Debatte um US-Militärintervention gegen Syrien:Obamas Woche der Wahrheit

Debatte um US-Militärintervention gegen Syrien: US-Präsident Barack Obama bei einer Pressekonferenz in Schweden, kurz vor seiner Abreise zum G-20-Gipfel in Stockholm.

US-Präsident Barack Obama bei einer Pressekonferenz in Schweden, kurz vor seiner Abreise zum G-20-Gipfel in Stockholm.

(Foto: AP)

TV-Interviews, Treffen mit Abgeordneten und eine Rede an die Nation: Obama tut alles, um den Kongress und die amerikanische Bevölkerung doch noch von einem Militärschlag gegen Syrien zu überzeugen. Der US-Präsident weiß, dass seine politische Zukunft auf dem Spiel steht.

Von Matthias Kolb

Die für den Rest seiner Präsidentschaft so wichtige Woche beginnt nicht gut für Barack Obama. Bereits im Frühstücksfernsehen sendet CBS erste Ausschnitte eines Interviews, das Charlie Rose mit Baschar al-Assad geführt hat. Darin weist Syriens Präsident alle Anschuldigungen zurück und erklärt, es gebe keine Beweise dafür, dass er chemische Waffen gegen sein Volk eingesetzt habe. Falls die Obama-Regierung diese habe, dann solle sie diese vorlegen, sagte Assad, der auf Interviewer Rose "erstaunlich ruhig" wirkte.

Obama kontert erst im Laufe des Tages: Er gibt am Nachmittag sechs US-Fernsehsendern Interviews, die abends ausgestrahlt werden. Darin wird Amerikas Präsident erneut erklären, wieso er glaubt, dass die USA den Giftgaseinsatz des Assad-Regimes vom 21. August nicht tatenlos hinnehmen können. Dass chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden, bezweifelte auch beim G-20-Gipfel in Sankt Peterburg niemand, doch Obama konnte trotzdem jenseits der Franzosen keine direkten Unterstützer eines Luftschlags gewinnen.

Doch das größte Problem Obamas ist die Zeit. Mit jedem Tag wird das selbstgesteckte Ziel, den Kongress zur Zustimmung zu bewegen, schwieriger. Zu Wochenbeginn steht fest: Würde heute abgestimmt, dann würde Obama eine Niederlage kassieren - dabei hat das Weiße Haus in den letzten beiden Wochen mit mindestens 85 der 100 Senatoren sowie mehr als 165 der 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses Gespräche über Syrien geführt. Auf Obama und seine Mitstreiter wartet eine schwierige Aufgabe, denn fast alle Skeptiker verlangen eine Gegenleistung.

  • Amerikanische Öffentlichkeit

Obama muss unbedingt die kriegsmüden Amerikaner überzeugen. Also wendet sich der US-Präsident nach der heutigen Interview-Offensive am Dienstag direkt ans Volk. Die Argumente sind bekannt, Obama hat sie am Samstag in seiner Radioansprache wiederholt: Es sei nicht zu tolerieren, dass Assad Tausende Bürger und Hunderte Kinder vergast habe, eine Intervention wäre kürzer als die Kriege in Afghanistan und im Irak und Amerikas Glaubwürdigkeit als älteste Demokratie der Welt stehe in Frage.

Kritiker bemängeln, dass der Präsident bislang nicht erklären konnte, wieso die nationale Sicherheit der USA durch den Giftgaseinsatz in Syrien in Gefahr sei - so ließe sich ein Militärschlag besser rechtfertigen. Auch bleiben die genauen Ziele äußerst vage, was bei den Bürgern das Gefühl entstehen lässt, dass aus einer kurzen Intervention doch ein langer, teurer Krieg werden könnte. Die vom Weißen Haus freigegebenen Videos, welche die Opfer des Giftgasanschlags zeigen, haben bislang zu keinem Meinungsumschwung geführt. Kontinuierlich spricht sich eine Mehrheit in Umfragen gegen ein Eingreifen der USA aus - und im Kampf um die Deutungshoheit sind die Gegner deutlich hörbarer.

  • Repräsentantenhaus

Gerade für die 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses ist die öffentliche Meinung extrem wichtig: Sie müssen sich alle zwei Jahre ihren Wähler stellen, die es gar nicht schätzen, wenn ihr Abgeordneter ihre Meinung ignoriert. Ausnahmsweise sind die Positionen in Washington nicht strikt nach Parteilinien getrennt: Zu den Gegnern zählen ebenso linke Demokraten aus der Antikriegsbewegung wie Tea-Party-Isolationisten, die Amerikas Rolle als Weltpolizist ablehnen. Zustimmung kommt hingegen von republikanischen Realpolitikern als auch von israeltreuen Demokraten, die mit einem Luftschlag ein Zeichen nach Teheran senden wollen.

Dass das "American Israel Public Affairs Committee" (Aipac), die wohl einflussreichste proisraelische Lobbygruppe, am Dienstag 250 Lobbyisten zu den Abgeordneten schicken wird, um für ein "Ja" zu werben, kann Obama nur recht sein. Denn alle Beobachter sind sich einig, dass eine Zustimmung im Repräsentantenhaus das größte Hindernis darstellen wird. Der Washington Post zufolge haben 111 Abgeordnete ihre Ablehnung angekündigt, weitere 116 tendieren zu einem "Nein": Damit wäre der Antrag abgelehnt. Als sicher gelten lediglich 25 "Ja"-Stimmen.

Zuletzt spekulierte etwa die New York Times darüber, dass Hillary Clinton hinter den Kulissen versuchen könnte, skeptische Abgeordnete umzustimmen: Als Außenministerin hatte sie 2012 vergeblich versucht, Obama zu einem härteren Durchgreifen in Syrien zu bewegen. Gewiss, Clinton könnte einige Demokraten überzeugen, doch ihr Einfluss auf Tea-Party-Republikaner ist äußerst gering - hier hat auch der konservative Republikaner John McCain wenig zu melden.

Am Ende kämpft Obama im Repräsentantenhaus auch gegen sich selbst: Allein die Tatsache, dass ein "Ja" im Kongress dem an der republikanischen Basis verhassten Präsidenten innenpolitisch nutzen würde, könnte für viele Abgeordnete der Grund sein, bei einem "Nein" zu bleiben - auch wenn sie grundsätzlich eine Vergeltungsaktion gegen das Assad-Regime unterstützen.

  • Senat

Dass die Chancen für eine Zustimmung im Senat aus Sicht des Weißen Hauses besser sind als im Repräsentantenhaus, liegt nicht nur daran, dass die Amerikaner ihre 100 Vertreter im Oberhaus auf sechs Jahre wählen. Mit Vizepräsident Joe Biden hat Obama einen Mann an seiner Seite, der fast 30 Jahre Senator war und weiß, wie er seine ehemaligen Kollegen umschmeicheln muss. Am Sonntag lud Biden sechs republikanische Senatoren zum Abendessen in seine Residenz ein - als Überraschungsgast kam Obama selbst dazu, um Überzeugungsarbeit zu leisten.

Das großen Gefeilsche beginnt

Dem Vernehmen nach wird Harry Reid, der demokratische Mehrheitsführer, im Senat am Mittwoch eine erste Testabstimmung durchführen: Er braucht 60 Ja-Stimmen, um die Debatte zu eröffnen und um eine mögliche Blockade durch das Filibuster-Dauergerede überwinden zu können. Zwar haben mindestens sechs Republikaner ihre Unterstützung angekündigt, doch zugleich haben sich fünf Demokraten auf ein "Nein" festgelegt. Wann es im Senat dann zur Abstimmung kommt, ist kaum abzuschätzen: Gerade die Tea-Party-Lieblinge Ted Cruz und Rand Paul werden jede Minute nutzen, um sich mit ihrem Protest gegen einen Militäreinsatz zu profilieren.

Die Ambitionen der 100 Senatoren sind ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Der Kolumnist Doyle McManus wies jüngst darauf hin, dass fast jeder Senator irgendwann darüber nachdenke, für das Weiße Haus zu kandidieren - und kaum etwas ist brenzliger als die Unterstützung für einen aus dem Ruder gelaufenen Krieg. Die Beispiele von John Kerry und Hillary Clinton, die 2003 für den Irak-Krieg stimmten und denen dieses Votum als Kandidaten 2004 und 2008 schadete, sind in Washington allen bekannt.

Die große Herausforderung für Obama und seine Berater im Weißen Haus besteht also darin, Formulierungen und Zugeständnisse zu finden, um so Unterstützer zu sammeln. Denn während viele Skeptiker ihr "Ja" von einem engen Zuschnitt abhängig machen, möchte etwa der Falke John McCain so hart wie möglich zuschlagen. Hier ist viel Geschick nötig.

Und noch etwas erhöht die Einsätze in den Gesprächen, die derzeit via Telefon und in Washingtoner Büros stattfinden: In den nächsten Wochen verhandelt der Kongress über die Reform des Einwanderungsrechts, die Erhöhung der Schuldenobergrenze, das nächste Budget sowie möglicherweise die Bestätigung des neuen Chefs der Zentralbank Fed. "Wenn ein Republikaner den Präsidenten in der Syrienkrise unterstützt, dann wird er sicher in der Fiskalpolitik eine Gegenleistung fordern", meint der gut vernetzte Ex-Abgeordnete Tom Davis. Ähnliches orakelt auch Chris van Hollen, einflussreicher Demokrat im Repräsentantenhaus: "Es wird irgendeine Art von Nebenwirkungen geben."

Am Ende dieser Woche wird die Welt wohl wissen, welchen innenpolitischen Preis Barack Obama zu zahlen bereit ist, um seine eigene Glaubwürdigkeit in der internationalen Politik aufrecht zu halten. Denn sollte ihm der Kongress die Zustimmung für eine Intervention verweigern, sieht es für seine politische Zukunft düster aus: Er wäre ähnlich wie David Cameron vorgeführt worden und müsste sich entweder für einen Luftschlag gegen Damaskus über das Nein der Volksvertreter hinwegsetzen. Oder aber er akzeptiert das Votum des Kongresses und schickt keine Raketen und Flugzeuge. Dann aber wäre die Glaubwürdigkeit der US-Außenpolitik extrem beschädigt.

Linktipp: Die Washington Post aktualisiert laufend diese Übersicht, wie sich die Abgeordneten und Senatoren zur Syrien-Intervention positionieren und die die Mehrheitsverhältnisse sind.

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