Debatte um INF-Vertrag:Die Drachen des 21. Jahrhunderts

Debatte um INF-Vertrag: Washington und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, Rüstungsverträge zu brechen. Im Bild eine russische Iskander-Rakete, sie kann Atomsprengköpfe tragen.

Washington und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, Rüstungsverträge zu brechen. Im Bild eine russische Iskander-Rakete, sie kann Atomsprengköpfe tragen.

(Foto: Russian Defense Ministry/AP)
  • US-Präsident Trump will den INF-Vertrag kündigen, der bodengestützte Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern verbietet.
  • Als Grund führen die USA Verstöße Russlands gegen den Vertrag an. Konkret geht es um den russischen Marschflugkörper SSC-8, der als landgestütztes System getestet worden sein soll.
  • Für die Amerikaner wäre es im Fall der Fälle am einfachsten, wieder eine bodengestützte Version des Tomahawk-Marschflugkörpers einzuführen.
  • Das eigentliche Wettrüsten im Bereich der Mittelstreckensysteme zeichnet sich indes ohnehin bei einer neuen Generation von Hyperschall-Waffen ab.

Analyse von Paul-Anton Krüger

Neben dem Hochhaus der Vereinten Nationen in New York steht ein Pferd aus Bronze, der Heilige Georg auf dem Rücken wuchtet seinen Speer in den Körper eines Drachen. "Gutes besiegt Böses" lautet der pathetische Titel der Skulptur, ein Geschenk der Sowjetunion. Das Ungetüm besteht aus Teilen sowjetischer SS-20-Raketen und amerikanischer Pershing II - sie wurden verschrottet, nachdem Ronald Reagan und Michail Gorbatschow 1987 den INF-Vertrag (Intermediate Nuclear Forces) unterzeichnet hatten.

US-Präsident Donald Trump hat nun erklärt, dass er diesen Vertrag kündigen will. Als Grund führt er Verstöße Russlands an. Er hat damit Ängste geweckt, der tot geglaubte Lindwurm könne auferstehen, ein neues nukleares Wettrüsten beginnen, in dessen Mittelpunkt Europa steht. Ende nächster Woche, beim G-20-Treffen in Buenos Aires, wird Trump das Thema direkt ansprechen können - mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Die Demokraten könnten ihre neue Macht nutzen, um Trumps Pläne zu torpedieren

Sollte Trump seine Drohung wahr machen, hätte das weitreichende Folgen für die internationale Sicherheitsarchitektur. Der INF-Vertrag hatte eine ganze Waffengattung verboten: bodengestützte Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern - auch solche mit konventionellen Sprengköpfen. Die nuklear bestückten Mittelstreckenraketen galten als destabilisierende Waffen, weil sie die Frühwarn- und Reaktionszeiten für einen Atomkrieg in Europa auf wenige Minuten reduziert hatten. In der Logik der nuklearen Abschreckung musste die Entscheidung über einen Gegenschlag getroffen sein, bevor die Sprengköpfe feindlicher Raketen ihren Feuersturm entfachen. Je weniger Zeit dafür blieb, desto höher die Anfälligkeit für Fehleinschätzungen.

Als US-Präsident Georg W. Bush 2002 den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen kündigte, tat er das, weil die USA in dem Abkommen verbotene Systeme zur Abwehr ballistischer Raketen aufstellen wollten. Bei der INF-Kündigung durch Trump ist das anders: Es ist relativ unwahrscheinlich, dass die USA bald nuklear bestückte ballistische Mittelstreckenraketen in Europa oder Asien stationieren, eine neue Version der Pershing II etwa. Dazu wäre das Einverständnis von Nato-Partnern diesseits des Atlantiks nötig, was nur schwer vorstellbar ist. Auch bei den asiatischen Verbündeten, etwa Japan oder Südkorea, ist die Bereitschaft gering. Allein auf dem Stützpunkt Guam könnten die USA solche Waffen stationieren, die Ziele in China bedrohen könnten.

Zum anderen "haben wir weder im Verteidigungshaushalt, in der Planung oder in Äußerungen der Regierung etwas gesehen, was auf eine ernsthafte Absicht hindeuten würde, unter dem INF verbotene Waffensysteme in Europa oder sonst auf der Welt zu stationieren", wie die Expertin Rebecca Hersman sagt. Sie ist Direktorin für Nuklearfragen beim amerikanischen Think Tank Center for Strategic and International Studies (CSIS), bis 2015 arbeitete sie im Pentagon. Der US-Kongress hatte zwar im laufenden Haushaltsjahr 48 Millionen Dollar für Studien bewilligt, um die Fähigkeiten solcher Systeme zu prüfen. "Aber die politische Durchsetzbarkeit ist mit den Zwischenwahlen noch schwieriger geworden", sagt Hersman. "Es ist zu erwarten, dass das nun von den Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus solchen Plänen noch ablehnender gegenübersteht."

Grundsätzlich könnten die USA bestehende Raketensysteme modifizieren, um Reichweiten zu erzielen, die unter dem INF-Vertrag verboten waren. Allerdings ist das infrage kommende System der Armee zur Ausmusterung vorgesehen. Der Nachfolger befindet sich in der Entwicklung und ist für Reichweiten bis 499 Kilometer vorgesehen. Das US-Heer dringt auf eine Einführung im Jahr 2023 statt 2027. Modifikationen würden wohl Verzögerungen nach sich ziehen, für keines der Systeme sind nukleare Gefechtsköpfe vorgesehen.

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