Debatte um Kernenergie:Die Atom-Nationalisten

Auch Deutschland gehört zu den Bremsern: Nach dem Reaktorunglück von Fukushima rufen Politiker nach weltweit gültigen Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke. Diplomaten bei der Atomenergiebehörde glauben aber nicht daran.

Paul-Anton Krüger

Während die Techniker im havarierten Atomkraftwerk Fukushima 1 noch darum kämpfen, die überhitzten Reaktoren unter Kontrolle zu bringen, werden Rufe nach weltweit gültigen Sicherheitsstandards laut - und nach einer Aufsichtsbehörde, die darüber wacht, dass sie eingehalten werden.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der als erster Staatschef seit Beginn der Krise nach Japan gereist war, schlug Ende März in Tokio vor, dass sich Vertreter der zuständigen Aufsichtsbehörden der G-20-Staaten im Mai in Paris treffen sollen. Zuvor schon hatte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, angekündigt, vom 20. bis 24. Juni in Wien eine viertägige Konferenz auf Außenminister-Ebene auszurichten.

Nach Amanos Ansicht sollen die Minister über "politische und technische Fragen" beraten, darüber wie Atomkraftwerke besser gegen äußere Gefahren geschützt werden und darauf vorbereitet werden können, dass sie längere Zeit von der externen Stromversorgung abgeschnitten sind. Ebenso wichtig sei es, über effektive Aufsicht zu reden sowie die Vorbereitung auf Unfälle, das nötige Krisenmanagement - und die künftige Rolle der IAEA in der nuklearen Sicherheit. Forsch verlangte Sarkozy in Tokio: "Was zählt ist, dass es vor Jahresende internationale Sicherheitsnormen gibt."

Westliche Diplomaten am Sitz der IAEA in Wien zweifeln allerdings daran, dass sich dieses ambitionierte Ziel umsetzen lässt - nicht nur weil die Zeit vermutlich nicht reichen wird, sondern auch weil es massive politische Widerstände gibt. Der Botschafter eines westlichen Landes formuliert es so: "Der Knackpunkt ist, wer zuständig ist. Bisher sind es die Staaten, die IAEA kann nur Empfehlungen geben. Man muss prüfen, ob das noch hält." Allerdings habe sich daran auch nach der Katastrophe von Tschernobyl nichts geändert. Wie andere Diplomaten wollte er sich nur anonym äußern - die Regierungen beginnen gerade erst, ihre Positionen zu entwickeln.

Angst um nationale Autoritäten

Es sei "eine Frage der Souveränität", ob die Länder internationale Sicherheitsnormen und die Aufsicht durch die IAEA akzeptierten, erläutert Mark Hibbs von der Carnegie-Stiftung, der die IAEA ebenso wie die Atomindustrie und ihre Aufsichtsbehörden seit 30 Jahren beobachtet.

Vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer könnten in verschärften internationalen Standards einen weiteren Versuch der Industrieländer sehen, ihnen den Zugang zu Atomtechnik zu erschweren - ein Konflikt, der die Mitgliedstaaten der IAEA seit langem spaltet, wenn es darum geht, die Verbreitung sensibler Technologien einzugrenzen, die auch für militärische Atomprogramme von Nutzen sein können. Zudem, so geben Diplomaten in Wien zu bedenken, hegten wichtige Länder wie die USA oder Russland grundsätzlich Bedenken dagegen, nationale Autorität zugunsten internationaler Normen aufzugeben.

Wo Deutschland bremst

Weiter noch ginge jeder Versuch, die IAEA als eine Art internationaler Atomaufsicht zu etablieren und ihr ein Recht auf Kontrollen einzuräumen. Derzeit besitzt die Wiener Behörde dazu weder die technischen noch die personellen Voraussetzungen. Nur 32,5 Millionen Euro des regulären Budgets von 356 Millionen gingen 2010 an die für Sicherheit zuständige Abteilung, in der etwa 320 der Bediensteten arbeiten. "Das würde sicher ganz andere Ressourcen erfordern", heißt es aus einer Mission in Wien.

IAEA schaut bei Fukushima zu

Yukiya Amano, Chef der internationalen Atomenergiebehörde IAEA, will die Außenminister der G-20-Staaten im Juni über "politische und technische Fragen" im Bereich der Atomkraft beraten lassen.

(Foto: dpa)

Erst Krisenbewältigung, dann Reflexion

"Im Prinzip bräuchte die IAEA dann etliche Experten für jeden Reaktortyp", pflichtet ein Diplomat bei - und die Bereitschaft, Etat und Personal der Behörde aufzustocken war in den vergangenen Jahren selbst bei den Industrieländern nicht gerade groß; Deutschland gehörte zu den Bremsern.

Zudem werfen Diplomaten die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll wäre, die Rolle der IAEA auszubauen. Die technische Kompetenz sei bei den nationalen Aufsichtsbehörden vorhanden. Die Frage sei "eher, ob die sich auch durchsetzen können".

Die Bedenken zielen auf "für Japan spezifische Aspekte" des Unfalls, wie Hibbs es formuliert - die problembeladene Beziehung zwischen dem Fukushima-Betreiber Tepco und der Atomaufsicht schon vor dem Unfall, aber auch danach - und die möglichen Versäumnisse. Vertreter westlicher Staaten erwarten von der Konferenz im Juni vor allem, dass Japan einen detaillierten Einblick in den Ablauf der Ereignisse gewährt, um eine belastbare Diskussionsgrundlage zu schaffen. "Bis jetzt fehlt dieses umfassende Bild", moniert Hibbs.

So wird in Wien weithin die Ansicht aus einer einflussreichen europäischen Botschaft geteilt, dass die IAEA-Konferenz im Juni allenfalls "Ausgangspunkt für einen Reflexionsprozess" sein kann. Man sei derzeit noch "im Modus der akuten Krisenbewältigung", heißt es. Atomkraftfreundliche Staaten wollen es zudem vermeiden, dass die Debatten über nötige Konsequenzen "in einer emotionalen Atmosphäre" geführt werden. Auch sie pflichten aber bei, dass man nach Fukushima nicht "zu business as usual" übergehen könne. Einig aber ist man sich bislang allein darüber, dass die IAEA das richtige Diskussionsforum ist.

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