Süddeutsche Zeitung

Debatte um Demonstrationsverbot in Dresden:"Unglückliche Entscheidung"

War das Demonstrationsverbot für Pegida in Dresden berechtigt? Bundesinnenminister de Maizière diskutiert darüber mit seinen Ministerkollegen aus den Ländern. Aus Berliner Regierungskreisen verlautet eine klare Antwort.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Der Umgang des Menschen mit seinen Ängsten und Lebensrisiken ist nicht immer rational. Ein Psychologe hat das Missverhältnis von echter und gefühlter Gefahr mal als "die Angst des Rauchers vor dem Schlangenbiss" bezeichnet.

Von abstrakten und konkreten Gefahren versteht Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine Menge. Er ist kein Scharfmacher, kein Alarmist und gilt auch unter Kollegen als sehr besonnen. So wurde am Montag die Telefonschalte des Ministers mit den Kollegen in den Ländern, die um 12.30 Uhr begann, mit Spannung erwartet. Die Runde diskutierte knapp dreißig Minuten über die Lage nach den Anschlägen in Paris und den gescheiterten Attentaten in Belgien - und natürlich über Dresden und die Folgen. War das Demonstrationsverbot berechtigt?

Niemand stellte die Frage offen, aber ein bisschen Unverständnis gibt es hie und da nach Recherchen von SZ, WDR und NDR schon. "Sachsen hat das ein bisschen hochgejazzt", ist aus Berliner Regierungskreisen zu hören. "Auf dieser Grundlage sagt man keine Demonstration ab", meint ein hochrangiger Sicherheitsbeamter. "Das ist eine unglückliche Entscheidung." Man begebe sich in die Hände von Dschihadisten, wenn man sich von denen treiben lasse. Niemand in der Telefonrunde aber kritisierte die Entscheidung der Sachsen. Es kann jeden treffen, und einfach sind solche Beschlüsse nicht.

In Dresden habe es einen konkreten Hinweis gegeben

De Maizière hielt sich raus. Er wies darauf hin, dass es schon vor den Attentaten in Paris immer wieder Hinweise auf irgendeinen möglichen Anschlag gegeben habe, und nach Paris habe sich die Zahl der Hinweise noch erhöht. Sicherheitspolitiker wie er unterscheiden zwischen abstrakten und konkreten Hinweisen und abstrakten und konkreten Gefahren. In Dresden, so de Maizière, habe es einen konkreten Hinweis auf einen drohenden Anschlag gegeben, aber angeblich vermied er es zu sagen, ob er jetzt die Gefahr für abstrakt oder für konkret halte.

Die Beurteilung sei Sache der Fachleute im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), in dem sich Vertreter von vierzig Sicherheitsbehörden austauschen, soll er gesagt haben. Im Fall Dresden sollen das GTAZ und das Bundeskriminalamt Sachsen keine Empfehlung gegeben haben. Weder die Empfehlung, die Demonstration abzusagen, noch die Empfehlung, sie stattfinden zu lassen. "Am Ende hat Dresden entschieden", sagt ein hochrangiger Sicherheitsbeamter.

In der Telefonrunde soll der sächsische Innenminister Markus Ulbig die Lage beschrieben haben. Da gibt es einen Tweet, der ziemlich vage ist ("An die 'Einsamen Wölfe' in Deutschland: Das ist der Hund, der für die islamfeindlichen Demonstrationen 'Pegida' verantwortlich ist. Sein Name ist Lutz Bachmann") und dann noch den Hinweis eines Nachrichtendienstes über angebliche Pläne, dass sich Attentäter unter Pegida-Demonstranten mischen und dann Organisator Lutz Bachmann ermorden könnten. Warum dann in einer solchen Lage auch die Gegendemonstration verboten worden sei, wollte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius wissen. Möglicherweise könnten die potenziellen Attentäter das nicht unterscheiden, soll Ulbig gesagt haben.

Worauf der Terrorhinweis basiert, ist nicht klar

Der Hinweis des ausländischen Dienstes jedenfalls ging zunächst an das Bundesamt für Verfassungsschutz, dann an das GTAZ und das Bundeskriminalamt und schließlich zum Landeskriminalamt Sachsen. Der Hinweis ist also konkret, aber worauf er basiert, ist nicht klar. Vielleicht auch auf einem Tweet. Die Ursprungsfassung der Meldung soll jetzt besorgt werden.

Die Einschätzung von Gefahrenlagen war immer schon ein schwieriges Geschäft. Länder wie die USA haben einen Farbcode, der bei steigender Gefahr von Gelb auf Orange umspringt. In der Bundesrepublik sind die Innenminister eine Art Barometer für die jeweilige Gefahrenstufe. De Maizières Vorgänger Wolfgang Schäuble sprach über die Gefahr anders. Schäuble warnte 2006 schon mal sehr bestimmt vor Anschlägen mit schmutzigen Bomben. Das sind konventionelle Sprengsätze, denen radioaktive Stoffe beigesetzt sind. Ziel der Bombe wäre es gewesen, Regionen zu verseuchen. Zu solchen Anschlägen ist es glücklicherweise nie gekommen.

Thomas de Maizière hatte sein Damaskus-Erlebnis vor vier Jahren. Damals gab es Warnungen, dass ein Anschlag auf den Reichstag bevorstehe. Es gab Hinweise des FBI und vor allem Anrufe eines deutschen Islamisten namens Emrah E., der sich beim BKA gemeldet hatte und angeblich sehr konkret wusste, wann und wo al-Qaida zuschlagen wolle. Der Sturm auf den Reichstag fiel aus. Die Geschichte hatte sich der Anrufer ausgedacht. Die Fachleute waren einem Schwätzer auf den Leim gegangen. Andersherum betrachtet: Die Hinweise auf einen angeblich drohenden Reichstags-Anschlag erschienen weit substanziierter als die Hinweise auf einen Anschlag in Dresden.

Offiziell mag sich niemand von der Entscheidung der Dresdner distanzieren. Aber es gibt schon ernsthafte Politiker, die meinen, Sachsen habe eben wenig Erfahrungen mit islamistischen Terror und Warnmeldungen.

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SZ vom 20.01.2015/fie
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