Debatte um Thilo Sarrazin:Unmut und Brandbriefe

Viele SPD-Mitglieder sind gegen einen Ausschluss Sarrazins - SPD-Generalsekretärin Nahles verteidigt die Haltung der Parteispitze in einem Schreiben an die Basis. Die schwarz-gelbe Regierung will unterdessen ihren ersten Integrationsgipfel einberufen.

Nico Fried

Angesichts vieler kritischer Stimmen zum Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin wirbt die SPD-Spitze an der Basis um Unterstützung für ihren Kurs. Generalsekretärin Andrea Nahles verteidigt in einem Brief, der am Freitag an alle Mitglieder verschickt wurde, den Beschluss des Parteivorstands, ein Ordnungsverfahren gegen den früheren Finanzsenator von Berlin und derzeit noch amtierenden Bundesbank-Vorstand einzuleiten.

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Streitthema Integration: Die schwarz-gelbe Regierung will nun ihren ersten Integrationsgipfel einberufen, die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles verteidigt unterdessen das Parteiauschluss-Verfahren gegen Thilo Sarrazin gegenüber der Parteibasis.

(Foto: dpa)

"Wir machen uns unsere Entscheidungen in dieser Sache nicht leicht", schreibt Nahles, "dazu sind die Themen zu wichtig, die Thilo Sarrazin anspricht." Er habe aber mit seinen "Äußerungen zu genetischen Identitäten von Völkern, Ethnien oder Religionsgemeinschaften eine Grenze überschritten und sich außerhalb der Partei- und Wertegemeinschaft der SPD gestellt."

Die SPD-Zentrale haben in den vergangenen Tagen angeblich Tausende Zuschriften zum Fall Sarrazin erreicht, von denen sich offenbar viele kritisch mit der Haltung des Parteivorstands auseinandersetzten. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte bereits am Mittwoch eingeräumt, dass "ein Ausschluss Thilo Sarrazins den Wählern und an der SPD-Basis nicht leicht zu vermitteln" sei.

"Vieles im Argen

Sarrazin erhält offenbar vor allem für seine Beschreibung der Probleme bei der Integration von Ausländern Zuspruch. Nahles betont deshalb auch in ihrem Brief, dass man "eine intensive Debatte über Integrationspolitik in unserem Land" befürworte. "In diesem Punkt geben wir Thilo Sarrazin recht:

"Es liegt noch vieles im Argen." Eine kritische Debatte über den Stand der Integration, über erreichte Fortschritte, aber auch über fortbestehende Probleme und Defizite sei dringend geboten. "So wichtig eine kritische Bestandsaufnahme der Integration in Deutschland aber auch ist: Sie muss in der Sache richtig und im Ton sachlich sein", schreibt Nahles. Pauschalisierungen und Polemisierungen führten nicht weiter. "Sie spalten, grenzen aus und erschweren so einen offenen, kritischen Dialog."

Wulff fordert Stellungnahme

Das Bundespräsidialamt bestätigte am Freitag, dass der Antrag des Bundesbank-Vorstands auf Entlassung Sarrazins eingegangen sei. Man habe nun als erstes eine Stellungnahme der Bundesregierung angefordert. Zu weiteren Details wollte sich das Amt am Freitag nicht äußern. Auch Bundespräsident Christian Wulff äußerte sich nur allgemein zur Integrationspolitik. Der Mainzer Allgemeinen Zeitung sagte er: "Versäumte Anstrengungen bei der Integration müssen nachgeholt werden."

"Probleme klar benennen"

Es müssten aber auch "klare Forderungen an Zuwanderer formuliert werden". Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich ähnlich: "Man muss Probleme klar benennen, aber man darf Fortschritte auch nicht verschweigen", sagte sie der türkischen Zeitung Hürriyet. Für Deutschland sei es eine Schlüsselaufgabe, die Zuwanderer aktiv in die Gesellschaft hineinzuholen. "Aber in gleicher Weise erwarten wir natürlich, dass sie das auch wollen und sich aktiv darum bemühen."

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnte in der Diskussion um die Integration von Ausländern vor Hysterie. Der Minister sagte, über Integration insbesondere im Zusammenhang mit dem Islam müsse selbstbewusst diskutiert werden. Man brauche dabei "keinen Anstoß von einem Provokateur", der "mit der Provokation auch noch Geld verdient", fügte er mit Blick auf Sarrazin hinzu. Die Debatte könne gelassen, klug und lösungsorientiert geführt werden oder in einer "ausgrenzenden lösungserschwerenden Weise".

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