Debatte um Politikverdrossenheit:Grüne geben Merkel Mitschuld für Wahlmüdigkeit

Bundesparteitag der Grünen

"Ein bisschen schräg": die Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir und Simone Peter reagieren skeptisch auf Fahimis Wahlwochen-Idee (Archivbild vom Bundesparteitag im November 2014).

(Foto: dpa)
  • Grüne reagieren zurückhaltend auf den Vorschlag von SPD-Generalsekretärin Fahimi, zur Bekämpfung der Politikmüdigkeit eine ganze Wahlwoche einzuführen.
  • Grünen-Chefin Peter gibt Kanzlerin Merkel (CDU) die Schuld an der schwindenden Wahlbeteiligung.
  • Auch die Linke und die CSU lehnen Fahimis Vorschlag ab, mit unterschiedlichen Begründungen.

Grüne werfen Merkel "Einnebelung" der Bürger vor

Die Vorschläge von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi für ein neues Wahlverfahren treffen auch in der Grünen-Führung auf Skepsis. Generell beteiligten sich die Grünen gern an Diskussionen darüber, wie Wahlbeteiligung erhöht werden könne, sagte Parteichefin Simone Peter der Welt. "Aber die schwindende Wahlbeteiligung muss man auch an der Wurzel bekämpfen." Dazu seien wieder mehr ehrliche Diskurse und glaubwürdige Politik nötig.

Peter warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, mit ihrem Regierungsstil zur Politikmüdigkeit beizutragen. "Die Regierungsarbeit Frau Merkels setzt bewusst darauf, das Interesse der Menschen an Politik einzunebeln." Die Grünen-Chefin verwies zugleich auf die Vorschläge der Grünen zur Ankurbelung der Wahlbeteiligung, darunter eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sowie mehr direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung.

Grünen-Chef Cem Özdemir bezeichnete Fahimis Vorschlag in der Passauer Neuen Presse als "ein bisschen schräg". Er sprach sich dafür aus, junge Menschen für Politik zu interessieren und ihnen den "Wert von Demokratie schon in der Schule" zu vermitteln. Viele Jugendliche hätten oft schon sehr genaue Vorstellungen von Gerechtigkeit und diskutierten mit Freude über Politik.

SPD-Vize Stegner nennt Vorstoß "goldrichtig"

Als ein Mittel gegen sinkende Wahlbeteiligung hatte Fahimi statt der bisherigen Wahltage ganze Wahlwochen, wie sie in Schweden abgehalten werden, vorgeschlagen. Auch sollte man die Stimme nicht nur an seinem Wohnort, sondern im ganzen Bundesgebiet an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen oder Bibliotheken abgeben dürfen. Ihre Vorschläge will sie Anfang des Jahres mit ihren Kollegen der anderen Parteien diskutieren.

Der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner spricht hingegen von einer "goldrichtigen Initiative". Es könne "keine Partei kalt lassen, wenn manches Mal die Hälfte der Bürger nicht zur Wahl geht." Natürlich müsse sich die Politik auch an die eigene Nase fassen. Die Parteien müssten inhaltliche Unterschiede erkenntlich machen und Entscheidungen transparenter gestalten.

Stegner ist überzeugt, dass vor allem rechtspopulistische und extremen Parteien von einer geringen Wahlbeteiligung profitieren. Deshalb müssten alle demokratischen Parteien ein Interesse daran haben, dass möglichst viele zur Wahl gehen: "Politiker aller Parteien sollten sich überlegen, welche Vorschläge sie in die Debatte einbringen können, statt jeden Vorschlag pauschal abzulehnen." Deutschland sollte von europäischen Partnern lernen, in denen die Wahlbeteiligung höher lag.

Linke gibt jüngsten Bundesregierungen die Schuld

Auch die Linke sieht zunächst die Politik in der Pflicht. Die Ursache für die Wahlmüdigkeit sehe sie weniger im Wahlgesetz als vielmehr in der Politik der Bundesregierungen und "dem politischen Zustand des Landes allgemein", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag, Petra Sitte, der Passauer Neuen Presse.

CSU verweist auf Briefwahl

Auch die CSU hatte den Vorstoß umgehend abgelehnt. Nach Generalsekretär Andreas Scheuer wandte sich die CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, gegen Fahimis Idee. Mit der Briefwahl könnten die Menschen schon heute am heimischen Küchentisch ihre Bürgerpflicht erfüllen, sagte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Näher am Wähler geht nicht."

Sorge hatte zuletzt die mit 52,7 Prozent extrem niedrige Beteiligung bei der Landtagswahl im September in Thüringen ausgelöst. An der Landtagswahl 2013 in Bayern hatten sich 63,9 Prozent der Bürger beteiligt, fünf Jahre zuvor waren dies aber auch nur 57,9. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 lag in Bayern die Wahlbeteiligung mit 70,2 Prozent etwas niedriger als im Bundesschnitt (71,5 Prozent).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: