Deeskalationszonen:Der Plan hieß: Frieden

Deeskalationszonen: Seit drei Jahren halten sie die Stellung: ein Angehöriger einer regierungstreuen Miliz bei Salamiyah. "Jede Nacht gibt es Gefechte", sagt sein Kommandeur.

Seit drei Jahren halten sie die Stellung: ein Angehöriger einer regierungstreuen Miliz bei Salamiyah. "Jede Nacht gibt es Gefechte", sagt sein Kommandeur.

(Foto: Paul-Anton Krüger)
  • In Syrien soll mithilfe von vier Deeskalationszonen die Gewalt eingedämmt werden.
  • Vereinbart haben diese Zonen die mit dem Assad-Regime verbündeten Garantiemächte Russland und Iran sowie die Türkei mit einer Vielzahl syrischer Rebellengruppen.
  • Von Frieden ist in drei der vier Zonen aber nicht viel zu sehen. In den Vororten von Damaskus toben die schwersten Kämpfe seit Monaten.

Von Paul-Anton Krüger

Oberst Mohammed al-Kassih deutet über die aufgestapelten Sandsäcke und Munitionskisten hinweg auf sanfte braune Hügel, Olivenbäume wachsen in langen Reihen darauf. "Da hinten sind sie", sagt er. Sie, das sind die Rebellen. Und die Terroristen der Nusra-Front. Al-Kassih, 57, steht in der letzten Stellung der syrischen Regierung zwischen Homs und Hama, ein Labyrinth aus Laufgängen, betonierten Räumen, Schießscharten mit Maschinengewehren.

Hier bei Salamiyah verläuft die Front zu einer der vier Deeskalationszonen in Syrien, die mehr als 80 Ortschaften einschließt und etwa 150 000 Einwohner. Die anderen umfassen die östliche Ghouta, den künstlich bewässerten Grüngürtel rund um Damaskus, mit 400 000 Menschen; die Provinz Idlib sowie weitere Gebiete in Nachbarprovinzen an der Grenze zur Türkei mit etwa 2,5 Millionen Zivilisten und mehreren Zehntausend Kämpfern; sowie schließlich Teile der Provinzen Deraa und al-Quneitra im Süden, die an Jordanien grenzen.

Vereinbart haben diese Zonen die mit dem Regime von Präsident Baschar al-Assad verbündeten Garantiemächte Russland und Iran sowie die Türkei (die einer der wichtigsten Unterstützer der Assad-Gegner ist) mit einer Vielzahl syrischer Rebellengruppen in der kasachischen Hauptstadt Astana. Offiziell sollen sie dazu beitragen, das Niveau der Gewalt in Syrien einzudämmen, den Konflikt einzufrieren und damit ein Ende des Bürgerkriegs näherzubringen.

Von Frieden ist nicht viel zu sehen

Auf die regional begrenzten Waffenstillstände folgen nach diesem Plan Verhandlungen über lokale Versöhnungsabkommen. In der Vergangenheit lief das meist darauf hinaus, dass die Rebellen nach jahrelanger Belagerung zermürbt und ausgehungert de facto kapitulierten, und das Regime den Kämpfern und ihren Familien freies Geleit gewährte.

Von Frieden ist in drei der vier Zonen nicht viel zu sehen. In den Vororten von Damaskus toben die schwersten Kämpfe seit Monaten; das Bombardement durch russische und syrische Kampfjets ist von der Hauptstadt aus mit bloßem Auge zu beobachten. Auch in Idlib, dem größten der Gebiete, gehen die Angriffe weiter. Und im Sand der Stellung bei Salamiyah liegen Patronenhülsen von Maschinengewehren und Kalaschnikows. "Jede Nacht gibt es Gefechte", sagt Oberst al-Kassih, ein kräftiger, großer Mann in Flecktarnuniform, mit weißem Haar und weißem Schnauzer.

Seine Einheit gehört zu den Nationalen Verteidigungskräften (NDF), einer Dachorganisation regierungstreuer Milizen, die Unterstützung von der syrischen Armee erhalten. Ihre Kämpfer sind eine freiwillige Reserve; al-Kassih war 30 Jahre beim Militär und längst in Pension, als er sich meldete. Sie werden in der Regel in ihren Heimatprovinzen eingesetzt.

Kassihs Männer stammen alle aus Salamiyah und den Dörfern ringsum. "Wir verteidigen unsere Heimat", sagen sie - die NDF-Einheiten gelten als hoch motiviert im Vergleich zur Armee. Seit drei Jahren halten sie die Stellung, erklärt al-Kassih, auch wenn die Rebellen immer wieder versuchten, sie zu überrennen. "Wir rufen dann den russischen Verbindungsoffizier an", sagt der Oberst. In sieben Minuten seien die Kampfjets vom Stützpunkt Khmeimim bei Latakia da.

Ein weißer Van braust in eine Staubwolke gehüllt den Hügel hinauf. Ein russischer Offizier, sein Adjutant und ein Dolmetscher springen heraus. Er lässt sich von Oberst al-Kassih die Lage der Stellung erklären und die Grenze der Deeskalationszone auf der Karte zeigen. Dann salutiert er und springt wortlos wieder in den Wagen. Die Russen und die Regierung in Damaskus verhandeln mit Rebellengruppen in dem Gebiet, bislang ohne Ergebnis.

30 verschiedene Rebellengruppen in der Deeskalationszone

Das Problem ist altbekannt und hat jede Waffenruhe in Syrien zum Scheitern gebracht: In der Deeskalationszone gibt es an die 30 verschiedene Rebellengruppen, die von den Vereinbarungen umfasst sind. Daneben gibt es aber auch Kämpfer der international als Terrorgruppe eingestuften Nusra-Front, knapp 1500 Mann, wie Oberst al-Kassih behauptet. Sie sind nicht Teil des Abkommens, sondern weiter ein legitimes Angriffsziel für die Regierung und Russland. "Das Gebiet ist innen offen", sagt der Oberst. "Wir können nicht zwischen den Gruppen unterscheiden, wenn wir angegriffen werden."

Aktivisten etwa aus Talbiseh, einem Ort in der Zone, berichten dagegen, dass Luftangriffe immer wieder zivile Ziele träfen, obwohl es in dem Ort keine Nusra-Kämpfer gebe, sondern nur Gruppen, die Teil des Abkommens seien. Auch aus der Deeskalationszone Idlib gibt es solche Berichte, etwa nach den verheerenden Luftangriffen Mitte November auf einen Markt in Atarib, bei dem mehr als 60 Menschen starben. Die meisten waren Zivilisten.

Kritiker halten die Deeskalationszonen denn auch eher für einen Versuch, den Konflikt für die geschwächten Regierungstruppen Assads beherrschbar zu machen, die militärisch nicht in der Lage sind, mehr als eine größere Offensive zu führen. Sie verweisen auf Assads Ankündigungen, jeden Quadratzentimeter syrischen Bodens militärisch zurückerobern zu wollen.

Elia Samman, politischer Berater des Ministers für Nationale Aussöhnung, Ali Haider, sieht in den lokalen Versöhnungsabkommen dennoch "die beste unter vielen schlechten Optionen". Er wolle den "übermäßigen Einsatz von Gewalt in bestimmten Gebieten" nicht rechtfertigen. Aber die lokalen Waffenstillstände trügen dazu bei, Leben zu retten, Besitz von Syrern vor der Zerstörung zu bewahren und eine Aussöhnung auf nationaler Ebene vorzubereiten.

Der Mann von der Regierung sagt: "Ich wette, dass Sie keine Zeile von diesem Gespräch bringen."

Mehr als 100 lokale Abkommen habe die Regierung geschlossen; drei Millionen Syrer hätten davon profitiert und in ihre Heimat zurückkehren können, 80 000 ehemalige Kämpfer der Rebellen seien in den Genuss von Amnestien gekommen. Es bestehe kein Zweifel, dass die syrische Armee die Deeskalationszonen militärisch einnehmen könne. Nur sei der Preis dafür extrem hoch, deshalb wolle die Regierung es vermeiden. All das werde weder von westlichen Politikern noch Medien anerkannt, sagte er bei einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung Mitte November in Damaskus. "Ich wette, dass Sie keine Zeile von diesem Gespräch bringen werden."

Allerdings ist seine Sicht der Dinge doch arg einseitig: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schreibt in einem mehr als 80-seitigen Bericht, dass sich die Abkommen "verheerend auf die Zivilbevölkerung auswirken". Regierungstruppen töteten und vertrieben gezielt Zivilisten, um ihre Position in Verhandlungen mit der Opposition zu verbessern.

"Während angebliche Deeskalationszonen und Versöhnungsabkommen ausgehandelt werden, sehen wir vor Ort das Gegenteil: Massive Angriffe auf die Zivilbevölkerung halten an", sagt René Wildangel, Experte für den Nahen Osten bei Amnesty International in Deutschland. Das Regime setze zudem bewusst Hunger als Kollektivstrafe gegen das Volk ein und schneide es von medizinischer Versorgung ab. Zugleich verletzten und töteten Oppositionskämpfer Hunderte Zivilisten bei Angriffen auf regierungstreue Gebiete.

Jan Egeland, Berater des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura für humanitäre Fragen, sagt, nach 2016 habe er gedacht, es könne nicht schlimmer kommen. Doch seien 2017 in Syrien mehr Menschen vertrieben worden als im Vorjahr - im Schnitt 7700 pro Tag. Zwar gehe ein Anstieg in den letzten Monaten des Jahres maßgeblich darauf zurück, dass zwei Hochburgen des IS zurückerobert wurden: Raqqa durch von den USA unterstützte kurdische und arabische Milizen, und Deir al-Sour durch das Regime. Doch auch im Rest des Landes habe sich die Situation nach einem relativ ruhigen Sommer wieder verschlechtert. Besonders schlimm sei es in der von der Regierung belagerten Ost-Ghouta. Aber auch in der Deeskalationszone bei Homs, so berichten es Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, entfernten Regierungseinheiten an Checkpoints Medikamente und Lebensmittel aus Hilfstransporten - wenn sie überhaupt durchgelassen würden.

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