Debatte um mögliche Libyen-Intervention:Krieg gegen den IS: Wer will was in Libyen?

French aircraft carrier Charles de Gaulle

Auch vom Flugzeugträger Charles de Gaulle aus könnten die Jets der französischen Luftwaffe künftig nach Libyen starten. Ende Januar lag sie noch im Hafen von Abu Dhabi.

(Foto: dpa)
  • Die USA sind besorgt, weil sich der IS immer weiter in Libyen ausbreitet. Sie überlegen, den Anti-IS-Kampf auf Libyen auszuweiten.
  • In Italien fürchtet man die geografische Nähe zu einem zerfallenden Libyen. Außerdem sieht man italienische Wirtschaftsinteressen in Gefahr.
  • Frankreich fürchtet sich nach den Anschlägen von Paris vor islamistischen Terroristen. Auch hier diskutiert man eine Anti-Terror-Intervention, doch so ein Einsatz droht, die ohnehin strapazierte französische Luftwaffe zu überfordern.

Von Oliver Meiler, Rom, Nicolas Richter, Washington, und Christian Wernicke, Paris

USA: IS-Terror in Libyen eindämmen

Das Bürgerkriegsland Libyen macht der internationalen Gemeinschaft zunehmend Sorgen: Die Bildung einer Einheitsregierung ist zunächst gescheitert, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nutzt das politische Chaos und breitet sich weiter aus, weshalb einige Staaten bereits einen Militäreinsatz vorbereiten. Ein Überblick über die Position wichtiger westlicher Regierungen.

Als Hillary Clinton im Herbst 2011 vom grausamen Tod des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi erfuhr, konnte sie ihre Freude kaum unterdrücken. "Wir kamen, wir sahen, er starb", frohlockte die damalige US-Außenministerin.

Aus ihrer Sicht war die internationale Militärintervention in dem nordafrikanischen Land ein voller Erfolg; in E-Mails an ihre Berater hatte sie schon vorher ausführlich die Frage erörtert, wie sie diesen Erfolg am besten für sich beanspruchen konnte. Einer ihrer Vertrauten riet ihr, so etwas wie eine "Clinton-Doktrin" auszurufen.

Gut vier Jahre später nun befindet sich Clinton im Wahlkampf um die Präsidentschaft, aber Libyen ist kein Thema, mit dem sie sich brüsten kann, so wie im gesamten Westen vermutlich niemand mehr auf die Idee käme, Libyen als Beispiel gelungener Auslandseinsätze zu sehen.

Seit dem Sturz Gaddafis scheint sich jede Ordnung aufgelöst zu haben, gerade erst ist eine neue Regierung der nationalen Einheit gebildet worden, die allerdings vom international anerkannten Parlament in Tobruk abgelehnt wurde. Besonders beunruhigend ist aus westlicher Sicht, dass sich die Terrortruppe "Islamischer Staat" im libyschen Machtvakuum ausbreitet; neue Kämpfer sickern angeblich in Scharen ein, seit der IS in Syrien und im Irak unter Druck geraten ist.

Im Westen nehmen nun neue Pläne Gestalt an, die IS-Terroristen verstärkt in Libyen zu verfolgen. Kürzlich hat US-Generalstabschef Joseph Dunford in Paris seinen französischen Kollegen Pierre de Villiers getroffen und über gemeinsame Angriffe beraten. "Wir erwägen einen entschiedenen militärischen Eingriff, gepaart mit einem politischen Prozess", sagte Dunford. "Sollten wir nichts unternehmen, befürchte ich, dass sich der IS in Libyen ausbreitet."

Die USA haben ihre Überwachungsflüge über Libyen intensiviert, um mögliche Ziele für Luftangriffe in den kommenden Wochen zu ermitteln. Allerdings wies Dunford auf die Komplexität der Aufgabe hin. Man müsse eine internationale Koalition aufbauen, Partner am Boden finden und zugleich eine längerfristige politische Lösung für das Land.

Die Internationale Koalition ist zu schnell abgezogen

Die ursprüngliche internationale Koalition ist 2011 entstanden: Damals wurde befürchtet, Gaddafi könne den Aufstand der Opposition mit Gewalt niederschlagen. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin eine Resolution, die ein militärisches Eingreifen erlaubte. An den Luftangriffen beteiligten sich vor allem Frankreich und die USA.

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Das Bild zeigt einen Lastwagen in Niger, in das immer wieder Kämpfer aus Libyen sickern.

(Foto: Dominique Faget/AFP)

Als das Regime gestürzt war, widmete sich die Welt wieder anderen Krisen und vernachlässigte die junge libysche Demokratie. US-Präsident Barack Obama hat eingeräumt, dass dies ein Fehler war. "Wir haben dem libyschen Volk zwar dabei geholfen, die Herrschaft eines Tyrannen zu beenden, aber unsere Koalition hätte mehr dafür tun können, das Machtvakuum zu füllen", sagte Obama.

Die UN bemühen sich nun darum, Libyens rivalisierende Fraktionen miteinander zu versöhnen; dies soll zu einer Regierung der nationalen Einheit führen. An diesem Donnerstag läuft eine Frist ab, in der über die Zusammensetzung des Kabinetts beraten wird.

Die USA versuchen unterdessen, zumindest den IS einzudämmen, um die Sicherheitslage zu verbessern und dem IS einen neuen Rückzugsraum zu verwehren. Bereits im November hat das US-Militär bei einem Luftschlag den IS-Anführer Abu Nabil getötet.

Obama wies sein Sicherheitskabinett Ende voriger Woche an, weitere "Anti-Terror-Maßnahmen" in Libyen und anderswo zu unterstützen. Allerdings weist die US-Regierung darauf hin, dass sie eine funktionierende libysche Regierung als Ansprechpartnerin brauche.

Der Fall Libyen hat im US-Wahlkampf eine Debatte darüber ausgelöst, ob es sinnvoll ist, Diktatoren überhaupt zu stürzen. Clintons innerparteilicher Rivale Bernie Sanders führt die Intervention als Beweis dafür an, dass Clinton aus der Invasion des Irak 2003 nichts gelernt habe. "Clinton war stolz darauf, das Regime in Libyen gestürzt zu haben, aber sie hat sich nicht überlegt, was danach geschehen soll", sagt er.

Auch Republikaner verlangen mehr Pragmatismus im Umgang mit Diktaturen. Donald Trump, ein Kandidat für das Weiße Haus, hat den Sturz Saddam Husseins im Irak und Gaddafis in Libyen als Fehler bezeichnet und fordert, dass Syriens Despot Baschar al-Assad im Amt bleibt. "Jedes Mal, wenn wir uns mit Rebellen einlassen", sagt er, "ist die Lage hinterher schlimmer."

Italien: Sorge vor Zerfall und Wahrung wirtschaftlicher Interessen

Für die Italiener ist die Lage in Libyen aus vielen Gründen bedeutend. Als ehemalige Kolonialherren ist ihre Beziehung gleichsam eng und historisch belastet. Und als Nachbar am Mittelmeer fühlt sich Italien auch geografisch exponiert: Die libyschen Küsten sind nur 300 Kilometer von jenen Lampedusas entfernt, dem südlichsten Vorposten Europas, und 600 Kilometer von jenen Siziliens.

Hunderttausende Flüchtlinge wählten in den vergangenen Jahren diesen Weg über die Straße von Sizilien, um nach Europa zu gelangen. Nun, da Libyen wankt, steigt in Italien die Sorge vor einem "Somalia am Mittelmeer", vor einem Staat außer Kontrolle, gewissermaßen vor der Haustür.

Rom strebt eine Führungsrolle im Libyen-Konflikt an

Deshalb strebt Rom eine "Führungsrolle" in der westlichen Allianz an. Zunächst nimmt es die Rolle als Organisator von Konferenzen wahr: In Rom findet an diesem Dienstag ein Treffen der Außenminister aus 23 Ländern und der EU statt, die sich im Kampf gegen den IS zusammengeschlossen haben.

File picture shows firefighters trying to put out a fire in an oil tank in the port of Es Sider, in Ras Lanuf, Libya

Nach einem Angriff auf ein libysches Ölterminal versucht die Feuerwehr, den Brand zu löschen.

(Foto: Reuters)

Wie die angestrebte Führungsrolle in einer künftigen Mission im Detail aussähe, ist aber noch unklar. Die Italiener dringen nicht einseitig auf eine Intervention. Auch für sie bedarf es dafür zunächst einer Regierung der nationalen Einheit. Dennoch ließ die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti sich in einem Interview dazu hinreißen, einen Zeitrahmen zu nennen: "Wir können nicht zulassen, dass das Frühjahr verstreicht, ohne dass sich die Situation in Libyen verbessert."

Pinotti sagte dem Corriere della Sera auch, Italien habe schon einige Flugzeuge ins sizilianische Trapani verlegt für den Fall, dass die italienischen Ölplattformen in Libyen von IS-Milizen angegriffen würden. Die wirtschaftlichen Interessen sind ein weiterer Grund dafür, dass sich Italien um Libyens Stabilität sorgt.

Bis heute hält sich in der italienischen Öffentlichkeit zudem die kontroverse These, wonach die französische Regierung 2011 auch deshalb entschied, in Libyen zu intervenieren, weil sie nebenbei die historisch gewachsene Vormachtstellung des italienischen Erdölkonzerns Eni dort schwächen wollte. Nun kursiert der Verdacht, Paris könnte wieder nach der Führungsrolle greifen.

Vergangene Woche traf sich Renzi mit Angela Merkel. Die beiden verkündeten, Deutschland und Italien planten, gemeinsam libysche Sicherheitskräfte auszubilden. Merkel sagte, alles hänge von der Einsetzung einer Regierung der nationalen Einheit ab.

Frankreich: Paris warnt vor dem IS - wartet aber noch ab

Auch in Frankreich gelten der Libyen-Einsatz von 2011 und seine Folgen längst nicht mehr als Ruhmesblatt internationaler Krisenbekämpfung. Marine Le Pen, als Vorsitzende des rechtsextremen Front National auf derselben Linie wie Donald Trump, geißelt die damalige "Opération Harmattan" (so der Codename für Frankreichs Beteiligung an der Intervention) als Fehler. Das Chaos in Libyen dient ihr als Argument dafür, dass ihre "Grande Nation" mit bewaffnetem Engagement gegen Diktatoren wie Gaddafi oder Assad stets mehr Schaden als Nutzen anrichte. Die Lehre aus "Libyen", so Le Pen, müsse der Rückzug aus dem Himmel über Syrien sein.

Die sozialistische Regierung in Paris deutet die Lage umgekehrt. Diplomaten wie Generäle bangen, dass der Islamische Staat den alliierten Bomben in Syrien und im Irak ausweicht - und sich in Libyen einnistet. "Es besteht kaum ein Zweifel, dass der gotteskriegerischen Hydra anderswo ein neuer Kopf wachsen kann", warnte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian.

Der Minister, einer der engsten Vertrauten von Kriegspräsident François Hollande, warnt bereits seit Herbst 2014 vor einer neuen IS-Front in Libyen. Die Terrormilizen seien längst angekommen im libyschen Sand, legte der Minister am Wochenende nach: "Sie breiten sich aus. Sie stehen 350 Kilometer von Lampedusa entfernt", orakelte der Franzose, "sobald das Wetter über dem Mittelmeer besser wird, besteht das Risiko, dass ihre Kämpfer sich unter die Flüchtlinge mischen." Zur Erinnerung: Zwei der sieben Selbstmordattentäter von Paris waren mit gefälschten syrischen Pässen als Asylbewerber getarnt nach Frankreich gekommen.

Noch rüstet Paris nicht zur Attacke

Die Warnungen klingen dringlicher - aber Paris rüstet nicht zur Attacke. Noch nicht jedenfalls. Ende Dezember hatte es aus den Reihen des französischen Generalstabs zwar geheißen, man rechne unausweichlich mit einem Militäreinsatz "noch vor dem Frühjahr". Inzwischen jedoch klingen die Signale vorsichtiger. Seit November kreist die französische Luftwaffe zwar regelmäßig über Libyen, um etwa IS-Stellungen und Trainingscamps in der Wüste auszumachen.

In einem Lager will Paris sogar "eine Handvoll" französischer Gotteskrieger ausgemacht haben. Aber so schnell schießen auch die Franzosen nicht. "Vor jedem militärischen Engagement braucht man eine Strategie", mahnte General Pierre de Villiers, der Chef des Generalstabs vorigen Freitag, "Krieg zu führen, nur um Krieg zu führen - das bringt uns keinen Frieden!"

Paris wartet ab. Voraussetzung für jede Intervention, so Verteidigungsminister Le Drian am Wochenende, sei ein Gesuch Libyens. Doch bisher fehlt dem Land dazu die legitime Regierung. "Die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit muss gelingen", sprach der Minister.

Aber auch Frankreich ist nicht wirklich reif für eine neue Front im Antiterrorkampf, für noch einen Luftkrieg. Die aktuellen Auslandseinsätze (mit 3500 Mann in der Sahelzone, 3800 im Mittleren Osten, 900 in Libanon, 900 in Zentralafrika) plus 10 000 Soldaten auf tagtäglicher Anti-Terror-Wacht auf den Straßen der Heimat drohen die Armee zu erschöpfen. Im Dezember ließ zudem ein Bericht zweier Abgeordneter aufhorchen: Wegen der vielen Luftangriffe, die die USA und ihre arabischen Verbündeten im Mittleren Osten flögen, stocke der Nachschub für Bomben.

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