsentativen und - zum deutlich kleineren Teil - kontrollierenden Pflichten und Rechten erschöpfen.

Allerdings könnte in Zeiten des Sechs-Parteien-Systems mit möglichen Wackelkoalitionen oder gar Minderheitsregierungen der machtpolitische Aspekt an Bedeutung gewinnen. Wenn es um das Inkrafttreten von Gesetzen oder die vorzeitige Auflösung des Bundestages geht oder ein Kanzlerkandidat drei Wahlgänge überstehen muss, kommt das Staatsoberhaupt ins Spiel.

Fall eins hatten wir schon mehrfach: Acht Mal weigerten sich Präsidenten, ein vom Parlament gebilligtes Gesetz zu unterschreiben. Fall zwei gab es auch schon drei Mal: Köhler stimmte auf Betreiben der Schröder-SPD ebenso Neuwahlen zu wie seine Vorgänger Heinemann (auf Betreiben der Schmidt-SPD) und Carstens (auf Betreiben der Kohl-CDU). Fall drei steht noch aus: Erreicht ein Kanzlerkandidat im dritten Wahlgang nur die einfache, aber nicht die absolute Mehrheit, kann der Präsident ihn entweder ernennen oder aber Neuwahlen ausrufen.

Nun möge der Wähler noch eine Weile verhindern, dass der Präsident in diese Zwickmühle gerät. Die Option zeigt aber, dass es eben nicht egal ist, wer im Schloss Bellevue Hof hält - sondern dass es, im Gegenteil, sehr darauf ankommt, aus welchem Holz der oberste Deutsche geschnitzt sein sollte. Und auch die Erfahrung beweist: Welche Kraft des Amt ausstrahlt, ist zwar von Staats wegen begrenzt, hängt aber entscheidend von der Art der Amtsführung ab.

Nur Lübke war ein Ausfall

Bislang hatte die Bundesrepublik da einiges Glück. Von den acht Köhler-Vorgängern dürfen bis auf den blamablen Heinrich Lübke alle als mindestens passabel bewertet werden.

Drei Große ragen heraus: Theodor Heuss, der das Amt prägte wie kein anderer und international der erste deutsche Nachkriegs-Sympathieträger wurde; Richard von Weizsäcker, der die gesellschaftliche Machtergreifung der Parteien geißelte und dem schier allmächtigen Helmut Kohl mehr als einmal Widerstand bot sowie Roman Herzog, der mit seinem großen Ruck-Vortrag die Tradition der Berliner Präsidentenreden begründete und bereits vor mehr als einem Jahrzehnt dem Volk die Leviten so las, als hätte er seherische Kräfte: "Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression - das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll."

Ob Horst Köhler ähnliches Potenzial hat, muss er noch beweisen. Und ob Gesine Schwan klüger ist, als es ihre Weigerung nahelegt, die DDR als Unrechtssystem zu bezeichnen, ist gleichfalls fraglich. Man darf aber jedem der Kandidaten etwas wünschen: Große Unabhängigkeit, mehr Mut und ein Höchstmaß an Zivilcourage.

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