Süddeutsche Zeitung

Debatte um Solidaritätszuschlag:"Der Soli ist eine Mogelpackung"

Das Bundesverfassungsgericht muss die Rechtmäßigkeit des Solidaritätszuschlags prüfen. Endlich, sagt Wirtschaftsforscher Ulrich Blum.

Dominik Stawski

Prof. Ulrich Blum ist Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), das einzige der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute im Osten. Seit Jahren beschäftigt sich Blum in seinen Studien mit dem Aufbau Ost.

sueddeutsche.de: Erstmals hat ein Gericht entschieden, dass der Solidaritätszuschlag verfassungswidrig ist. Wie bewerten Sie das Urteil?

Ulrich Blum: Es ist vernünftig. Zu viele Politiker in Westdeutschland tragen den Soli wie eine Monstranz vor sich her. Und die Bürger sehen jeden Monat den Soli auf ihrer Gehaltsabrechnung und denken, da gibt es irgendwelche Sonderopfer, die unberechtigt irgendwo hinfließen.

sueddeutsche.de: Aber es fließt doch wirklich Geld in den Osten.

Blum: Der Soli ist aber nicht zweckgebunden. Er fließt proportional genauso in die Bankenrettung wie in den Bau einer Autobahn in Ostdeutschland. Er heißt zwar Solidaritätszuschlag, ist aber tatsächlich eine Steuer, die in den Bundeshaushalt fließt. Das Ganze ist eine Mogelpackung. Würde man ihn abschaffen, wäre das eine psychologische Flurbereinigung. Es würde zum innerdeutschen Frieden beitragen.

sueddeutsche.de: Der Solidaritätszuschlag stört den innerdeutschen Frieden? Das klingt paradox, er soll doch das Gegenteil tun.

Blum: Ich vergleiche das immer mit der Situation im Ruhrgebiet. Stellen Sie sich vor, es würde einen zehnprozentigen Beitragszuschlag auf die Rentenversicherungsbeiträge aller Deutschen geben, um die Renten der Kohlekumpel im Ruhrgebiet zu finanzieren. Die Leute würden dann jeden Monat sehen, dass ein Zuschlag für Rentenkumpel von ihrem Einkommen abgeführt würde. Die Republik würde in die Luft gehen. Dabei zahlen wir ja über die Steuern die Renten der Kohlearbeiter, nur steht das nicht als Kohlerentenzuschlag auf der Steuerabrechnung. Das ist aber die Moral, die hinter dem Soli steckt.

sueddeutsche.de: Ist es nicht auch wichtig, dass die Bürger wissen, wo ihr Geld hinfließt? Ohne Soli auf der Abrechnung merkt der Bürger vielleicht nichts mehr vom Aufbau Ost, dabei ist er noch lange nicht abgeschlossen.

Blum: Steuern sollten nicht zweckgebunden abgezogen werden. Wenn doch, dann muss es dabei ehrlich zugehen. Es müsste eine Abrechnung geben, bei der auf der einen Seite die Einnnahmen stehen, und auf der anderen Seite ganz genau aufgelistet ist, wo die Einnahmen hinfließen. Zum Beispiel müsste da der genaue Betrag stehen, der in ein Chipwerk in Dresden fließt. Aber genau das passiert nicht: Momentan gibt es eine spezifische Steuer, von der niemand weiß, wohin sie fließt.

sueddeutsche.de: Wenn die Regierung den Soli abschafft oder das Bundesverfassungsgericht ihn für verfassungswidrig erklärt, dann brechen dem Bund jährlich rund 13 Milliarden Euro weg.

Blum: Die Bundesregierung kann auf das Geld nicht verzichten. Wir brauchen die Einnahmen aus dem Soli gerade jetzt, um die Finanzkrise zu bewältigen. Ich sage immer: Soli für Boni. Gerade hilft er nicht Ostdeutschland, sondern rettet die Banken. Hätten wir die Finanzkrise nicht, dann hätten wir den Soli schon abschaffen können.

sueddeutsche.de: Aber was passiert denn ohne Soli?

Blum: Das fehlende Geld muss der Staat durch die Einkommensteuer einnehmen, dann gibt es eben eine Erhöhung. Das klingt simpel, aber genau das ist psychologisch enorm wichtig.

sueddeutsche.de: Hat Sie das Urteil des niedersächsischen Finanzgerichts überrascht?

Blum: Mich hat gewundert, dass es so lange auf sich hat warten lassen. Irgendwann war mal fällig, dass sich jemand gegen den Soli wehrt. Endlich stellt sich jetzt die Frage, wie der Staat das Steuersystem manipulieren kann.

sueddeutsche.de: Aber noch muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Blum: Ich hoffe, die Bundesregierung ist klug genug, den Soli abzuschaffen und einen neuen Einkommensteuertarif zu berechnen. Sie sollte nicht auf Karlsruhe warten. Sonst entsteht wieder die Situation, dass politische Unfähigkeit dazu führt, dass das Bundesverfassungsgericht Politik macht.

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