SPD: Nervös wegen den Grünen:Grüner Koch, roter Kellner

Die SPD beäugt den Erfolg der Grünen - Fraktions-Geschäftsführer Oppermann warnt vor einem grünen Kanzlerkandidaten. Dabei müssen die Sozialdemokraten die K-Frage selbst klären.

Michael König

Es war ein Tag im Mai, die Sonne schien, und Claudia Roth hatte gute Laune. Die Bundesvorsitzende der Grünen war nach Münster gekommen, um im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen Stimmung für Rot-Grün zu machen.

Kampf gegen den ´Atom-Deal" eint Rot-Rot-Grün

Wer ist Koch, wer Kellner? Der grüne Fraktionschef Jürgen Trittin (im Vordergrund, links) mit SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. In Meinungsumfragen liegen beide Parteien gleichauf.

(Foto: dpa)

Und weil es Claudia Roth weder an Selbstbewusstsein noch an Extravaganz mangelt, hatte sie sich für diesen Auftritt einen running gag ausgedacht: Sie sagte jedes Mal "Grün-Rot", wenn sie Rot-Grün meinte. Sie fand das komisch, und die meisten anderen Grünen in Münster fanden das auch.

Einige Monate später ist aus dem Lachen ein Staunen geworden - und aus "Grün-Rot" ein ernsthaftes Thema, zumindest aber eine mediale Debatte, die im Oppositionslager Ärger entfacht und die Frage aufwirft, ob die Grünen bald stärker als die SPD sein könnten - und womöglich einen Kanzlerkandidaten aufstellen sollten.

Die Spitze des Herrn Oppermann

In der jüngsten Meinungsumfrage des Forsa-Instituts liegt die Öko-Partei schon bei 24 Prozent und ist damit gleichauf mit der SPD. In anderen Umfragen rangiert sie nur noch knapp hinter den Sozialdemokraten. Und weil die schwarz-gelbe Regierung weiterhin vor allem mit internem Streit beschäftigt ist (Stichwort Gesundheitsreform) und in der Bevölkerung Proteste auslöst (Stichwort Atompolitik), ist ein Ende des Höhenfluges nicht in Sicht.

Eine grün-rote Koalition mit den Grünen als Koch und der SPD als Kellner - das erscheint plötzlich als realistische Konstellation. Den Sozialdemokraten schmeckt das überhaupt nicht.

Anders ist nicht zu erklären, zu welcher Spitze sich der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hat hinreißen lassen. In einem Interview mit der Financial Times Deutschland lobte er zwar den Beitrag der Grünen dazu, dass "Rot-Grün eine deutliche Mehrheit in Deutschland hat". Oppermann sagte aber auch: "Die Grünen sind so etwas wie eine Wohlfühlpartei. Politische Verantwortung tragen sie nur in einigen wenigen Bundesländern. Daher müssen sie kaum schwierige Entscheidungen treffen und dafür einstehen."

Erinnerungen an Westerwelle

Zudem dachte Oppermann laut darüber nach, ob die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten aufstellen sollten: "Alle erinnern sich noch an die Kanzlerkandidatur von Guido Westerwelle für die FDP im Jahr 2002. Das ist ihm damals mit sieben Prozent sehr schlecht bekommen."

Dass die FDP damals utopische 18 Prozent als Ziel ausgegeben hatte und Westerwelle im gelben Spaßmobil durch die Republik fuhr, brachte Oppermann nicht von seinem Vergleich ab. Stattdessen sagte er, er sehe den Aufstieg der Umweltpartei "mit großer Gelassenheit, denn am Ende werden wir stärker als die Grünen sein".

Beim einstigen Koalitionspartner erntet Oppermann dafür Unverständnis. Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen, sagte zu sueddeutsche.de, seine Partei habe "noch keinen Gedanken daran verschwendet", einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Von grüner "Wohlfühlpolitik" könne keine Rede sein, "wenn wir mit zigtausenden Menschen auf die Straße gehen und gegen schwarz-gelbe Atompolitik und Stuttgart 21 demonstrieren".

Der grüne Verteidigungsexperte Omid Nouripour erklärte, seine Partei beschäftige sich nicht "mit Personalfragen zur Wahl 2013, sondern mit den politischen Inhalten von heute".

Bewusst inszenierte Täuschung

Auch der Sprecher der Grünen Jugend, Max Löffler, widersprach Oppermanns Darstellung, die Grünen müssten keine wichtigen Entscheidungen treffen. Seine Partei habe bei der Steuer- und Sozialpolitik Nachholbedarf, räumte Löffler im Gespräch mit sueddeutsche.de ein. Die SPD solle allerdings "erst mal vor der eigenen Haustür kehren und sich über ihre Haltung zur Agenda-Politik klar werden".

Weder Parteienforscher noch die Grünen selbst haben Zweifel daran, dass die Umfragewerte beizeiten wieder sinken werden. Dass sich Oppermann dennoch zu solchen Aussagen versteigt, macht deutlich, wie argwöhnisch die SPD den Erfolg ihres einstigen Partners beobachtet. Auch Generalsekretärin Andrea Nahles stichelte in dessen Richtung: Es sei ein "Hype" um die Grünen entstanden, sagte sie. Im Fremdwörterbuch wird Hype als "spektakuläre Werbung", aber auch als "bewusst inszenierte Täuschung" oder "Betrug" definiert.

Auf der nächsten Seite: Wer löst das K-Rätsel bei der SPD? Sigmar Gabriel scheint sich zu zieren. Die Grünen hätten es da wesentlich einfacher.

Gabriel und der "erste Zugriff"

Der Verdacht liegt nahe, dass Oppermann und Nahles von eigenen Problemen ablenken und die Debatte dazu nutzen wollen, die eigenen Reihen zu schließen. Am Wochenende trifft sich die SPD zu einem außerordentlichen Bundesparteitag in Berlin. Dort wird es um das Reizthema Rente mit 67 gehen - und wohl auch um die Frage, wen die SPD als Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken könnte.

Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel habe "den ersten Zugriff" auf diese Position, sagte Oppermann jüngst. Gabriel hatte zuvor jedoch eine überparteiliche Vorwahl zur Debatte gestellt, um den aussichtsreichsten Kandidaten zu ermitteln. Im Gespräch mit dem Spiegel hatte Gabriel sogar festgestellt: "Ich bin nicht Kanzlerkandidat."

Dreßler schießt gegen Steinmeier

Dass Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier diesen Posten erneut übernimmt, darf trotz seiner derzeit hohen Popularitätswerte als unwahrscheinlich gelten. Er ist bei der Wahl 2009 an Angela Merkel gescheitert, zudem will er nach der Nierenspende an seine Frau stärker auf seine Gesundheit achten. Und als Vertreter der Agenda-2010-Politik Gerhard Schröders gilt Steinmeier den Linken in der Partei als schwer vermittelbar. Der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler legte ihm im Interview mit der Stuttgarter Zeitung den Rückzug nahe: "Nicht die SPD hat ihn als Fraktionschef gewählt, sondern er sich selbst."

Auch Peer Steinbrück gilt einigen Genossen als möglicher Kandidat, doch liegt der ehemalige Finanzminister politisch auf Steinmeiers Linie - und mag sein jetziges Leben als Buchautor und Experte wohl auch nicht für den Stress einer Kanzlerkandidatur opfern. "Ich möchte die SPD sehen, die mich zum Kandidaten macht", frotzelte Steinbrück jüngst bei der Vorstellung seines neuen Buches in München. Er sei froh, dass er nach 17 Jahren in öffentlichen Ämtern nun "selbst entscheiden kann, was ich machen will".

Trittin gibt sich selbstbewusst

Während die SPD noch am Anfang der Diskussion der K-Frage steht, lassen sich die Grünen gar nicht erst auf eine solche Diskussion ein - Oppermanns Vorstoß hin oder her. "Stimmungen sind keine Stimmen", sagten unisono die Bundesvorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir. Roth fügte hinzu, man hebe aufgrund der guten Umfragezahlen nicht ab oder spekuliere "über Konsequenzen in noch ferner Zukunft".

Dabei wäre die K-Frage bei den Grünen zumindest leicht zu beantworten: Roth gilt wegen ihrer emotionalen Art als nicht präsidiabel genug, Özdemir als zu blass. Der Bundestagsfraktions-Chefin Renate Künast wird nachgesagt, in Berlin als Regierende Oberbürgermeisterin kandidieren zu wollen.

Bleibt nur der ehemalige Umweltminister und heute Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin übrig, der sich zuletzt sehr selbstbewusst zeigte: Sollten die Grünen bei zukünftigen Wahlen mehr Stimmen als die SPD bekommen, beantworte sich die Führungsfrage von selbst, sagte Trittin. Der Stärkere stelle den Regierungschef: "So einfach ist das."

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