Degler denkt:Angies Eyes

Alle Warnsysteme und Experten haben versagt: Erst allmählich erschließt sich den Regierungen der Welt, was die Krise der Weltfinanzmärkte bedeutet.

Dieter Degler

Blicke können sprechen. Sie können streicheln, stechen und, im sprichwörtlichen Irrationalis, sie könne töten. Der Blick, mit dem Kanzlerin Angela Merkel am Montag dieser Woche auf Seite eins der Süddeutschen Zeitung abgebildet war, ist mir deshalb so aufgefallen, weil ich ihn bei ihr noch nie gesehen habe.

Degler denkt: Blick in den Abgrund der Weltwirtschaft: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück.

Blick in den Abgrund der Weltwirtschaft: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück.

(Foto: Foto: dpa)

Als sie da neben Finanzminister Peer Steinbrück stand und versuchte, die deutschen Anleger zu beruhigen, war das der Blick einer Frau, die etwas Ungeheueres zu verarbeiten hat, die in einen Abgrund gesehen hat, die unter Schock steht oder tief deprimiert ist.

Man muss über keine Geheimdienst-Fähigkeiten verfügen, um die Ursache dieses Starrens zu erkennen. Die Kanzlerin kam gerade aus einer Runde, in der es um den zweiten Rettungsversuch für die Hypo-Real-Estate-Bank ging, und in der ihr offenbar erstmals klar wurde, an welchem Abgrund die Weltwirtschaft, das deutsche Finanzwesen und mithin auch Wirtschaft, Gesellschaft und Regierung derzeit entlang schrammen.

Versagen der Experten

Davon hatte ihr zuvor wohl weder der Kollege Wirtschaftsminister noch ihr Kanzleramtschef, noch sonst irgendjemand etwas gesagt. Es muss eine erschütternde Erkenntnis gewesen sein.

So wie Frau Merkel mag auch Gordon Brown nach dem privatwirtschaftlichen Untergang von Northern Rock geguckt haben und George Bush nach dem Konkurs von Lehmann Brothers. Und so verzweifelt aus der Wäsche guckte am Dienstag auch der isländische Premierminister Geir H. Haarde, als er wegen der Finanzkrise einen Notstand für den Inselstaat verkündete, dessen Banken sich, wie viele deutsche auch, massiv verspekuliert haben.

Der Schock über die Auswirkungen dessen, was fälschlich noch immer Finanzkrise genannt wird, sitzt aus zwei Gründen so tief. Zum einen, weil niemand weiß, wie groß das Fass ohne Boden am Ende sein wird.

Zum anderen, weil die Weltgemeinschaft der Experten versagt hat: Die Ratingagenturen spielten Kreditrisiken jahrelang herunter und prognostizierten mit einer ans Kriminelle grenzenden Chuzpe, gegen die das Orakel von Delphi seriös und verlässlich genannt werden muss.

Die Risikoprofis in den Staatsbehörden für Finanzaufsicht, in Deutschland sind das allein rund 1600 Menschen, haben sich als inkompetent erwiesen. Und dass die zu Unrecht so genannten Wirtschaftsweisen, die alle paar Monate eitel in der Tagesschau Wachstumsveränderungen im Zehntelprozentbereich wortreich begründen, laut und deutlich vor der drohenden Katastrophe gewarnt hätten, kann man ihnen leider auch nicht nachsagen.

Die Schuld der Häuslebauer

Auch bei der Ursachenforschung geht es jetzt drunter und drüber. Es war die Gier der Investmentbanker, sagen die meisten. Es war die Gier der Geldanleger, sagen auch viele. Für manche liegt es an zu laschen Kontrollsystemen für die Bankenwelt, für andere war es genau dieses Kontrollsystem, das die Konstrukteure von komplexen Finanzprodukten erst zu höchster Kreativität getrieben hat.

Und am Ende trägt der Häuslebauer "genauso Schuld wie der Wallstreet-Banker". Diese profunde Erkenntnis verkündete dieser Tage der Vorstandvorsitzende des Axel-Springer-Konzerns, der gerade mit einem Irrtum eine halbe Milliarde Euro seines Unternehmens versenkt hat - und stellte damit den Abhängigen auf eine Stufe mit dem Dealer.

Es darf einem Angst und Bange werden, wenn jene Polit- und Wirtschaftsgewaltigen, welche die Krisenzeichen übersehen haben, nun dabei helfen sollen, diese größte Schieflage des Weltfinanzsystems auch zu bewältigen.

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