Debatte um Kinderpornografie:Eine Überdosis Moral für das Strafrecht

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Nach der Edathy-Affäre sollen die Gesetze gegen Kinderpornografie verschärft werden. Doch eine juristische Formulierung, die nicht auch Eltern unter Strafe stellt, die Planschfotos ihrer Kinder teilen, ist schwierig - schließlich können Gesetze nicht nur für "die Bösen" gelten.

Von Wolfgang Janisch

Die Steuerfahndung war auf einen merkwürdig hohen Ausgabeposten aufmerksam geworden, aber das hatte schon seine Richtigkeit. Der Reiseveranstalter hatte sich nämlich entschlossen, neue Kataloge zu drucken, und zwar ohne die Bilder mit nackten Kindern und Erwachsenen an den beworbenen FKK-Stränden. Die alten Kataloge waren dem Unternehmen aus den Händen gerissen worden. Von seltsamen Menschen, die nie eine Reise gebucht haben.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat unter dem Eindruck der Edathy-Affäre soeben eine Überarbeitung der Vorschriften zur Kinderpornografie angekündigt. Der gewerbsmäßige Handel mit Nacktbildern von Kindern, so lautet der Prüfauftrag, soll verboten werden. Mit jeglichen Nacktbildern, wohlgemerkt, nicht nur mit pornografischen. Der Reiseveranstalter hätte seine FKK-Kataloge dann ohnehin einstampfen müssen. Und zwar nicht aus ökonomischen Gründen, sondern aus juristischen.

Zwar beteuert das Ministerium, dass Reiseveranstalter wegen ihrer Strandbilder nicht kriminalisiert werden sollen, ebenso wenig private Fotos, die auf Facebook gepostet werden. Aber weil man nun mal in einen Paragrafen nicht hineinschreiben kann, dass er nur für die Bösen und nicht für die Guten gelten soll, rätseln Praktiker und Wissenschaftler, wie das Ministerium eine Kriminalisierung harmloser Freizeitbilder verhindern will. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man das formulieren will", sagt ein Bundesrichter. Ein mit Ermittlungen gegen Kinderpornografie betrauter Staatsanwalt hält eine solche Reform für grundfalsch: "Was unter Strafe steht und was nicht, wird sich damit nicht trennscharf auseinanderhalten lassen."

Tausch, nicht Verkauf

Dass der Ansatz des Ministeriums auf eine Ausweitung der Grauzone hinausläuft, zeigt sich bereits beim Begriff "gewerbsmäßig". Wenn dafür der finanzielle Gewinn ausschlaggebend sein sollte, dann liefe die Vorschrift weitgehend ins Leere, weil die interessierte Szene sich die Fotos überwiegend über Tauschbörsen beschafft. Die wenigsten zahlen dafür, haben Wissenschaftler herausgefunden. Wenn mit "gewerbsmäßig" dagegen die Häufigkeit oder Regelmäßigkeit des Bildertauschs gemeint ist - dann könnten auch jene Besuch vom Staatsanwalt bekommen, die ständig Planschbecken-Fotos ihrer und anderer Kinder mit Freunden austauschen.

Immerhin: Es gibt einen unproblematischen Teil der Maas'schen Reformpläne. Bis Ostern will das Ministerium einen Vor-schlag zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern aus dem Jahr 2011 vorlegen. Bisher gelten Nacktbilder als Kinderpornografie, wenn das Kind aufreizend posiert - also selbst aktiv wird. Aufnahmen schlafender unbekleideter Kinder sind danach nicht unbedingt strafbar. Hier könnte die - seit Ende 2013 überfällige - Umsetzung der Richtlinie eine Klarstellung bringen, die "jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primärsexuelle Zwecke" als Kinderpornografie einstuft.

Damit ließen sich Bearbeitungen eigentlich harmloser Bilder für einschlägige Konsumenten leichter erfassen. Doch auch nach dieser Präzisierung bliebe es dabei: Es gibt Nacktbilder von Kindern, die nicht strafrechtlich relevant sind. Darunter wahrscheinlich auch jene, die der SPD-Politiker Sebastian Edathy bezogen hat. Das ist die Lücke, die Maas mit der Kriminalisierung des gewerblichen Handels schließen will.

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:Auf dem Spielplatz des Abnormen

Erst locken sie ihre Opfer mit Geld, Pizza, Eis und Sportkursen an. Dann filmen sie die nackten Jungen ohne das Wissen der Eltern. Wie pädophile Filmemacher in Deutschland, vor allem aber in Rumänien und in der Ukraine, die Armut und Arglosigkeit von Kindern ausnutzen - und mit den Bildern viel Geld machen.

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Joachim Renzikowski, Strafrechtsprofessor in Halle, ist zwar kein Freund einer weiteren Verschärfung. Schon gar nicht, wenn das aus einer aktuellen Empörung heraus geschieht. Trotzdem hat der Wissenschaftler, der bei früheren Reformen als Experte im Bundestag angehört worden war, einen konstruktiven Vorschlag: Man sollte nicht erst den Händlern, sondern bereits den Produzenten der Bilder ihr schmutziges Geschäft erschweren.

Dazu kann man beim Recht am eigenen Bild ansetzen. Bisher wird in Paragraf 201a Strafgesetzbuch die Verletzung des "höchstpersönlichen Lebensbereichs" durch Fotos unter Strafe gestellt. Gemeint sind damit Paparazzi-Aufnahmen aus dem Privatgarten oder gar der Wohnung. Diesen Ansatz, so Renzikowski, könnte man ausweiten, um auch Fotos zu verbieten, die "nach der Art der Darstellung" in die Privatheit des Betroffenen eindringen. Dadurch könnte eine klebrige Zweckentfremdung eigentlich harmloser Kinderfotos unterbunden werden, die etwa am öffentlichen Strand, aber eben doch in einer privaten Situation aufgenommen wurden.

Strafrecht als Moralrecht?

Jedenfalls ist bei der Suche nach einem juristisch sauberen Weg weit mehr als Handwerkskunst nötig. Es geht darum, das und nur das unter Strafe zu stellen, was wirklich - wie Juristen das ausdrücken - "strafwürdig" ist. Also den Missbrauch von Kindern, ihre Ausbeutung und Herabwürdigung, die Missachtung ihrer Menschenwürde. Weil das Strafrecht das schärfste Schwert des Staates ist, darf es aber nicht zum reinen Moralrecht werden. "Für die Strafbarkeit kommt es nicht darauf an, was der Betrachter der Bilder dabei empfindet", sagt Renzikowski. "Das ist auf andere Weise ebenfalls Privatsache und geht den Staat nichts an."

Was eine Überdosis Moral mit dem Strafrecht anstellt, lässt sich in der Rückschau auf Zeiten überkommener Vorstellungen von "Sittlichkeit" erkennen. Mit einem Gesetzentwurf im Jahr 1900 sollte ein Kunst- und Schaufensterparagraf ins Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen werden - um die Verbreitung von Bildern und Schriften zu unterbinden, "welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen". Künstler und Intellektuelle liefen Sturm: Mit der Lex Heinze - benannt nach einem bekannten Zuhälter - hätte man die halbe Kunstgeschichte ins Depot verbannen können. Am Ende wurde der Paragraf gestrichen.

Worum geht es jenen, die nach dem Strafrecht rufen?

Nun darf man Strafrecht und Moral nicht als völlig getrennte Sphären sehen, im Gegenteil. Gerade die vielfache - und berechtigte - Verschärfung der Vorschriften zur Kinderpornografie in den vergangenen 20 Jahren zeigt, wie wandelnde Vorstellungen der Gesellschaft Gesetze prägen. Ebenso wie - in umgekehrter Richtung - bei der Homosexualität: "Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz" - so formulierte noch im Jahr 1957 das Bundesverfassungsgericht.

Wer freilich die Bilder nackter oder wenig bekleideter Kinder weitgehend zum Tabu erklären will, wandelt auf dem schmalen Grat, den die Berliner Rechtswissenschaftlerin Tatjana Hörnle in ihrer Habilitationsschrift "Grob anstößiges Verhalten. Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus" beschrieben hat. Verbote ließen sich nicht damit rechtfertigen, dass bestimmte Verhaltensweisen "allgemein anerkannten Vorstellungen widersprechen".

Geht es jenen, die nach dem Strafrecht rufen, also wirklich nur um die Bekämpfung der Ausbeutung von Kindern? Oder geht es um das "Verbrechen" im Kopf des Betrachters? Soll mit dem Bilderbann in Wahrheit eine anstößige, verquere Form der Sexualität unter Strafe gestellt werden? Wenn sich Menschen beim Betrachten der Kinderunterwäsche-Fotos im Versandkatalog sexuell erregen, dann müssen Eltern darüber nachdenken, wofür sie ihre Kinder hergeben. Ein Fall für den Staatsanwalt ist das nicht.

© SZ vom 24.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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