Debatte um Extremismusklausel:Wie Ministerin Schröder den Kampf gegen rechts erschwert

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Demokrat kann man nicht einfach sein, man muss es unterschreiben - und sogar für seine Partner bürgen. Familienministerin Schröder verlangt eine "Demokratie-Erklärung" für die staatliche Förderung im Kampf gegen rechts. Nach der Enttarnung der Zwickauer Neonazi-Zelle regt sich neuer Widerstand gegen die Extremismusklausel. Eine Anti-Nazi-Initiative hat nun Klage eingereicht. Damit könnte Schröders Regelung kippen.

Sebastian Gierke

Nur ein halbes Jahr war "die Wand der Toleranz" in Limbach-Oberfrohna unbefleckt - bis Mittwochnacht. Dann wurde sie mit weißer und schwarzer Farbe übermalt. Statt des Symbols für ein friedliches, tolerantes Miteinander in der westsächsischen Stadt: schwarze Balken, gesprüht von Neonazis, eine braune Machtdemonstration.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat die Extremismusklausel im Jahr 2010 auf den Weg gebracht. Seither reißt die Kritik daran nicht ab. (Foto: dapd)

Eine Weltkugel war auf der Wand zu sehen gewesen, Menschen aller Hautfarben, die sich die Hände reichen. Das Bürgerforum Limbach-Oberfrohna hatte die Gestaltung angeregt, wollte sie nicht mehr braunen Schmierereien überlassen. Auch jetzt werden sie die Wand wieder neu bemalen. Sie werden nicht aufgeben. Seit gut vier Jahren kämpft das Forum gegen Neonazis und rechte Gewalt. Gegründet von Eltern, "die es nicht hinnehmen wollten, dass ihre Kinder nicht mit gefärbten Haaren oder Piercings auf die Straße gehen konnten, ohne von Rechten attackiert zu werden", erklärt Moritz Thielicke vom Bürgerforum. Die Stadt habe dagegen nichts unternommen.

Für seine Arbeit hat das Forum gerade den zum fünften Mal ausgelobten "Sächsischen Demokratiepreis" erhalten, gestiftet unter anderem von der Amadeo-Antonio-Stiftung, die Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur unterstützt. Die sächsische Landesregierung hatte sich nicht an der Preisvergabe beteiligt. Zum ersten Mal. Der Grund: Ein Eklat bei der Preisvergabe im vergangenen Jahr.

Der damals vorgesehene Preisträger, der Verein Akubiz aus Pirna, hatte sich geweigert, eine "Demokratie-Erklärung" zu unterschreiben. Diese als "Extremismusklausel" bekanntgewordene Erklärung wurde und wird von Akubiz scharf kritisiert - wie auch von vielen anderen Gruppen im Kampf gegen rechts.

Kristina Schröder hatte die Erklärung im Jahr 2010 auf den Weg gebracht. "In Zukunft werde ich von Initiativen gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus Bekenntnis zu unserer Verfassung verlangen", twitterte die Bundesfamilienministerin damals. Seit Anfang 2011 müssen also beispielsweise Vereine, die gegen rechts kämpfen und dafür staatliche Förderung beantragen, mit ihrer Unterschrift bezeugen, für die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland einzustehen. Das allein wäre nicht das Problem. Allerdings verpflichtet die Extremismusklausel, auch alle Partner und Mitarbeiter auf Verfassungstreue zu überprüfen: Alle, die mit einem finanzierten Projekt in Zusammenhang stehen, zum Beispiel auch Musiker, Referenten, sogar die Caterer oder Druckereien.

Akubiz spricht in diesem Zusammenhang immer noch von "Schnüffelei" - und ließ im Oktober 2010 den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) mit seinem Preis stehen. Damit sorgte Akubiz für eine wütende Debatte über die Extremismusklausel. Es war von einem Generalverdacht des Extremismus die Rede, man würde damit allen Initiativen linksradikale Motive unterstellen. Viele Vereine und Initiativen schlossen sich der Kritik an. Die Soziale und Politische Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna, zum Beispiel. In diesem Verein haben sich die Jugendlichen der Stadt organisiert, die vom Bürgerforum unterstützt werden.

Kultur des Verdachts

Die Bildungsvereinigung hat die Klausel zwar unterschrieben und neben anderen Initiativen im Jahr 2010 den Demokratiepreis erhalten, das Geld allerdings haben die Jugendlichen zum Teil an Akubiz weitergeleitet. Vereinsmitglied Moritz Thielicke erklärt, dass durch die Klausel Gleichmacherei betrieben würde. "Links und rechts werden in einen Topf geworfen."

Dabei habe es in Limbach-Oberfrohna, einer Stadt mit knapp 25.000 Einwohnern, zwischen 2004 und 2009 80 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gegeben. Bei der Hälfte der Fälle sei es auch zu einer Verurteilung gekommen. Die 13 Fälle, bei denen die Polizei einen linksextremistischen Hintergrund vermutet, hätten nicht zu einem einzigen Schuldspruch geführt. "Doch die Politik setzt das Abreißen von NPD-Plakaten gleich mit schwerer Körperverletzung, Bedrohung oder Landfriedensbruch", sagt Thielicke.

Auch der Rechtsextremismusexperte Alexander Häusler glaubt, die Klausel fördere eine Kultur des Verdachts zwischen Gruppierungen, die eigentlich zusammenarbeiten sollten, die ein gemeinsames Ziel haben. Deshalb schade sie dem Engagement gegen rechts. Die Opposition übt ebenfalls heftige Kritik, vor allem nach der Aufdeckung der Zwickauer Terrorzelle. Der Grüne Volker Beck fragte die christdemokratische Ministerin Schröder gerade über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Nehmt Ihr jetzt endlich die Extremismusklausel zurück und beendet Behinderung im Kampf gegen NeoNazis?"

Anetta Kahane von der Amadeo-Antonio-Stiftung glaubt, dass durch die Extremismusklausel die Skepsis gegenüber Staat und Kommunen bei vielen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, wieder gewachsen ist. "Sie fühlen sich gegängelt. Viele stellen überhaupt keine Anträge mehr." Wie in einem totalitären System würde der Staat zuerst auf Kontrolle setzen, dann auf Vertrauen. "Das sollte doch in einer Demokratie anders sein", sagt Kahane. Der Kampf gegen rechts jedenfalls würde so deutlich erschwert.

Und deshalb unterstützt die Amadeo-Antonio-Stiftung jetzt auch Akubiz in einem Streit, der möglicherweise das Ende der Extremismusklausel in seiner aktuellen Form bedeuten könnte. Denn Akubiz klagt vor dem Verwaltungsgericht Dresden dagegen, dass ein Zustellungsbescheid über Fördergelder des Landkreises, Gelder, die das Sozialministerium vergibt, mit der Klausel verbunden wird. Das bestätigte Anne Nitschke, Sprecherin von Akubiz, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Die Klage sei am Dienstag eingereicht worden, so Nitschke.

Der Dresdner Anwalt Robert Uhlemann wird Akubiz vor Gericht vertreten. Er glaubt, dass die Klausel einen Eingriff in die Meinungsfreiheit bedeutet und außerdem zu unbestimmt gehalten ist. "Die Klausel verwendet den Begriff 'extremistisch'. Doch was heißt das? Das ist ein politischer Begriff, Definitionssache und damit unbestimmt. Verwaltungsakte müssen aber bestimmt sein, sagt das Gesetz", erläutert Uhlemann. Außerdem verweist der Anwalt auf drei Gutachten, darunter eines der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, die der Extremismus-Klausel rechtliche Unschärfe nachweisen. Formal richtet sich das Verfahren gegen den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, der für die Auszahlung der Fördermittel zuständig ist. Akubiz hatte für ein Projekt zum ehemaligen NS-Konzentrationslager Königstein in diesem Jahr keine Gelder des Bundes erhalten.

Keine Unterschrift für Tillichs Bürgerpreis

Uhlemann gaubt, dass die Verhandlung mindestens zwei Jahre dauern wird. In dieser Zeit könnte das Ministerium die Klausel nachbessern, um eine Verurteilung zu verhindern, vermutet der Anwalt: "Und wenn dann am Ende nur noch drin steht, dass man sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen muss, wäre sehr vielen geholfen."

Im Bundesfamilienministerium weiß man von der Klage noch nichts, hat damit aber offenbar bereits gerechnet: "Das Thema erfährt im Moment ja große Beachtung", sagt Sprecher Hanno Schäfer im Gespräch mit sueddeutsche.de. Ministerin Schröder habe jedenfalls bereits deutlich gemacht, dass sie ihre Position nicht ändern wolle. "Wir bleiben dabei, die Demokratie-Erklärung ist richtig", sagt ihr Sprecher.

Stanislaw Tillich hat das Problem in Sachsen auf seine Weise gelöst. Der Ministerpräsident dachte sich einfach eine neue Auszeichnung aus: den "Bürgerpreis", der in diesem Jahr erstmals vergeben wurde. Die Jury habe der CDU-Politiker letztlich im Alleingang berufen, berichtete Die Zeit. Nur die Bürgermeister kreisfreier Städte und Landräte durften Kandidaten für den Preis vorschlagen. Die zehn sächsischen Landkreise werden von der CDU regiert, in zwei der drei kreisfreien Städte regieren SPD-Bürgermeister. Auf die Unterschrift unter die Extremismusklausel hat Tillich bei seinen diesjährigen Preisträgern verzichtet.

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