Debatte um Sterbehilfe:Die Kunst des Sterbens

Früher hatten die Menschen Angst vor dem Tod, heute haben sie Angst vor dem Sterben. Niemanden nimmt ihm diese Angst. Die Kunst des Sterbens ist verlorengegangen. Es ist ehrenwert, dass nun versucht wird, Populisten wie Roger Kusch das Handwerk zu legen, der aus dem Tod eines Menschen eine unerträgliche PR-Show gemacht hat.

Nina von Hardenberg

Früher hatten die Menschen Angst vor dem Tod, heute haben sie Angst vor dem Sterben. Im Mittelalter fürchteten die Menschen, dass sie nach einem plötzlichen Tod in der Hölle landen könnten. Seuchen rafften damals ganze Dörfer dahin, und es gab nicht genug Priester um alle Sterbenden zu betreuen. Die Kirche verteilte deshalb Schriften über die "Ars moriendi", die "Kunst des Sterbens", womit die Kunst gemeint war, in den Himmel zu kommen. Mit den Büchlein konnten sich die Christen geistlich auf den Tod vorbereiten und damit auch ohne Beichte und letzte Ölung das Seelenheil erlangen.

Debatte um Sterbehilfe: Berner Totentanz von Niklaus Manuel (1484-1530): "Die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, ist verlorengegangen."

Berner Totentanz von Niklaus Manuel (1484-1530): "Die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, ist verlorengegangen."

(Foto: Foto: dpa)

Die Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer ist heute der Angst vor dem Siechtum auf Erden gewichen. Die Menschen fürchten sich, am Ende ihres Lebens an Schläuche gehängt, künstlich ernährt und entwürdigt zu werden. Es gibt niemanden, der ihnen diese Angst nimmt. Die Ars moriendi, die Kunst des Sterbens, ist verlorengegangen.

Der Tod der Rentnerin Bettina S. zeigt diesen Verlust deutlich. Der Fall der 79-Jährigen, der der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch beim Suizid half, ist besonders, denn die Frau war nicht einmal sehr krank. Sie hatte Angst vorm Pflegeheim. Sie kannte keine Anleitung dafür, wie man trotz Krankheit in Würde alt werden und sterben kann. Befürworter aktiver Sterbehilfe wie Roger Kusch argumentieren oft mit schrecklichen Einzelschicksalen.

Die erzählen von schwerkranken Menschen, denen keine Schmerzmedizin mehr hilft. Schmerz allein ist aber selten der Grund, warum ein Mensch den Lebensmut verliert. Schwerer wiegt die soziale Isolation und die Angst, im Alter abhängig und wehrlos zu werden. Es sind die gleichen Gründe, die auch Bettina S. genannt hat. Hier müsste die Kunst zu Sterben ansetzen. Nicht erst bei den Todkranken, sondern mitten im Leben. Eine Gesellschaft muss wieder lernen, dass das Leben nicht allein deshalb sinnlos wird, weil man Hilfe annehmen muss.

Können gesetzliche Regelungen dabei helfen? Ein Gesetz, das die aktive Sterbehilfe, also die Tötung von Menschen erlaubt, wäre die falsche Antwort. Es würde vielleicht dem einen untherapierbaren Schmerzpatienten helfen, doch es hätte fatale Konsequenzen für die anderen Suizidgefährdeten. Es würde die Haltung einer Gesellschaft verändern, die ohnehin vorhandene Diskriminierung von Alten und Kranken verstärken. Der Staat kann die Menschen nicht davon abhalten, sich umzubringen; Selbstmord ist nicht strafbar. Keinesfalls aber kann es Aufgabe des Staates sein, unglücklichen Menschen Tötungsgelegenheiten zu verschaffen.

Ein Teil des Lebens

Es ist ehrenwert, dass mehrere Bundesländer versuchen, Populisten wie Roger Kusch das Handwerk zu legen, der aus dem Tod von Bettina S. eine aufdringliche und unerträgliche PR-Show gemacht hat. Die Länder wollen nun die organisierte Hilfe zum Suizid unter Strafe stellen. Das Problem werden sie damit aber nicht lösen. Zunächst ist es fraglich, ob das Gesetz einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten wird.

Denn es ist ein Widerspruch, die organisierte Hilfe zum Suizid zu bestrafen, wenn andererseits der Suizid selbst nicht verboten ist. Und unabhängig von allen rechtlichen Bedenken: Ein solches Gesetz wird Sterbehilfe nie ganz unterbinden können. Wer beschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzten, wird dafür einen Weg finden. Und solange die Menschen fürchten müssen, am Ende des Lebens gegen ihren Willen an einem unerträglichen Leben gehalten zu werden, wird die in der Bevölkerung vorhandene Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe eher wachsen als schwinden.

Ein Gesetz zur Patientenverfügung wäre ein erster Schritt, Menschen diese Angst zu nehmen. Das Parlament muss endlich diese Verfügungen stärker verbindlich machen. Mit ihnen sollen Menschen bestimmte Behandlungen für den Fall ablehnen können, dass keine Hoffnung mehr besteht, dass sie wieder zu Bewusstsein kommen. Ein Gesetz ist nötig, weil bei Richtern und Ärzten große Unsicherheit über die Rechtslage am Lebensende herrscht. Vormundschaftsrichter verteidigen immer wieder eine Lebensverlängerung um jeden Preis. Ärzte behandeln, auch wenn es medizinisch nicht mehr sinnvoll ist. Das sollte sich dringend ändern.

Doch ein Gesetz über Patientenverfügungen wird dieses Problem nur für einen Teil der Bevölkerung lösen - für jene Minderheit, die sich mit dem eigenen Sterben auseinandergesetzt hat. Es gibt aber Menschen, die nicht über den Tod nachdenken wollen. Auch sie haben ein Recht auf ein würdevolles Sterben. Weil Sterben ein Teil des Lebens ist, und jedes Leben ein Recht auf Würde hat.

Falsche Selbstbestimmung

Ansätze für eine neue Kunst des Sterben gibt es schon heute. So hat es die Palliativmedizin geschafft, dass schwerkranke Menschen in der Regel keine unerträglichen Schmerzen aushalten müssen. Mit der Gesundheitsreform ist ein Ausbau der Palliativmedizin beschlossen worden, doch es hapert noch an der Umsetzung. Diese Kunst, die sich dem Lindern und nicht dem Heilen verschrieben hat, muss noch den Sprung vom Hospiz in die Hausarztpraxis schaffen. Dort gehört sie hin. Denn die meisten Menschen wollen die letzten Tage zu Hause im Kreis der Familie verbringen. Auch das gehört zur Kunst des Sterbens: Der Tod verlässt die Krankenhäusern und Intensivstationen.

Wenn die Ärzteschaft diesem Wunsch gerecht werden will, muss sie zuerst die Medizin am Lebensende zu einem Pflichtfach der ärztlichen Ausbildung machen. Die Ärzte würden dort dann lernen, dass eine ihrer wichtigsten Aufgaben dort beginnt, wo die Therapie endet: in der Begleitung der letzten Lebensphase. Sie würden dann genauer überlegen, ob sie bei einem hochbetagten Patienten jede Therapie machen dürfen, die sie machen können. Und sie müssten genauer erklären, welches Ziel sie mit einer Behandlung verfolgen, ob es Aussicht auf Besserung gibt. Sie würden dann nicht nur die Selbstbestimmung des Patienten achten, sondern auch seinen Wunsch nach Fürsorge.

Roger Kusch hat sich offenbar nicht gefragt, ob er gegenüber der alten Frau eine Fürsorgepflicht hat. Er hat auch nicht versucht, ihr einen Weg zurück ins Leben zu zeigen. Er setzte Selbstbestimmung über alles - auch über Nächstenliebe. Für ihn schien es offenbar natürlich, dass sie den Tod einem Leben mit Lasten vorzog. In dieser Denkweise muss das Leben perfekt sein, sonst ist es unwürdig. Es kann einem gruselig werden bei dem Gedanken, dass sich diese Einstellung in der Gesellschaft festsetzt. Schon heute nehmen sich dramatisch viele alte Menschen das Leben. Es könnten mehr werden, wenn Alter nur noch als Makel wahrgenommen wird.

Es gibt Menschen, die sich gegen diese Entwertung des Lebens auflehnen. Papst Johannes Paul II. war einer von ihnen. Er hat der Welt vorgelebt, dass man auch in schwerer Krankheit, bis zuletzt würdevoll und selbstbestimmt leben kann. Man muss nicht religiös sein, um sich den Mann zum Beispiel zu nehmen.

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