Debatte um türkische Schulen:Merkel kontra Erdogan

Alle wettern gegen den türkischen Premier: Nun hat auch die Bundeskanzlerin klargestellt, dass sie nichts von türkischen Gymnasien in Deutschland hält.

Oft zieht es Angela Merkel bei unangenehmen Fragestellungen vor, einfach zu schweigen, die Situation auszusitzen.

Umso schwerer wiegt nun ihre Ablehnung türkischer Gymnasien in Deutschland: "Das führt aus meiner Sicht nicht weiter, denn grundsätzlich sollten türkischstämmige Kinder und Jugendliche bei uns in deutsche Schulen gehen", stellte die Bundeskanzlerin in der Passauer Neuen Presse klar - und das nur wenige Tage vor ihrer Reise in die Türkei.

Merkel sagte, sie "halte nichts von der Vorstellung, dass alle türkischen Schüler hier auf ein türkisches Gymnasium gehen sollen".

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte zuvor in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit angeregt, türkischstämmige Kinder in ihrer Muttersprache zu unterrichten.

"In der Türkei haben wir deutsche Gymnasien - warum sollte es keine türkischen Gymnasien in Deutschland geben?", hatte Erdogan gefragt. Er hatte seinen Vorschlag mit den anhaltenden Sprachproblemen vieler der drei Millionen Türken in Deutschland begründet: "Man muss zunächst die eigene Sprache beherrschen, also Türkisch - und das ist leider selten der Fall." Auch nach dem Abitur sollten seine Landsleute in Deutschland eine türkisch geprägte Ausbildung verfolgen können.

Kritik von allen Seiten

Für seine Ideen erntete Erdogan Kritik von allen Seiten. Vorhersehbar waren negative Äußerungen von Unionspolitikern - schließlich stehen CDU und CSU der Türkei ohnehin kritisch gegenüber und lehnen auch den EU-Beitritt des Landes ab.

So sagte der CDU-Politiker und innenpolitische Experte Wolfgang Bosbach dem Kölner Stadt-Anzeiger, er "glaube nicht, dass es die Integration fördern würde, wenn wir türkische Gymnasien einrichten, in denen der Unterricht in türkischer Sprache abgehalten wird". Und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt nannte Erdogans Forderungen im Gespräch mit Spiegel Online "im Vorfeld des Besuchs unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel" einen "Affront".

Doch auch Politiker anderer Parteien, Menschenrechtsvertreter und Schulexperten missbilligten Erdogans Vorstoß. So warf die SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz dem türkischen Regierungschef im ZDF vor, er spiele mit Emotionen.

"Nationaler Ton"

Und der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele griff Erdogan scharf an. "Mir gefällt der nationale Ton überhaupt nicht", sagte der Berliner Bundestagsabgeordnete der Saarbrücker Zeitung. Er "fürchte, dass es innenpolitische Gründe sind, um für die türkische Community in Deutschland auf dem nationalen Instrument zu spielen. Das halte ich nicht für gut und richtig." Migranten könnten in Deutschland "überhaupt nur am Leben teilnehmen und vorankommen", wenn sie die deutsche Sprache beherrschten.

Lesen Sie auf Seite 2, welche weiteren Themen Angela Merkel auf ihrer Türkei-Reise ansprechen wird.

Weitere Reizthemen

Die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Sevim Dagdelen, befand: "Die Debatte über die Einrichtung türkischer Gymnasien in Deutschland geht an der Realität vorbei."

Aus den Reihen der FDP meldete sich Serkan Tören, der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zu Wort. Er nannte Erdogans Forderung ein "falsches Signal", das zur Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft führe.

Deutsche Schulen in Türkei für Diplomatenkinder

Dem schloss sich auch Hessens Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) an. Mit Blick auf Erdogans Verweis, schließlich gebe es auch in der Türkei deutsche Schulen, sagte Hahn, diese Institutionen seien überwiegend für Diplomatenkinder vorgesehen. Diese Menschen seien aber immer nur Gäste des Landes, da sie nur eine begrenzte Zeit dort blieben.

"Die hier lebenden türkischstämmigen Bürger wollen hingegen in der Regel dauerhaft in Deutschland bleiben, wollen hier arbeiten, bauen hier Häuser und Gotteshäuser." Deshalb sei es für alle am besten, "dass sie sich in die Gesellschaft ihrer neuen Heimat integrieren".

Erdogans Forderung nach türkischen Schulen in Deutschland ist nicht das einzige Thema, das die Gemüter im Vorfeld von Merkels Besuch in Ankara und Istanbul erregt. Der türkische Premier hatte in dem Zeitungsinterview auch für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland plädiert sowie bekräftigt, sein Land strebe eine Vollmitgliedschaft in der EU an. Außerdem verlangt Erdogan eine Visafreiheit für türkische Bürger, die in die EU einreisen.

"Privilegierte Partnerschaft" - mehr nicht

Die Bundeskanzlerin dämpfte die Hoffnungen der Türken auf eine rasche Aufhebung des Visumszwangs bei Reisen von Türken in die EU - bei diesem Thema gebe es noch viel zu tun. Gleichzeitig bekräftigte sie ihr Angebot einer "privilegierten Partnerschaft" zwischen der Europäischen Union und der Türkei.

In Interviews mit türkischen Zeitungen skizzierte Merkel, wie eine solche Beziehung aussehen könnte: Sie ähnele einer Mitgliedschaft, doch bei der Integration der europäischen und türkischen Institutionen würden einige Bereiche ausgespart. Nach Ansicht der Unionsparteien würde eine Vollmitgliedschaft der Türkei die EU überfordern.

Merkel kündigte an, auch andere kritische Themen bei ihrer Türkeireise anzusprechen, zum Beispiel die Lage in Zypern und die Situation der Christen in der Türkei.

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