Debatte um Jugendgewalt:Was Merkel wirklich von Kochs Ideen hält

Schon vor zwei Jahren haben einige Bundesländer jene Verschärfungen des Jugendstrafrechts gefordert, mit denen Roland Koch heute in Hessen Wahlkampf macht. Damals allerdings wollte die Kanzlerin davon nichts wissen.

Thorsten Denkler, Berlin

Gestern war ein guter Tag für den Wahlkämpfer Roland Koch. Erst stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel hinter den hessischen Ministerpräsidenten. Dann wird der CDU-Mann auch noch zum Vorsitzenden der Arbeitsgruppe "Sicherheit im öffentlichen Raum" der Bundes-CDU bestimmt.

Debatte um Jugendgewalt: Nicht lustig fand Merkel vor zwei Jahren Vorschläge für ein verschärftes Jugendstrafrecht.

Nicht lustig fand Merkel vor zwei Jahren Vorschläge für ein verschärftes Jugendstrafrecht.

(Foto: Foto: ddp)

Koch kommentierte das als "eine ausdrückliche Bestärkung, an meinen Wahlkampfthemen aus der Mitte der Gesellschaft und an den von mir genannten Lösungsvorschlägen festzuhalten." Damit sei zugleich der "enge Schulterschluss zwischen mir und der gesamten Union dokumentiert."

Es hat etwas gedauert, bis auch Merkel sich so deutlich hinter Koch gestellt hat. Am Montag noch musste der sich im CDU-Präsidium Kritik für seine Forderung nach Knast für kriminelle Grundschüler anhören. Gestern dann sagte Merkel, im Wahlkampf dürfe es keine Tabus geben. Und nur weil die ganze Fachwelt gegen Kochs Vorschläge zur Verschärfung des Jungendstrafrechts sei, müsse das nicht auch ihre Leitlinie sein.

Vor gar nicht allzu langer Zeit allerdings klang das noch ganz anders: Im Frühjahr 2006 unterzeichnete Merkel eine ablehnende Stellungnahme der Bundesregierung zu einem Vorschlag des Bundesrates, mit dem das Jugendstrafrecht verschärft werden sollte.

Initiator der Bundesratsinitiative war Baden-Württemberg mit Unterstützung von Bayern, Thüringen und - Niedersachen. Im Gegensatz zu Koch gehörte ausgerechnet Christian Wulff zu den ersten Unterstützern des Gesetzesentwurfs. Am vergangenen Montag dagegen war Wulff einer der Ersten, der Koch für seine Verschärfungsphantasien rüffelte.

Horrorkatalog für Fachleute

Dabei weicht der von Wulff unterstützte Gesetzentwurf nicht von Koch im Jahr 2008 ab. Warnschussarrest, Vorführungs- und Haftbefehle gegen Jugendliche, die nicht zur Gerichtsverhandlung erscheinen, Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden nur noch in Ausnahmefällen, Warnschussarrest bei Bewährungsstrafen und zu guter Letzt, Höchststrafe von zehn rauf auf 15 Jahre.

Ein Horrorkatalog aus der Sicht von Fachleuten. Und vor zwei Jahren offenbar auch aus Sicht von Angela Merkel. Mit ihrer Unterschrift vom 22. März 2006 dokumentiert sie die eindeutig ablehnende Haltung der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf. Auf 43 knappen Zeilen wird in der Stellungnahme das Verschärfungsgesetz regelrecht auseinandergenommen.

Die Bundesregierung halte den Entwurf für "nicht unterstützungsfähig", steht darin. Begründet wird die Ablehnung mit eben jener "breiten fachlichen Kritik", von der Merkel heute angeblich nichts mehr wissen will.

Die meisten Fachleute des Jugendkriminalrechts, Fachverbände, mehrere Jugendgerichtstage und auch der 64. Deutsche Juristentag hätten sich in den letzten Jahren gegen die vorgeschlagenen Verschärfungen im Jugendstrafrecht ausgesprochen, heißt es in der Stellungnahme. "Die vorgeschlagenen Regelungen werden im Ergebnis als eher kontraproduktiv für eine wirksame Bekämpfung der Jugenddelinquenz angesehen."

"Kein politischer Handlungsbedarf"

In der Stellungnahme wird auch deutlich gemacht, dass es gar keinen objektiven Grund für Strafverschärfungen gebe. Es bestehe "kein politischer Handlungsbedarf", heißt es. Das gelte umso mehr, als der angeblich stetige Anstieg der Jugendkriminalität, insbesondere der Gewaltkriminalität, nicht nachzuweisen sei. "Vieles spricht dafür, dass der Anstieg im Hellfeld gerade bei Körperverletzungsdelikten das Ergebnis erhöhter Aufmerksamkeit und gestiegener Anzeigebereitschaft ist", heißt es in der von Merkel unterschriebenen Stellungnahme.

Es kommt noch dicker für Koch: Unter der Berücksichtigung von Dunkelfeldstudien "sind weder bei der Gewalt an Schulen noch bei der Gewalt von jungen Menschen im öffentlichen Raum Zuwächse zu erkennen."

Das Problem, das Koch meint entdeckt zu haben, gibt es offenbar nicht. Zumindest nicht aus Sicht der Bundesregierung. Und damit aus Merkels Sicht.

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