Süddeutsche Zeitung

Debatte um Zapfenstreich für Christian Wulff:Ohne Amt - mit Würde

Christian Wulff hat die fälligen Konsequenzen seines Verhaltens gezogen und ist vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten. Vielen Menschen genügt das jedoch nicht, sie wollen ihm nun auch noch den Zapfenstreich zum Abschied verwehren - und ihn am liebsten einer gesellschaftlichen Ächtung unterziehen. Das ist ebenso erbarmungs- wie verantwortungslos.

Detlef Esslinger

Es reicht vielen Menschen nicht, dass Christian Wulff zurückgetreten ist. Es reicht ihnen nicht, dass dieser Politiker nun vor 82 Millionen Landsleuten blamiert ist, ganz gleich, was bei den Ermittlungen der Staatsanwälte herauskommen wird. Und es reicht ihnen ebenso wenig, dass der Mann auch finanziell bereits außerordentlich gestraft ist.

Rechnet man die Anwaltsrechnung hinzu, die die Folge seines Hauskaufs gewesen ist, liegt die Vermutung nahe: Hätte Wulff die Immobilie nicht über Freund Geerkens finanziert, sondern über einen Kredithai - die Sache wäre ihn wohl billiger gekommen, in jeder Hinsicht.

Die Debatte über Ehrensold, Fahrer & Büro und jetzt auch noch Zapfenstreich ist fürchterlich. In ihr tritt die Neigung eines großen Teils der Öffentlichkeit zutage, Politikern, die bereits die fälligen Konsequenzen gezogen haben, auch noch einer Art Ächtung auszusetzen.

Wulff konnte nicht Bundespräsident bleiben; das Amt braucht einen Menschen, der über jeden Zweifel erhaben ist. Er hat aber einen Anspruch darauf, nun mit Würde und Respekt behandelt zu werden. Wer ihm zum Beispiel den Zapfenstreich verweigern will, hilfsweise aber stolz verkündet, da auf keinen Fall hinzugehen, dem geht es nur darum, jemanden zu erniedrigen, der ohnehin bereits am Boden liegt.

Das wiederum ist ebenso erbarmungs- wie verantwortungslos. Der Große Zapfenstreich gilt weniger der Person Christian Wulff als dem Amt des Bundespräsidenten.

Der zivilisierte Wechsel an der Spitze des Staates und ein ebensolcher Umgang mit ehemaligen Staatsoberhäuptern sind ein Wert an sich. Wer's nicht glaubt, der möge sich in anderen Teilen der Welt umsehen.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2012/mkoh
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