Debatte um Zuschuss für Familien:Alle streiten ums Betreuungsgeld - und Kristina Schröder schweigt

Rechnet sich Schwarz-Gelb das Betreuungsgeld schön? Bis zu 1,9 Milliarden Euro könnte die Förderung für Eltern von Kleinkindern ohne Kitaplatz jährlich kosten - deutlich mehr, als von der Regierung bislang veranschlagt. Die Kritik wird heftiger, nur aus dem Familienministerium kommt weiterhin: nichts.

Corinna Nohn

Der Koalitionsstreit ums Betreuungsgeld reißt trotz des Machtworts von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht ab. Im Gegenteil: Jeder, der noch nie etwas von der Herdprämie hielt, meldet sich nochmal zu Wort, die Befürworter halten umso beherzter dagegen. Außerdem ist inzwischen klar, dass das Projekt deutlich teurer wird als gedacht: Statt der eingeplanten 1,2 Milliarden Euro könnten die Kosten die Zwei-Milliarden-Grenze deutlich übersteigen.

Betreuungsgeld

1,9 Milliarden Euro könnte das Betreuungsgeld kosten - deutlich mehr, als die Regierung dafür bislang veranschlagt.

(Foto: dpa)

In der Welle der Wortmeldungen findet sich die Kritik der Arbeitgeber, die das ganze Projekt unsinnig finden, der Kommunen, die dem Kita-Ausbau hinterherhinken, auch Migrantenvertreter und Sozialverbände plädierten reihenweise dafür, die Milliarden lieber für bessere Kita-Ausstattung und Erzieher auszugeben.

Sogar die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa riet am Dienstag deutlich vom Betreuungsgeld ab: Frauen in Deutschland arbeiteten überdurchschnittlich oft in Teilzeitbeschäftigung und wiesen eines der höchsten Lohngefälle gegenüber männlichen Beschäftigten auf, sagte der Experte zu Reuters. "Das Betreuungsgeld wird diese Anreize verschärfen."

Nur aus dem Familienministerium kommt weiterhin: nichts. Ministerin Kristina Schröder, die doch eigentlich bis Ostern einen Gesetzentwurf hatte vorlegen wollen schwieg.

Dabei diskutierten am Dienstag alle über die Kosten, die auf den Staat zukommen und wohl deutlich höher ausfallen als gedacht. Denn Forscher des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hatten einst im Auftrag des Bundesfinanzministeriums berechnet: Der Zuschuss an Eltern, die auf einen Krippenplatz für ihre Kinder verzichten, wird bis zu 1,9 Milliarden Euro jährlich kosten. Die Regierung veranschlagt aber für die Einführungsphase im Jahr 2013 lediglich Ausgaben in Höhe von 400 Millionen Euro, 2014 stehen dann 1,2 Milliarden Euro bereit.

Eltern müssen unfreiwillig auf das Betreuungsgeld ausweichen

Dabei hat die Analyse des ZEW mehrere aktuelle Erkenntnisse noch gar nicht berücksichtigt, die Kosten könnten noch deutlich steigen: Denn die Kalkulation basiert auf der Annahme, dass jedes dritte Kind unter drei Jahren in einer öffentlichen Einrichtung betreut wird - Eltern dieser Kinder hätten keinen Anspruch auf Betreuungsgeld.

Derzeit besucht aber nur etwa jedes vierte Kind unter drei Jahren eine Kita. Der Ausbau hinkt den Zielen ohnehin hinterher, obendrein werden im kommenden Jahr mindestens 20.000 Erzieher und Tausende Tagesmütter fehlen, um tatsächlich jedes dritte Kind betreuen zu können. "Es werden also vermutlich viele Eltern unfreiwillig auf das Betreuungsgeld ausweichen", erklärt Volkswirt Holger Bonin, der beim ZEW den Forschungsbereich "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung" leitet.

Die Rechnung ist relativ einfach: Es werden knapp 678.000 Kinder jährlich geboren, im Schnitt leben also mehr als 1,35 Millionen Zwei-und Dreijährige in Deutschland. Wenn nun drei Viertel dieser Kinder, also alle, die keine Kita besuchen, Anspruch auf Betreuungsgeld haben, sind das mehr als eine Million mal 150 Euro monatlich. Macht pro Jahr knapp 1,9 Milliarden Euro.

Allerdings zeigt eine aktuelle Studie des Bonner Instituts für Arbeit am Beispiel von Thüringen, wo es bereits seit 2006 ein Betreuungsgeld gibt: Gerade geringverdienende und alleinerziehende Müttern werden wegen des Betreuungsgeldes länger im Job pausieren und ihre Kinder nicht wie ursprünglich geplant in eine Kita schicken. Diese Reaktionen sind noch nicht in der Rechnung des ZEW enthalten. Allerdings räumt Volkswirt Bonin ein: "Es weiß keiner genau, wie das Familienministerium die Ausgaben errechnet hat, weil ja auch die Details zum Betreuungsgeld noch nicht feststehen."

Einführung verschieben?

Wegen der Kosten gibt es nun erste Forderungen, die Einführung des Betreuungsgeldes zu verschieben. Entsprechend äußerte sich etwa der CDU-Politiker Norbert Barthle in der tageszeitung: "Als Haushälter stelle ich mir die Frage, ob man das Betreuungsgeld von 2013 an oder später einführen sollte", sagte er. Bisher ist geplant, dass das Betreuungsgeld von August 2013 an gezahlt wird - genau dann also, wenn auch der Rechtsanspruch für Kita-Plätze greift. Anfangs sollen Eltern, die auf einen Platz verzichten, 100 Euro monatlich erhalten; von 2014 an sollen es 150 Euro für alle ein- und zweijährigen Kinder sein.

Ursprünglich wollte Familienministerin Schröder den Gesetzentwurf noch vor Ostern vorlegen, doch der befindet sich immer noch in Arbeit, mittlerweile ist von einer Fertigstellung von "vor der Sommerpause" die Rede. Änderungen dürften schon alleine wegen der andauernden Kritik aus den Reihen von CDU und FDP wahrscheinlich sein. Die Gegner erhielten nun auch Beistand von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die der Bundesregierung am Dienstag deutlich vom Betreuungsgeld abriet.

Alle, die am Dienstag auf eine Stellungnahme von Kristina Schröder zu dem Thema hofften, wurden enttäuscht: Von ihr erschienen lediglich Interviews zu Babyklappen und Bundesfreiwilligendienst.

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